Jan Kajnath, stellvertretender Vorsitzender des Berliner Behindertenverbands (BBV), blickt mit Sorge auf die Öffis-Situation in Berlin. Die Stadt rühmt sich seit 2013, dass die Busflotte barrierefrei ist, aber was ist mit dem Rest? Die U-Bahnhöfe, die S-Bahnen, fragt er sich.
Wie es zu dem fürchterlichen Unglück an der U5 kommen konnte, ist für Jan Kajnath ein Rätsel. Es gibt doch so viele Sicherheitsvorkehrungen, so viele Maßnahmen, so viel, die genau solche Unglücke vorbeugen sollen, und dennoch verlor am vergangenen Samstag ein 68-jähriger Rollstuhlfahrer sein Leben, als sich sein Rad zwischen Tür und Bahnsteig verkeilte.
In der Meldung der Polizei stand, dass „… nach ersten Erkenntnissen der 68-Jährige gegen 20.20 Uhr auf dem Bahnsteig des U-Bahnhofes Brandenburger Tor versucht habe, sitzend in seinem Rollstuhl rückwärts in den Waggon der U-Bahnlinie U5 einzurangieren. Dabei sei er vermutlich mit einem Rad in dem Spalt zwischen Bahnsteigkante und U-Bahnwaggon verkeilt und sei beim Abfahren des Zuges mehrere Meter zwischen zwei Waggons mitgeschleift worden. Am Ende des Bahnsteiges sei der Mann mit einer Absperrung kollidiert und fiel auf das Gleisbett.“ Er starb noch vor Ort, an Folgen seiner schweren Verletzungen.
Genau in dieser Situation, also den Rollstuhl rückwärts in die U-Bahn zu manövrieren, hat Jan Kajnath sich auch schon oft gefunden. „Weißt du, nach so einem Vorfall … die Angst steigt …“, Kajnath zeigt sich bedrückt. Als Rollstuhlfahrer die Öffis zu nutzen, sei ohnehin nicht ohne, trotz aller Bemühungen der Barrierefreiheit.
Gerade bei den Kleinprofil-Wagons, die schmaler sind, sei es besonders schwierig und gefährlich, meint er. „Die sind zwar barrierefrei, aber der Einstieg ist schwierig. Man kann sich da drinnen nämlich nicht richtig umdrehen.“

Kajnath erklärt weiter: „Eigentlich ist Berlin nur bedingt barrierefrei.“ Er meint, dass die BVG zwar das Ziel hatte, bis 2022 alle Bahnhöfe barrierefreie zu bauen, aber bis heute sind noch nicht alle Bahnhöfe barrierefrei, „es fehlt beispielsweise an Aufzügen. Das ist eigentlich das größte Problem.“ Für ihn gestaltet sich das Reisen in Berlin dadurch ziemlich abenteuerlich. „Man muss sich vorher informieren, ob es Aufzüge gibt, und ob sie überhaupt funktionieren.“ Am Mittwoch (22. Januar 2025) waren zum Beispiel nach Angaben des Vereins Sozialhelden e.V. 21 Aufzüge in Berliner Bahnhöfen kaputt.
Seit Dezember nutzt Kajnath beispielsweise nicht mehr den Bundesplatz-Bahnhof, zum Umstieg in die S-Bahn, weil beide Aufzüge kaputt sind.
Gibt es Bahnhöfe, die du grundsätzlich umfährst? „Ja, der Brandenburger Tor U-Bahnhof ist in einer leichten Kurve gebaut, da muss man sich auskennen, weil die Abstände zwischen Gleis und Wagon sehr groß sein können“, hinter ihm rauscht eine U-Bahn Richtung Hauptbahnhof hinein. Er beobachtet, wie die Türen aufgehen. Der Zug ist ein barrierefreies Fahrzeug – so einer, der vermutlich auch den 68-jährigen zum Verhängnis wurde.

85 Prozent der Berliner U-Bahnhöfe sind barrierefrei
Er erzählt weiter, dass das Gleiche beim Alex gilt, beispielsweise die U2. „Ich vermeide den Alex immer, und fahre lieber im Straßenverkehr zurück.“ Der BVG ist bewusst, dass Bahnhöfe in Kurvenlage einen unregelmäßigen Spalt zwischen Zug und Bahnsteigkante haben. Naturgemäß ist der Spalt auf einer Bahnsteigseite größer. In diesen Bahnhöfen läuft dazu auch eine Durchsage („Mind the gap“). Das betrifft aber alle Nutzer gleichermaßen, schreibt die BVG auf Nachfrage des KURIERS.
Die BVG teilt dem KURIER am Donnerstag mit, dass die Untersuchungen nach dem tragischen Unfall noch nicht abgeschlossen sind. „Im Mittelpunkt steht die Frage, wie es trotz umfangreicher Sicherheitsvorkehrungen zu diesem tragischen Unglück kommen konnte“, schreibt BVG-Sprecher Stefan Volovinis in der Mail. Laut seiner Angaben können U-Bahnen nicht losfahren, wenn die Türen nicht vollständig geschlossen sind.
Derzeit sind rund 85 Prozent der Berliner U-Bahnhöfe barrierefrei – und schätzungsweise sind zwei Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland Rollstuhlfahrer.