Würden Sie Geld für ein geheimnisvolles Paket bezahlen – ohne zu wissen, was sich darin verbirgt? In Berlin können Sie jetzt genau das tun: Auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain findet sich neuerdings, etwas versteckt hinter einer Wurst-Bude, ein Verkaufsautomat mit der Aufschrift „Secret Packs“. Hier gibt es für zehn Euro große und kleine Pakete, Retouren von Versandhändlern. Man kauft sich die Päckchen, ohne zu wissen, was sich darin verbirgt. Das besonders Glücksspiel zieht die Massen an. Wir haben es ausprobiert – und verraten, was in den Paketen steckt.
Neuer Automat auf dem RAW-Gelände spuckt Überraschungspakete aus – für 10 Euro!
Ein Paket kaufen, dessen Inhalt ein Geheimnis ist – wer würde so etwas tun? Die Antwort: Ganz viele Menschen… und auch ich, KURIER-Reporter Florian Thalmann, habe das Abenteuer gewagt. Vor ein paar Tagen war ich mit Freunden in der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain unterwegs – wir saßen in einer Kneipe, tranken und plauderten. Und dann, als wir den Heimweg antreten wollten, fiel mir ein, dass ich erst neulich von dem besonderen Automaten gelesen hatte. Er steht etwas einsam an der Seite des RAW-Geländes, die der Warschauer Straße zugewandt ist. Neben der Fressbude „Wursthain“ geht es die Metalltreppen hinab, dann nach rechts. Oben prangt die Schrift „Secret Packs“, drinnen leuchtet Neonlicht. Und davor tummeln sich die Nachtschwärmer.
Erfunden haben den Automaten findige Köpfe, die unter dem Namen „Loot Pack Hunters“ firmieren. „Wir kaufen die Retouren von einem Großhändler. Der Otto-Normalverbraucher kommt da gar nicht ran“, sagten sie in einem Interview. Was drinnen steckt, wissen selbst die Händler nicht. Teure Geräte können es sein, Kleidungsstücke, aber auch simple Technik-Bauteile wie Kabel und Stecker. Es gibt kleine Pakete und große, Tüten und Schachteln, nur eines haben sie alle gemein: Die Empfänger und Absender sind mit Sprühfarbe geschwärzt.

Was steckt in den Paketen im „Secret Packs“-Automaten auf dem RAW-Gelände?
Und was steckt nun darin? Als ich mit meinen Freunden auf dem RAW-Gelände ankomme, sehen wir schon aus der Ferne, dass mehrere junge Männer vor dem Automaten stehen. Einer hat ein seltsames Bauteil aus einem Paket gefischt, ein Ding, das ich noch nie gesehen habe, für das man aber Technik-Experte sein muss, um zu erahnen, wohin es gehört. Einer zeigt mehrere Handy-Hüllen. Er hat mit Absicht Pakete aus dem Automaten gezogen, die in der Form an Mobiltelefone erinnern, immer in der Hoffnung, dass sich ein echtes Smartphone im Päckchen verbirgt. Doch: Pustekuchen.
Was ist drin in den Paketen im „Secret Packs“-Automaten? Wir wollen es wissen!
Wir wollen es wissen – und beschließen, dass jeder ein Päckchen zieht. Eine Freundin ist zuerst dran. Sie gibt eine Nummer ein, zahlt die zehn Euro mit der EC-Karte. Es piept, es rattert, dann fällt ein kleines Paket in die Tiefe. Darin: Ein Spiele-Controller, Billig-Marke, verwendbar mit verschiedenen Konsolen. Nicht schlecht für den Anfang. Dann bin ich an der Reihe. Es poltert. In meinem Päckchen, das eher an eine Papiertüte erinnert, steckt ein Gerät, das man an den Fernseher anschließen kann, um etwa Netflix zu empfangen. So etwas habe ich leider schon, aber da der Originalpreis bei mehr als 70 Euro liegt, mache ich mir zumindest Hoffnung, das Ding verhökert zu bekommen.


