Eigentlich ist es ziemlich einfach: Der demografische Wandel in Deutschland sorgt dafür, dass es in vielen Branchen zu wenige Fachkräfte gibt. Doch in der Pflege schlägt das Problem gleich doppelt zu. Auf immer mehr pflegebedürftige Menschen, die dank Fortschritten in der Medizin auch immer älter werden, trifft der Mangel an jungen Pflegerinnen und Pflegern in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder zu Hause. Wer soll’s machen? Das Waschen, Kümmern, Medikamentieren, Wunden versorgen, Infusionen geben?
Sie holt ausländische Pflegekräfte nach Berlin
Barbara Putzolu ist Pflegedirektorin am Helios-Klinikum „Emil von Behring“ in Steglitz-Zehlendorf. Sie ist Expertin dafür, auf der ganzen Welt Pflegefachkräfte ausfindig zu machen und sie zu motivieren, zu uns nach Berlin zu kommen. „Ohne ausländische Pflegekräfte geht es nicht“, sagt sie.
80 Pflegerinnen und Pfleger wirbt sie Jahr für Jahr für das Helios-Klinikum im Berliner Südwesten an. In einem eigenen Bildungszentrum an der Friedrichstraße werden die zukünftigen Pfleger dann fit für den deutschen Krankenhausalltag gemacht. Barbara Putzolu ist stolz auf die dortige Übernahmequote von 95 Prozent.
Doch schon lange vorher haben sich die Pflegekräfte, immer noch meist Frauen, in ihrer Heimat auf den oft schweren Weg in eine bessere Zukunft gemacht. Sie haben Deutsch gelernt und bereits Erfahrungen im Pflegeberuf gesammelt. In anderen Kulturen ist der Pflegeberuf viel angesehener als bei uns. Dennoch wollen die Bewerberinnen einen großen Schritt ins Ausland wagen.

„Die Pflegerinnen wünschen sich oft eine sichere Zukunft, für ihre Kinder wollen sie ein gutes Bildungssystem, auch die Gehälter und die stabilen Verhältnisse in Deutschland sind Faktoren, die für die Pflegefachkräfte interessant sind“, erzählt Barbara Putzolu. Von ihren Reisen bringt sie oft einen anderen Blick auf die Verhältnisse in Deutschland, das für viele ein Sehnsuchtsort ist, mit.
Woher kommen die meisten ausländischen Pflegekräfte
Barbara Putzolu hat schon Castings auf den Philippinen, in Mexiko, Albanien, Indien, Tunesien, in der Türkei und in Brasilien durchgeführt. Auch die Ärzte aus der Helios Klinik kommen dann mit auf die Reise, wenn es an die Auswahl der neuen Arbeitskräfte geht. „Ärzte und Pflegefachkräfte arbeiten am Ende auf der Station Hand in Hand zusammen. Wenn man sich vor Ort kennenlernt, die dortigen Standards erfährt, wächst das Verständnis füreinander“, weiß Barbara Putzolu.
Wichtig beim Auslands-Recruiting ist, dass in dem Herkunftsland selber kein Mangel an Pflegefachkräften herrscht. Doch wo die Gesellschaften jünger sind und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt eher schlecht, kommt das Angebot aus Deutschland, das das Leben verändert, für viele gerade recht.

Anerkennung für Fachkräfte aus dem Ausland komplex
Wenn die „Neuen“ da sind, beginnt ein oft komplexer Anerkennungsprozess. Auch diesen begleiten das Krankenhaus und die Pflegedirektorin sehr eng. Neben der Sprachausbildung bis mindestens zum B2-Niveau beginnt der Anerkennungslehrgang, der sicherstellt, dass alle Pflegefachkräfte den Standard in deutschen Kliniken erfüllen. Je nach Vorkenntnissen dauert das drei bis neun Monate, in denen praktische und theoretische Übungen zu leisten sind.
Alle Bewerber kommen dann unweigerlich mit typisch deutschen Behörden-Begriffen in Kontakt: so listet etwas ein „Defizitbescheid“ auf, wo in der Ausbildung noch nachgebessert werden muss und Stunden fehlen.

