Bildungsmisere

Referendare in Not: Sie müssen in Berlin für fehlende Lehrer herhalten

Mit dem neuen Schuljahr müssen angehende Lehrer zehn Stunden pro Woche alleine unterrichten, Zeit für Hospitationen und angeleiteten Unterricht fehlt.

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In den Berliner Schulen müssen Referendare für fehlende Lehrer herhalten und zehn Stunden pro Woche unterrichten.
In den Berliner Schulen müssen Referendare für fehlende Lehrer herhalten und zehn Stunden pro Woche unterrichten.Patrick Pleul/dpa

Nach mehr als sechs Wochen Ferien ist am Montag in Berlin wieder die Schule gestartet. Die großen Probleme sind aber auch im neuen Schuljahr die gleichen wie vor den großen Ferien. Es mangelt weiterhin an Lehrern: In Berlin sind laut Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) etwa 695 Stellen unbesetzt. Lücken, die jetzt von Referendaren, Lehrern in Ausbildung, gestopft werden sollen. Doch die fühlen sich überfordert.

Seit November hat die Berliner Bildungsverwaltung laut Senatorin mehr als 3000 Lehrer neu eingestellt, darunter 1273 mit einer abgeschlossenen Ausbildung. „Es bleibt angesichts des bundesweiten Lehrkräftemangels dabei, dass wir nicht ausschließlich grundständig qualifizierte Lehrkräfte einstellen, sondern auch Quer- und Seiteneinsteiger“, sagte Günther-Wünsch. Zuletzt habe deren Anteil bei den Neueinstellungen etwa bei 50 Prozent gelegen – Tendenz steigend.

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft schlägt Alarm

Lücken, in die jetzt junge Referendare springen sollen. Sie sollen im neuen Schuljahr zehn statt wie bisher sieben Schulstunden pro Woche unterrichten, wie es in einem Rundschreiben der Bildungsverwaltung heißt. Und das so bald wie möglich nach einem Ausbildungsstart auch selbstständig. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisiert das, so bliebe für keine Zeit mehr für nötige Hospitationen und angeleiteten Unterricht. Statt für genügend Lehrkräfte zu sorgen, werde „eine hochwertige Ausbildung der Unterrichtsversorgung geopfert“, heißt es.

Melina (22) und Sofia (23) sind zwei Referendarinnen, angehende Lehrerinnen, die in Tempelhof und Wittenau eingesetzt werden, die in der Berliner Zeitung erzählen, dass angehende Lehrer in Berlin vor allem an Schulen eingesetzt werden, in denen der Lehrermangel besonders groß ist, wo du „jetzt als Referendar in der Woche statt sieben, zehn Stunden leisten musst – für das gleiche Geld, um diesem Lehrermangel entgegenzuwirken“. 

Als Lehrkräfte werden wir letztendlich leider Marionetten

Wünsche bei der Schulzuteilung werden kaum noch berücksichtigt. „Du musst dich über ein Portal bewerben und kannst Wünsche angeben, wo du gerne arbeiten würdest“, erzählt Melina in der Berliner Zeitung. „Das heißt aber nicht, dass es berücksichtigt wird.“ Man werde einfach einer Schule zugewiesen. „Für das Praxissemester im Master war der Ablauf ähnlich, da hatte Sofia ihren Viertwunsch bekommen und ich habe zehn Wünsche angegeben – und keiner wurde berücksichtigt. Es ist ein Lottospiel.“

Aber es läuft ja nicht nur an Schulen so. Bei Personalmangel werden Studenten gerne als unbezahlte Arbeitskräfte genommen, zum Beispiel bei praktischer Arbeit in Medizinstudium. Lernt man dabei wenigstens etwas? „Das ist leider meistens gar nicht der Fall“, sagt Sofia. „An den meisten Schulen bist du plötzlich alleine und machst den Unterricht, weil es zu wenige Lehrkräfte gibt. Bei den Pflegekräften ist es ja genau das Gleiche.“

Melina und Sofia sind mit dem Studium noch nicht fertig, aber schon frustriere, weil sie das Schulsystem in Deutschland für nicht so gut halten. „Und als Lehrkräfte werden wir letztendlich leider Marionetten, die machen müssen, was ihnen gesagt wird“, sagt Sofia in der Berliner Zeitung. „Ich glaube, ich kann mir andere Orte vorstellen, an denen ich mich wohler fühlen würde. Gleichzeitig geben die Kinder mir wahnsinnig viel und ich bin schon glücklich, wenn ich von den Kindern etwas zurückbekomme – dann lohnt es sich auch irgendwie wieder.“ ■