Rund 34 Jahre nach dem Mauerfall soll ein Ex-Stasi-Mitarbeiter wegen heimtückischen Mordes vor Gericht kommen. Das Landgericht Berlin hat eine entsprechende Anklage gegen einen inzwischen 79-Jährigen aus Leipzig zugelassen, wie eine Gerichtssprecherin auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Wann der Prozess beginnt, sei noch offen, hieß es. Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte Mitte Oktober bekannt gegeben, dass sie Anklage gegen den früheren Stasi-Mitarbeiter erhoben hat.
Schuss aus dem Hinterhalt am Grenzübergang Friedrichstraße
Die Mordgeschichte ist Stoff wie aus einem Agentenkrimi: Der Angeklagte soll am 29. März 1974 einen Polen in Ost-Berlin am früheren Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße aus dem Hinterhalt erschossen haben. Laut Anklage soll der Mann das 38 Jahre alte Opfer „mit einem gezielten Schuss in den Rücken aus einem Versteck heraus“ getötet haben.
Das Opfer ist Czeslaw Kukuczka. Der damals 38-jährige Feuerwehrmann kommt aus Polen, ist verheiratet und hat drei Kinder. Er will die DDR verlassen, nach Florida auswandern. Am 3. März 1974 verschwindet Kukuczka spurlos. Niemand weiß, wo er die 26 Tage bis zu seinem Tod am Grenzübergang Friedrichstraße verbrachte. Auch seine Frau nicht.
Am Tag seines Todes betritt Kukuczka mittags die polnische Botschaft nahe dem Brandenburger Tor. Er behauptet, einen Sprengsatz in seiner Aktentasche zu haben. Er wolle ausreisen nach West-Berlin. Wenig später bringen ihn Stasi-Männer zum Grenzübergang Friedrichstraße. Er könne ausreisen, heißt es. Doch das ist eine Finte.
Die Stasi wollte Polen unschädlich machen
Der Beschuldigte soll laut Anklage zur Tatzeit einer Operativgruppe des Ministeriums für Staatssicherheit angehört haben und mit der „Unschädlichmachung“ des Polen beauftragt worden sein.
Die Stasi soll nur zum Schein entschieden haben, dem 38-jährigen Feuerwehrmann die Ausreise zu genehmigen. Als der Pole am 29. März 1974 jedoch den letzten Kontrollpunkt passiert hatte, fiel der Schuss.
Drei Zeuginnen berichten einem B.Z.-Reporter damals: „Als der Mann arglos vorbeigegangen war, wurde er von einem Zivilisten im dunklen Mantel und mit getönter Brille aus zwei Meter Entfernung in den Rücken geschossen.“
Laut Staatsanwaltschaft waren die Ermittlungen viele Jahre lang nicht vorangekommen: Erst 2016 habe es einen entscheidenden Hinweis aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv gegeben, hieß es von einem Behördensprecher. Anders als heute sei man zunächst von einem Totschlag ausgegangen. In diesem Fall wäre die Tat verjährt gewesen.

Inzwischen sieht die Staatsanwaltschaft das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt. Dieser Argumentation ist das Gericht zunächst gefolgt. Nach Angaben der Gerichtssprecherin hat die zuständige Kammer „die Anklage ohne Einschränkungen unter Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung zugelassen“. ■