Zehn Jahre nach „Wir schaffen das“

90 Prozent der Willkommensschüler können kein Deutsch

90 Prozent der Willkommensschüler können kein Deutsch, wenn sie in die Regelklassen kommen, sagt ein Schulleiter. Seit Jahren bringen Berliner Schüler immer miesere Leistungen. Ist die Integration der geflüchteten Kinder gescheitert?

Author - Stefanie Hildebrandt
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Schüler und Schülerinnen einer Willkommensklasse in Treptow-Köpenick, 2016. Ob diese Kinder ihre Schullaufbahn erfolgreich abschießen konnten?
Schüler und Schülerinnen einer Willkommensklasse in Treptow-Köpenick, 2016. Ob diese Kinder ihre Schullaufbahn erfolgreich abschießen konnten?Wolfgang Kumm/dpa

Zehn Jahre nach dem Beginn der Flüchtlingskrise und dem Zuzug zehntausender Kinder, die vor Krieg und Armut geflüchtet sind, stehen Berlins Schulen blank da. Die Integration der neuen Schüler ist nur in Teilen gelungen, sagen Fachleute. In einem Bericht des Tagesspiegels berichten Schulleiter von den Herausforderungen, die bis heute nicht gut bewältigt sind. Seit 2016 sinken die Leistungen der Berliner Schüler ständig: die veränderte Schülerschaft trifft auf einen lange währenden Mangel an Fachleuten.

Sven Zimmerschied erlebt an seiner Charlottenburger Friedensburg-Schule regelmäßig, dass kaum oder nur schlecht Deutsch sprechende Schüler an seiner Sekundarschule ankommen, so der Bericht. Verantwortlich macht er die Koordinierungsstelle, die in jedem Bezirk für die Verteilung der Schülerinnen und Schüler zuständig  ist. „Die prüfen nichts. Die kennen die Kinder nicht. Sie schicken einfach Kinder aus Willkommensklassen in die Regelklassen“, so Zimmerschied. Er vermisst eine „professionelle Diagnostik“ und eine „neutrale Stelle“, die den Bedarf objektiv feststellt.

Integration an den Schulen: „Wir haben es nicht geschafft!“

Guido Richter, Vorsitzender der Vereinigung der Berliner Grundschulleitungen, zeichnet ein noch düstereres Bild: „Nein, wir haben es nicht geschafft“, lautet seine Bilanz zehn Jahre nach dem Merkel-Spruch. Der „menschliche Ansatz“ sei „gut“ gewesen, habe aber „gesellschaftlich“ nicht funktioniert: „Wenn jemand sich nicht integrieren will, dann bringt uns das gesellschaftlich nicht weiter“, so der Schulleiter aus Lichtenberg gegenüber dem Blatt.

Schulleiter und Vorsitzender der Vereinigung der Berliner Grundschulleitungen Guido Richter.
Schulleiter und Vorsitzender der Vereinigung der Berliner Grundschulleitungen Guido Richter.Markus Wächter/Berliner Kurier

Wo Willkommenskinder nur möglichst schnell in reguläre Klassen untergebracht werden sollen, kann eine gelungener Schulstart in Berlin nur schwer klappen. „90 Prozent der Kinder, die uns nach der Willkommensklasse zugewiesen werden, können noch gar kein Deutsch“, sagt Guido Richter.

Ein Fazit nach zehn Jahren: Die Flüchtlingskrise, zu wenige Profis in den Willkommenklassen und genereller Lehrermangel kamen in Berlin zur gleichen Zeit mit fatalen Folgen zusammen. Die messbaren schulischen Leistungen der Schüler in Berlin sinken seit 2015. Die Coronapandemie verschärfte die Situation weiter.

Schülerleistungen sinken stetig

„Wann immer Berlins Schülerleistungen getestet werden, geht es abwärts, und zwar besonders auffällig seit der Flüchtlingskrise von 2015/16“, so der Tagesspiegel. Seit dem Schuljahr 2015/26 erlebe Berlin einen dramatischen Leistungsverfall. Regelmäßig erhobene Vergleichsdaten der Viert- und Neuntklässler, die das Institut für Qualität im Bildungswesen (IQB) auswertet, zeigen, dass es zwischen 2016 und 2021 einen „immensen Leistungsschwund“ bei den Viertklässlern gab.

Demnach wuchs die Gruppe derer, die nicht ausreichend gut Lesen und Rechnen können um ein Drittel. 27 Prozent mehr Schüler konnten nicht ausreichend gut zuhören. 2021 schaffte die Hälfte der Viertklässler die Mindestanforderungen in Orthografie nicht. Ebenso desaströs fielen die Tests bei den Neuntklässlern aus. Die Schüler, denen die Grundvoraussetzung für eine Ausbildung fehlte, wurden mehr: Zwischen 2016 und 2022 wuchs diese Gruppe um mindestens ein Viertel.

Die Gründe für die erodierenden Schülerleistungen sind vielfältig. Neben der Coronapandemie machen Fachleute vor allem eine veränderte Schülerschaft als Ursache aus. Zu dieser Veränderung gehöre in erster Linie der enorme Anstieg der Migrantenquote, so der Tagesspiegel. Zwischen 2014 und 2022 wuchs ihr Anteil von rund 40 auf über 50 Prozent bei den Erstklässlern.

2024 so viele Willkommenschüler in Berlin wie 2016

Daten der Senatsverwaltung für Bildung belegten, wie konstant hoch das Level der Willkommensschüler seit 2015 blieb: Ihre Zahl erreichte 2024 nochmals fast den Höchststand von 2016, mit etwa  12.000 Willkommensschülern.