Die Gemeindemitglieder in der Kreuzberger Synagoge am Fraenkelufer halten Bilder von vermissten Kindern in die Kameras. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel sind Kinder wie Kfir, ein sechs Monate altes Baby, der vierjährige Ariel und die sechsjährige Amelia Aloni vermisst.
Aus Solidarität mit Israel nach dem Terrorangriff der palästinensischen Hamas hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Freitag die jüdische Gemeinde und ihre Synagoge in Berlin-Kreuzberg besucht. Steinmeier traf am Freitagmittag am Fraenkelufer ein. Geplant waren Gespräche mit Mitgliedern der Gemeinde. In Berlin gibt es acht Synagogen.
Im Anschluss an den Besuch veröffentlichte das Bundespräsidialamt ein Statement Steinmeiers. Darin erklärt er: „Der heutige Tag ist ein Tag der Angst für Juden weltweit und in Deutschland. Eine Angst, die in Israel vor sieben Tagen grausame Wirklichkeit wurde.“
Vor einer Woche habe ein Terrorkrieg gegen den jüdischen Staat und seine Menschen begonnen.
Das „Eindringen von mehr als 1500 schwer bewaffneten Terroristen nach Israel, die Jagd auf Jüdinnen und Juden machen, Menschen aus ihren Autos zerren, die von Haus zu Haus gehen, jeden ermorden, der in ihre Hände fällt, Eltern mit ihren Kindern, die ein Massaker verüben an den jungen Besuchern eines Musikfestivals, die Menschen in Todesangst verhöhnen, als Geiseln in den Gazastreifen verschleppen – ein solches Maß an roher Gewalt, eine solche unvorstellbare Brutalität und Grausamkeit haben wir zuvor in Israel nicht erlebt.“ Mehr als 1000 wehrlose Zivilisten seien diesen monströsen Verbrechen gegen jede Menschlichkeit zum Opfer gefallen.

Er habe in den letzten Tagen mehrfach mit dem israelischen Staatspräsidenten Herzog gesprochen. Das Entsetzen, aber auch die Entschlossenheit in seinen Worten seien gleichermaßen groß. „Was ist für Israel anderes möglich, als in der Stunde solcher Gefahr mit militärischer Macht die Terroristen zu bekämpfen und ihre Waffenlager und Strukturen zu zerstören. Israel hat das Recht zur Selbstverteidigung. Und wir stehen Israel zur Seite“, erklärte Steinmeier.
Die Angst und die Gewalt gesät durch die Terrororganisation Hamas seien noch nicht zu Ende. „Deshalb ist mein Platz heute unter Ihnen. In dieser Stunde stehe ich stellvertretend für unsere ganze Nation an der Seite unserer bedrohten Landsleute, an der Seite aller Jüdinnen und Juden in Deutschland“, sagte Steinmeier.
Synagoge mit bewegter Geschichte in Berlin
Die Synagoge am Fraenkelufer sei die erste in Berlin gewesen, in der im Herbst 1945 nach der Shoah wieder ein offizieller jüdischer Gottesdienst stattfinden konnte. „Der Völkermord an den Juden Europas hat Deutschland eine nie endende historische Verpflichtung auferlegt: Nie wieder dürfen Juden in Deutschland um ihr Leben fürchten müssen.“
Nur wenn die jüdischen Mitbürger in Frieden und Sicherheit leben könnten, könne es unser ganzes Land, so der Bundespräsident.
Konkrete Maßnahmen, die sich daraus ergeben, sind der verstärkte Schutz jüdischer Einrichtungen in Deutschland, dass man jene zur Rechenschaft zieht, die auf unseren Straßen den Terror gutheißen. Das Verbot der Hamas und ihrer Tarnorganisationen in Deutschland zählt ebenfalls dazu.
„Wer in Deutschland leben will, muss Auschwitz begreifen“
Doch nicht nur Polizei und Sicherheitsbehörden seien gefordert, betonte Steinmeier in seinem Statement: „Jeder von uns kann unseren Nachbarn und Mitbürgern beistehen in ihrem Schmerz und ihrer Angst. Wir können sie trösten, können bei ihnen sein, ihnen Mut machen, uns vor sie stellen. Das wünsche ich mir jetzt, nein, das erwarte ich mir jetzt von allen Menschen, die in unserem Land leben, und zwar unabhängig von Herkunft, Erfahrung und Religion.“
Der Bundespräsident mahnt: „Ganz gleich, ob seit Generationen in Deutschland lebend oder zugewandert: Wer Deutscher ist oder auf Dauer in unserem Land leben will, muss Auschwitz kennen und begreifen. Der muss die Geschichte kennen, die uns in besonderer Art und Weise mit Jüdinnen und Juden und auch mit dem Staat Israel verbindet. Der muss wissen, dass Antisemitismus, dass Judenhass keine Meinung ist, sondern eine menschenverachtende Straftat. Und der muss die Sicherheit von Jüdinnen und Juden in unserem Land auch zu seiner Sache machen!“

Terroristen wollen Keil in unsere Gesellschaft treiben
Auch in dieser dunklen Stunde gebe es Hoffnung: „Heute Abend wollen sich vor dieser Synagoge Nachbarn zusammenfinden, um den Shabbatgottesdienst durch ihre bloße Anwesenheit draußen auf der Straße zu schützen. Und viele tun es ihnen gleich, an vielen Orten unseres Landes. Und deshalb will ich allen danken, die solche Zeichen der Mitmenschlichkeit senden. Lassen wir nicht zu, dass Mörder und Terroristen einen Keil in unsere Gesellschaft treiben. Die Angst ist groß, ja. Aber der Zusammenhalt ist stärker.“
Für den Abend rief der Verein AMCHA Deutschland, Zentrum für psychosoziale Hilfe für Überlebende des Holocaust in Israel, zu einer mehrstündigen Mahnwache in der Nähe der Synagoge auf.
Am Donnerstagabend hatten mehrere Hundert Menschen auf dem Wittenbergplatz nahe dem Kudamm an die Opfer des Terrorangriffs erinnert und die Namen der Toten verlesen. Viele Teilnehmer hatten Kerzen mitgebracht, einige hatten Tränen in den Augen.