Im August rocken Die Ärzte

Spielplatz oder Bauland? Es wird wieder über das Tempelhofer Feld in Berlin gestritten

Aus 20.000 Berlinern sollen demnächst bis zu 275 Menschen ausgelost werden, die sich in Dialogwerkstätten mit dem Tempelhofer Feld beschäftigen. Dort sollen sie Thesen für die Entwicklung des Areals entwickeln.

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Die große, weite Leere: Grünflächen des Tempelhofer Feldes könnten in Zukunft für eine Randbebauung genutzt werden.
Die große, weite Leere: Grünflächen des Tempelhofer Feldes könnten in Zukunft für eine Randbebauung genutzt werden.Sebastian Gollnow/dpa

Auf dem Vorfeld des Tempelhofer Flughafens wird es vom 23. bis zum 25. August laut. Sehr laut und sehr lustig. Drei Tage lang werde die Ärzte mit dem Programm „OMG Die Ärzte LOL“ das Tempelhofer Feld live beschallen. Ansonsten geht es hier eher ruhig zu. Seit dem Volksentscheid von 2014 ist das Tempelhofer Feld Berlins größte Freizeitfläche. Doch jetzt gibt es Bestrebungen, wegen stark gestiegener Mieten und Wohnungsmangels, zumindest auf Teilen des Areals Wohnungen zu bauen.

Wo einst Flugzeuge starteten und landeten, huschen Skater und Radfahrer über die Rollbahn. Kinder lassen mit ihren Eltern Drachen steigen, Familien versammeln sich um Camping-Grills zu Speis und Trank. Teenager chillen einfach auf einer Decke, Hunde tollen auf einem eigenen Gelände herum. An einigen Ständen bieten Händler Getränke oder Eis an, an anderer Stelle versuchen sich Menschen in der Pflege von Gemüsebeeten, ein kleines Theater aus Holz gibt es auch. Viele Besucher genießen Weite und Freiraum, ihr Blick schweift in die Ferne, wo die Kuppel des Berliner Fernsehturms die Sonne spiegelt.

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner ist für Wohnungsbau

Das Tempelhofer Feld auf dem Gelände des 2008 geschlossenen Flughafens Berlin-Tempelhof darf mit gut 300 Hektar als größte Spielwiese der Hauptstadt gelten. Vor zehn Jahren, am 25. Mai 2014, beschlossen die Berliner Wähler per Volksentscheid ein Gesetz, dass das gigantische Areal für alle Ewigkeit als Ort für Freizeit, Erholung und Sport sichern soll. Rund 64 Prozent stimmten seinerzeit dafür, das Gelände für diesen Zweck nur vorsichtig weiterzuentwickeln und vor allem dafür, es nicht zu bebauen.

Doch inzwischen hat sich die Stimmung verändert. Die vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) geführte Koalition aus CDU und SPD hat in ihrem Regierungsprogramm festgehalten: „Es bedarf angesichts der zugespitzten Wohnungsnot seit dem Volksentscheid 2014 einer neuen Debatte über die Zukunft des Tempelhofer Feldes.“ Man wolle Möglichkeiten einer „behutsamen Randbebauung in begrenzten Teilen der Fläche“ ausloten. Das angedachte Verfahren zur weiteren Zukunft des Feldes hat gerade begonnen.

Bei der Bürgerinitiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“, die den Volksentscheid einst voranbrachte, mischt sich in Feierstimmung zum Jubiläum daher auch Alarmstimmung. „Es war noch nie so ernst wie jetzt“, sagt Mareike Witt von der Initiative. „Das Tempelhofer-Feld-Gesetz ist praktisch das einzige geltende Gesetz, das von den Berlinerinnen und Berlinern direkt geschrieben wurde.“ Nun versuche die Politik, diesen demokratischen Prozess zu torpedieren und das Gesetz Schritt für Schritt auszuhöhlen.

Zahlreiche Berliner grillen bei sommerlichen Temperaturen auf einem Grillplatz auf dem Tempelhofer Feld.
Zahlreiche Berliner grillen bei sommerlichen Temperaturen auf einem Grillplatz auf dem Tempelhofer Feld.Monika Skolimowska/dpa

Als ersten Schritt wertet die Initiative eine jüngst im Landesparlament beschlossene Änderung, die eine zeitlich befristete Vergrößerung eines bestehenden Wohncontainerdorfes für Flüchtlinge erlaubt. Unterkünfte für geflüchtete Menschen seien nur ein Vorwand für weitergehende Maßnahmen, glaubt sie. Eine dauerhafte Randbebauung des früheren Flughafengeländes mit Wohnungen als möglicher nächster Schritt wollen Witt und ihre Mitstreiter verhindern, unter anderem mithilfe einer Petition, für die gerade Unterschriften gesammelt werden. Ziel ist die Aufnahme des Feldes in die Unesco-Welterbeliste.

