Gesundbrunnen und Co.

In diesen Berliner Kiezen haben Erstklässler arge Sprachdefizite

Es ist kein Geheimnis: Kinder in Wedding schneiden bei den Schuleingangsuntersuchungen regelmäßig schlechter ab, als ihre Altersgenossen nur wenige Meter weiter in Pankow. Doch warum macht keiner etwas mit den Daten?

Author - Stefanie Hildebrandt
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Kinder der Fröbel-Kita machen im Haus Bastian einen Kunst-Workshop. Spätestens in der Kita muss Sprachausbildung beginnen, wenn Kinder in der Schule erfolgreich sein wollen.
Kinder der Fröbel-Kita machen im Haus Bastian einen Kunst-Workshop. Spätestens in der Kita muss Sprachausbildung beginnen, wenn Kinder in der Schule erfolgreich sein wollen.Sabine Gudath

Es ist kein Geheimnis: Kinder in Wedding schneiden  bei den Schuleingangsuntersuchungen regelmäßig schechter ab, als ihre Altersgenossen nur wenige Meter weiter in Pankow. Egal, ob es um Sprachkompetenz, Feinmotorik oder Übergewicht geht, den Behörden liegt mit den kiezgenau erhobenen Daten eigentlich ein Schatz vor, den es für eine bessere Bildung für alle zu nutzen gilt.

Der Tagesspiegel hat nun in Zusammenarbeit mit der Rechercheplattform „Correctiv Lokal“ die kleinteiligen Daten ausgewertet, die helfen könnten, genau diejenigen Schüler besser zu fördern, die es brauchen. Denn zuerst einmal muss man wissen, wo der Bedarf an pädagogischer Unterstützung besonders groß ist.

Aus den Daten der Schuleingangsuntersuchungen ergeben sich  für 58 Kieze die Hotspots, in denen die Kinder nicht ausreichend gut sprechen, um in der Schule erfolgreich zu starten. „Die Zahlen können bedeuten, dass ein Kind Probleme damit hatte, einen Satz fehlerfrei nachzusprechen. Oder dass ein Kind mit Migrationshintergrund nur unzureichende Deutschkenntnisse mitbringt“, so der Tagesspiegel. Ohne Sprache in der Schule ist alles nichts.

Hier ballen sich die Sprachdefizite der Erstklässler

In einigen Gegenden Berlins ballen sich die Sprachprobleme, hier ist fast jedes zweite Kind nicht fit genug: Fast 59 Prozent aller Kinder, die in der Gegend um den Gesundbrunnen wohnen, wiesen bei ihrer Schuleingangsuntersuchung im Jahr 2022 Sprachdefizite auf. Im Märkischen Viertel waren es 59.2 Prozent der Erstklässler. In Kreuzberg Nord, der berlinweite Spitzenreiter, waren es 59.7 Prozent. In Spandau Mitte / Nord ebenfalls über 50 Prozent,  53.9 Prozent waren es in Wilhelmstadt / Staaken. In Hohenschönhausen Nord waren es 49.7 Prozent, in Marzahn 49.6,  Hellersdorf 52.2 Prozent, in Gropiusstadt 48.5 Prozent.

Der Mittelwert für ganz Berlin liegt bei 32,9 Prozent. Am wenigsten Sprachprobleme gibt es nach der Erhebung in Treptow Köpenick 5 mit nur 9.3 Prozent der Erstklässler, die ein sprachliches Defizit aufwiesen. Auch im Süden von Lichtenberg (10. 7 Prozent) und im grünen Norden von Reinickendorf (11 Prozent) sah es gut aus.

Wohnort entscheidet mit über Schulerfolg

„Die Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen zeigen: Wie ein Kind ins Schulleben startet, hängt stark damit zusammen, in welchem Kiez es aufwächst. Entscheidend ist oftmals der familiäre Hintergrund. Kinder, deren Eltern zugewandert sind, schneiden tendenziell schlechter ab, insbesondere bei den Sprachtests“, bilanziert der Tagesspiegel.

Kann Obergrenze in Schulen das Problem lösen?

Doch anstatt eine Obergrenze für Schüler mit Migrationshintergrund in den Klassen  zu installieren, wie Bildungsministerin Karin Prien vorschlug, plädieren Forscher dafür, alle Schüler und besonders die mit Defizit besser auszubilden und zu stärken. Macht Kinder mit Migrationshintergrund schlau, anstatt ihre Anzahl zu begrenzen, fordern sie. In einer bildungswissenschaftlichen Einordnung befassen sich etwa Aileen Edele, Camilla Rjosk und Petra Stanat vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Humboldtuniversität Berlin mit der Frage: Wäre es günstiger, wenn sich Kinder mit familiärer Einwanderungsgeschichte weniger stark in einigen Schulen konzentrieren würden als bislang?

Eine Mutter wohnt mit vier Kindern auf 50 qm. Die soziale Herkunft entscheidet in Berlin immer noch über den Bildungserfolg an der Schule.
Eine Mutter wohnt mit vier Kindern auf 50 qm. Die soziale Herkunft entscheidet in Berlin immer noch über den Bildungserfolg an der Schule.Jordis Antonia Schlösser/ Ostkreuz

Die Forschung zeige, dass nicht der Anteil von Schülern und Schülerinnen mit Migrationshintergrund per se entscheidend sei für Lernfortschritte, sondern die soziale Herkunft und das mittlere Vorwissen der Klasse. In der Bildungsforschung ist gut bekannt, dass Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus häufiger Sprachdefizite haben, das Elternhaus macht den Unterschied. Die Autorinnen arbeiten außerdem heraus, dass pädagogische Entscheidungen sich nicht an der Herkunft von Schülerinnen, sondern an deren Lernstand und Förderbedarf orientieren sollten.

Hier muss man möglichst frühzeitig ansetzten. Kinder aus Familien, in denen Deutsch nicht als Muttersprache gesprochen wird, sollten Deutsch über Muttersprachler spätestens im Kindergarten erlernen können, heißt es in einem Gutachten der Leopoldina, das bereits aus dem Jahr 2014 stammt. Geschehe dies nicht, sei davon auszugehen, dass keine vollständige Kompetenz in der deutschen Sprache erreicht werde.

Kinder müssen in der Kita Deutsch von Muttersprachlern lernen

Doch der Anteil der Kinder, die mindestens zwei Jahre eine Kita besuchen hat sich seit Jahren nicht erhöht. Er liegt aktuell bei rund 88 Prozent. Erst ab dem kommenden Jahr sollen in Berlin alle Eltern per Brief erinnert werden, wenn ein Kind im dritten Jahr immer noch nicht zur Kita angemeldet ist.