Barbara Putzolu kennt all die weiteren Hürden, die während der Anerkennungszeit auftauchen können. Sie hilft bei der Wohnungssuche, aber auch beim Zurechtfinden in der neuen Umgebung. „So ein langer grauer Berliner Winter kann für eine Brasilianerin schon eine Herausforderung sein“, sagt sie. Zusätzlich zum Alltag auf der Station müssen Formalitäten erledigt, ein Bankkonto eröffnet, werden. „Manchmal sind wir schon so etwas wie ein Familienersatz.“
Sprachniveau für Ausländer in Deutschland wichtig
Auch die wendungsreiche deutsche Sprache hat immer wieder neue Herausforderungen parat. Wer Wendungen wie „Ich muss austreten“ perfekt versteht, und nicht denkt, ein Patient wolle tatsächlich treten, der hat schon ein gutes Stück des Weges geschafft.
Damit die Integration klappt, haben die neuen Mitarbeiterinnen auf den Stationen des Klinikums jeweils einen Mentor. Am besten ebenfalls eine ausländische Fachkraft, die sich schon durch die schwere Anfangszeit gekämpft hat. „Jeder auf der Station hilft mit, den Prozess erfolgreich zu machen, weil ja am Ende alle von den neuen Mitarbeitern profitieren“, sagt Barbara Putzolu.
Für ein gutes Teamgefühl tut sie gemeinsam mit ihrem Team fast alles: Es gibt Events zum Kennenlernen, Kochveranstaltungen, bei denen die „Neuen“ Gerichte aus der Heimat kochen und, wie an diesem Abend, einen Abend speziell für Pflegekräfte aus der Ukraine.
Im Pop-up-Store „Hallo Behring“ im Steglitzer Einkaufszentrum Das Schloss kommen interessierte Pflegerinnen aus der Ukraine zusammen, er gibt landestypisches Essen und Musik. Ein Stück Heimat in Berlin, das so dringend auf pflegerische Unterstützung aus der ganzen Welt angewiesen ist. Nach dem letzten Abend habe es 15 Bewerbungen gegeben, ein Erfolg, so Putzolu.

Noch bis Ende Mai will die Klinik in dem Shoppingcenter so etwas wie ein offenes Wohnzimmer in der Stadt anbieten, in dem alle Interessierten sich austauschen und informieren können. Pflege sei unheimlich vielseitig, schwärmt Barbara Putzolu. „Jeder findet den Bereich, der für ihn am besten passe, egal ob man es technisch, filigran, actionreich, sozial oder medizinisch mag.“
Zukunft in der Pflege liegt bei internationalen Kräften
Am Emil-von-Behring-Klinikum sind mittlerweile Pflegefachkräfte aus 38 Nationen beschäftigt. Und selbst aus anderen Bundesländern, in denen etwa die AfD bei der Wahl Zuspruch erhalten hat, trudeln Bewerbungen ausländischer Pflegekräfte bei ihr ein.
Über kulturelle Hindernisse innerhalb des Teams sei man am Behring längst hinweg, so die Italienerin Putzolu. Wenn es in der Vergangenheit Probleme gegeben habe, dann eher mit Patienten. Kürzlich beleidigte einer einen Pfleger aus einem anderen Kulturkreis rassistisch. Das ganze Team stellte sich hinter den Kollegen.
Alles prima für die Zukunft der Pflege also? Fast. „Natürlich ist es anstrengend, einen solchen Aufwand zu betreiben, um gute Leute zu finden und zu halten. Natürlich gibt es auch immer wieder Probleme mit der Sprache. Aber es gibt schlicht keine Alternative“, sagt Barbara Putzolu. Umso wichtiger, dass die Gesellschaft begreift, wie sehr uns ausländische Fachkräfte den Hintern retten. In jeglicher Hinsicht. ■