„Das Tempelhofer Feld wird immer beliebter, hat sich zu einem Wahrzeichen Berlins gemausert“

„Pro Woche kommen durchschnittlich 200.000 Besucher auf das Feld“, sagt Witt. Allein an einem schönen Sonntag seien es schon mal bis zu 80.000. „Das Tempelhofer Feld wird immer beliebter, hat sich zu einem Wahrzeichen Berlins gemausert“, so Witt. Der Freizeitwert sei nicht hoch genug zu bewerten, und Flächen für rund 200.000 Wohnungen, die Berlin laut offiziellen Angaben bis 2040 braucht, gebe es auch so genügend in der Stadt. „Das Tempelhofer Feld wird dafür nicht gebraucht.“

Ähnlich sieht das der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der obendrein auf eine überragende Bedeutung des Areals im Zuge des Klimawandels und für die Natur verweist. Auf dem Feld werde es nachts kälter als in den dicht bebauten Stadtteilen drumherum, erläutert BUND-Landesgeschäftsführer Tilmann Heuser. Als Kaltluftschneise sei das riesige, für eine Metropole „atypische Areal“ in Zeiten der Erderwärmung immens wichtig für die Stadt. Zudem lebten dort etliche Tierarten, natürlich ist auch die Feldlerche mal wieder dabei.

Farin Urlaub und die Band Die Ärzte rocken im August am Rande des Tempelhofer Feldes. 
Farin Urlaub und die Band Die Ärzte rocken im August am Rande des Tempelhofer Feldes. Silas Stein/dpa

Bei allen Diskussionen um eine teilweise Wohnbebauung vermisst Heuser ein Gesamtkonzept. Bisherige Untersuchungen etwa von Stadtplanern hätten gezeigt, dass eine Bebauung mit Wohnungen im Prinzip an keinem der Ränder Sinn mache: Das unter Denkmalschutz stehende große frühere Terminalgebäude, in und an dem es regelmäßig Veranstaltungen wie Konzerte gebe, spreche ebenso dagegen wie Stadtautobahn, S-Bahn und Gewerbegebiete am Südrand oder hochverdichtete Wohnviertel am Ostrand.

Berlins Senator für Bauen und Wohnen, Christian Gaebler (SPD), sieht das anders. „Das Tempelhofer Feld gehört zu den wenigen Flächen in Berlin, die in Landesbesitz sind und dadurch gemeinwohlorientierten, bezahlbaren Wohnungsbau für alle Bevölkerungsschichten ermöglichen“, sagt ein Sprecher. Mit Blick auf Nachhaltigkeit und aus Gründen des Klima- und Ressourcenschutzes biete sich das Feld für eine gemischte Entwicklung an mit Wohnen, sozialer Infrastruktur, Freizeit- und Erholungsflächen, von der viele Menschen profitieren könnten. Und: „Die hervorragende Verkehrsinfrastruktur mit U-Bahn und S-Bahn ermöglicht eine Auto-arme Entwicklung.“

275 Berliner werden jetzt über die Zukunft des Tempelhofer Feldes diskutieren

Schwarz-Rot könnte das per Volksentscheid beschlossene Tempelhof-Gesetz einfach im Abgeordnetenhaus ändern. Rechtlich ist das ohne weiteres möglich, politisch könnte das aber als Missachtung des demokratischen Votums der Bürger verstanden werden. Gerade in Zeiten, in denen immer weniger Menschen Vertrauen in Politik und Demokratie haben, wäre das fatal. Daher scheut die Koalition diesen Weg auch und wählte einen anderen, den Bürgerinitiative und BUND als „Pseudo-Bürgerbeteiligung“ kritisieren.

Aus 20.000 zufällig ausgewählten Berlinern sollen zunächst bis zu 275 Menschen ausgelost werden, die sich in sogenannten Dialogwerkstätten mit dem Tempelhofer Feld beschäftigen. Dort sollen sie – wie es heißt ohne Vorfestlegung – Thesen für eine zukünftige Entwicklung des Areals entwickeln. Die Ergebnisse fließen später in die Aufgabenstellung eines internationalen planerischen Ideenwettbewerbs ein.

Erst danach – und das wird nicht mehr in der bis 2026 laufenden Legislaturperiode sein – will die Politik über den Bau von Wohnungen entscheiden. Und die Bürger, das haben CDU und SPD zugesichert, sollen erneut darüber abstimmen können. Wie das funktionieren soll, ist noch offen: Ein Volksentscheid von oben ist in Berlin bisher gesetzlich nicht vorgesehen. ■