Dann ist mein Freund an der Reihe. Er wählt einen großen Beutel aus – und erhält mehrere weiße Stoffteile. Eine Gardine? Mehrere BHs? Nein, es ist eine weiße Spitzen-Korsage mit passendem String mit Netz-Optik. Zum Brüllen! Nicht sein Stil, deshalb wird das Päckchen kurzerhand an eine Freundin verschenkt, die damit eher etwas anfangen kann. Die hat beim ersten Versuch nämlich nur einen Stift ergattert, mit dem man auf dem iPad schreiben kann. Warum ich „beim ersten Versuch“ schreibe, fragen Sie? Weil wir schon nach dem Auspacken ein weiteres Mal die EC-Karten zückten.
Der Automat piepst und poltert – und spuckt das nächste Überraschungspaket aus
Der Automat, er piepst und poltert immer wieder. Eine Freundin bekommt ein Paket mit einem langen, weißen Rock und passenden Ohrringen, eine aus unserer Truppe eine Mini-Kamera, wie sie in düsteren Ecken versteckt werden, um ahnungslose Menschen zu überwachen. Und ich? Ich komme endlich auch zu meinem Technik-Bauteil, mit dem ich nichts anfangen kann. Es ist ein Kamera-Display von Nikon, das ich aus dem Paket ziehe. Ich glaube fast, dass hier ein Retouren-Betrüger am Werk war, denn das Ding zieht nicht unbedingt neu aus. Hat sich ein pfiffiger Hobby-Fotograf vielleicht ein neues Display bestellt und das alte per Retoure zurückgeschickt? In jedem Fall hat er Glück, denn der Beschiss wird keinem mehr auffallen.


Um den Automat herrscht mittlerweile Trubel, eine Gruppe aus mehreren jungen Frauen hatte sich zu uns gesellt. Der weiße Rock mit den Ohrringen wandert direkt zu der Gruppe, denn meine Freundin trägt nur Schwarz. Es wird gelacht, es wird geguckt, es werden Pakete aufgerissen. Der Automat, so schräg er auch ist: Er bringt die Nachtschwärmer zusammen. Das Geheimnis der Pakete, es fasziniert uns wie eine gute Zaubershow. Wird’s ein Büstenhalter – oder doch eine Zahnbürste? Ich kann verstehen, dass sich hier Schlangen bilden. Und wären wir nicht irgendwann aufgebrochen: Ich hätte noch viel mehr Geld am Automaten gelassen.
Ich stehe aber auch auf Geheimnisse! Im vergangenen Jahr hatte ich über mehrere Monate ein Süßigkeiten-Abo. Nie hätte ich mir im Netz Schokolade und Gummibärchen bestellt, doch bei diesem Service weiß man nicht, was man bekommt. Man kann also die Kiste auspacken und sich von Dingen, die man noch nie zuvor gesehen hat, verzaubern lassen. Auch im Netz feiern Videos, bei denen sogenannte „Mystery-Boxen“ ausgepackt werden, riesige Erfolge. Und in Eitorf stehen beim Feuerwerks-Riesen Weco jedes Jahr Hunderte Menschen Schlange, um Überraschungspakete zu kaufen – ohne zu wissen, welche Raketen und Böller sich darin verbergen.

„Secret Packs“-Automat: Auf die Geschäftsidee wäre ich gern selbst gekommen
Das Konzept funktioniert auch auf dem RAW-Gelände. 70 Euro haben wir ausgegeben für Dinge, mit denen wir kaum etwas anfangen können. Bei den jungen Männern vor uns war es noch mehr. Es ist ein Geschäftsmodell, das sich lohnen muss – und auf das ich, ich bin ehrlich, gern selbst gekommen wäre. Als wir von dannen ziehen, hält ein Polizeiwagen. Sogar die Streifenpolizisten haben davon gehört und wollten kurz schauen, was es hier zu holen gibt. Sie staunen über den Andrang, können aber mit dem, was wir ihnen stolz präsentieren, wenig anfangen. Wir lachen gemeinsam, dann ziehen wir weiter. Ich fürchte, es wird nicht der letzte Besuch bleiben. ■