Die Polizei alarmiert ihn

Notfallseelsorger Christian Leppler: Er leistet „Erste Hilfe für die Seele“

Er ist Landespfarrer und freiwilliger Feuerwehrmann:  Der 53-Jährige war auch im Einsatz, als es im Mai zu einem Messerangriff an einer Schule in Spandau kam.

Author - Berliner KURIER
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Christian Leppler, Landespfarrer für Notfallseelsorge und Krisenintervention in Berlin, ist auch Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr Glienicke/Nordbahn.
Christian Leppler, Landespfarrer für Notfallseelsorge und Krisenintervention in Berlin, ist auch Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr Glienicke/Nordbahn.Britta Pedersen/dpa

Als im Mai ein Mitschüler an einer Grundschule in Berlin-Spandau auf einen 12-Jährigen einstach, wurde auch Pfarrer Christian Leppler alarmiert. Seit rund einem halben Jahr ist der 53-Jährige in der evangelischen Kirche Landespfarrer für Notfallseelsorge und Krisenintervention in Berlin. In der Praxis bedeutet das auch: Er ist rund um die Uhr erreichbar – jeden Tag.

Alarmiert werden Helfer wie Pfarrer Leppler ausschließlich über die Leitstellen der Feuerwehr, Polizei oder der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Sie wollen Menschen in einer akuten Krisensituation helfen – egal, ob sie eine religiöse Bindung haben oder nicht. Es geht darum, Menschen in seelischen Ausnahmesituationen „Erste Hilfe für die Seele“ zu leisten.

Messerangriff in Grundschule: „Ruhe in die Abläufe bringen“

„Es gibt Menschen, die sind körperlich nicht verletzt. Aber wir können sie nicht alleine lassen“, erklärt Leppler. „Wenn wir da sind, können andere gehen, zum Beispiel der Notarzt.“ In den Gesprächen gehe es teils darum, Trost zu spenden. Oft helfe es, zuzuhören und da zu sein. Erkennbar sind die Helfer durch Westen mit der Aufschrift „PSNV Notfallseelsorge“.

Zu seinen ersten Einsätzen im neuen Amt gehörte die Betreuung von Kindern an einer Grundschule in Berlin-Spandau nach einem Messerangriff auf einen Zwölfjährigen durch einen Mitschüler im Mai. Bei der Alarmierung erhalte man Stichworte wie „Schüler verletzt“, „Messer im Spiel“, schildert Leppler. „Dann ahne ich schon, hier werden mehrere Helfer gebraucht. Es gibt die Klasse des Verletzten, es gibt Augenzeugen, Ersthelfer.“ Dem müsse man gerecht werden.

Maximillian (12) wurde im Mai bei dem Messerangriff an einer Spandauer Grundschule verletzt. Lilly Uzomah (11) rette ihm das Leben. Sie war als Erste bei Max, hielt ihm die Wunde zu, und blieb, bis der Rettungsdienst kam.
Maximillian (12) wurde im Mai bei dem Messerangriff an einer Spandauer Grundschule verletzt. Lilly Uzomah (11) rette ihm das Leben. Sie war als Erste bei Max, hielt ihm die Wunde zu, und blieb, bis der Rettungsdienst kam.Veronika Hohenstein

Zeit für viele und lange Einzelgespräche gebe es in so einer Situation nicht. „Es geht darum, Ruhe in die Abläufe bringen“, so der 53-Jährige. Er habe die Mitschüler des lebensgefährlich Verletzten betreut, bis diese von den Eltern abgeholt worden seien. „Das Ereignis bleibt immer schockierend. Aber aus unserer Sicht ist der Einsatz soweit gut gelaufen“, meint der Vater dreier Kinder.

Auf Ablehnung sei er als Pfarrer bei so einem Einsatz bislang nicht gestoßen. Teils signalisierten Betroffene, dass sie sich einen Geistlichen zum Gespräch wünschten, schildert der Pfarrer, selbst Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr Glienicke/Nordbahn.  Manche Menschen verbänden Seelsorge automatisch mit der Kirche. „Es gibt andere, die das in der Situation gar nicht mit Kirche zusammenbringen“, so Leppler. „Für uns spielt das alles keine Rolle. Für uns zählt nur der Mensch.“

130 Ehrenamtliche sind bei der Berliner Notfallseelsorge

Vor 30 Jahren entstand in Berlin das Hilfsangebot der Notfallseelsorge/Krisenintervention. Heute gehören dem Team  rund 130 Ehrenamtliche an. Getragen wird das Angebot von der evangelischen und katholischen Kirche, der muslimischen Notfallseelsorge sowie den Hilfsorganisationen Johanniter-Unfall-Hilfe, Malteser Hilfsdienst, Arbeiter-Samariter-Bund, Deutsches Rotes Kreuz  und Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft DLRG.

Aus Sicht des Berliner Senats hat eine gut funktionierende psychosoziale Unterstützung einen „hohen Stellenwert“. Spätestens der islamistische Terroranschlag auf den Breitscheidplatz im Dezember 2016 mit 13 Toten habe die Bedeutung der psychosozialen Folgen für Opfer, Angehörige, Hinterbliebene sowie Zeugen und weitere Betroffene in den Mittelpunkt gerückt.

Damals gab es viel Kritik von Betroffenen an der Betreuung. Berlin zog daraus mehrere Konsequenzen. Dazu gehört ein Gesetz zur Psychosozialen Notfallversorgung, das im August 2021 beschlossen wurde. „Als erstes Bundesland hat das Land Berlin damit eine gesetzliche Grundlage für die psychosoziale Notfallversorgung geschaffen und ist damit bis heute Vorreiter“, erklärt Sabine Beikler,  Sprecherin der Innenverwaltung (mit dpa).