Hohenschönhausen

Eltern verzweifelt: Gräber der Sternenkinder sollen verschwinden

Auf dem Friedhof St. Hedwig in Hohenschönhausen sollen Gräber von Sternenkindern weichen. Trauernde Eltern sind erschüttert.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Friedhof räumt Grabstellen von Stillgeborenen: Doch  Lynn, Kristin und Michael wollen an den Gräbern ihrer Sternenkindern trauern.
Friedhof räumt Grabstellen von Stillgeborenen: Doch Lynn, Kristin und Michael wollen an den Gräbern ihrer Sternenkindern trauern.Markus Wächter/Berliner Kurier

Verlieren Mutter und Vater ihr Kind, gehen sie verändert durch den Rest ihres Lebens. Auch ein still geborener Sohn oder eine Tochter sind weiter präsent im Leben seiner Familie. Manche Familien finden dann Trost an dem Ort, an dem ihr früh verstorbenes Kind begraben wurde. Sternenkinder nennt man sie, ihre Gräber sind meist liebevoll und bunt geschmückt. So auch auf dem katholischen Friedhof St. Hedwig in der Konrad-Wolf-Straße in Hohenschönhausen. Doch der Umgang mit genau diesem Herzens-Ort auf dem Friedhof sorgt jetzt für tiefe Bestürzung bei den Eltern der Sternenkinder.

„Vor kurzem haben wir unseren Sohn Cem im Rahmen einer gemeinschaftlichen Beisetzung für still geborene Kinder zur letzten Ruhe gelegt“, erzählt Lynn Roytberh. Doch nun soll Cems Grabstelle und die vieler anderer Sternenkinder plötzlich umgestaltet werden.

„Wenn ich sehe, wie sie das Grab von meinem Sohn schon plattgemacht haben, der Grabstein weg ist, verletzt mich das sehr“, sagt Lynn. Frisch ist der Schmerz um das sehnlich erwartete Kind.

Kind in der 22. Schwangerschaftswoche gestorben

Lynn war unruhig geworden, als ihr Sohn sich in der 22. Schwangerschaftswoche nicht mehr im Bauch bewegte. „Ich habe gehofft, dass er nur anders liegt und dass ein Besuch beim Arzt mir meine Sorge nehmen kann“, sagt sie leise am Grab ihres Sohnes.

Doch Cem kommt vier Tage nach der Schock-Diagnose still zur Welt. In der Klinik in Buch wird Lynn von Seelsorgern gut betreut. Sie erfährt von der Möglichkeit, ihren Sohn an einem würdevollen Platz begraben zu lassen.

Sternenkinder beerdigen lassen

In einem anonymen Sammelgrab werden bei der Sternenkind-Bestattung mehrere tot geborene Kinder gemeinsam begraben. Auf dem St. Hedwig Kirchhof zeigt ein Stein mit eingravierter Jahreszahl und einem Bild den Eltern, wo das eigene Kind gebettet ist. Viele der Grabstellen sind liebevoll geschmückt. „Für Erbse“ haben Oma und Opa auf ein weißes Marmorherz geschrieben, anderswo sind die Grabstellen mit Lichtern und Spielzeug geschmückt.

Eltern trauern um ihre Kinder, indem sie die Gräber liebevoll schmücken.
Eltern trauern um ihre Kinder, indem sie die Gräber liebevoll schmücken.Markus Wächter/Berliner Kurier

Doch als Lynn kurz nach der Beisetzung die Grabstelle ihres Sohnes wieder besucht, ist sie verstört. „Der Grabstein unseres Kindes wurde ohne Vorwarnung entfernt“, sagt sie. Gelbe Aushänge informieren die Angehörigen darüber, dass das ganze Areal umgestaltet werden soll.

Per Aushang werden Angehörige aufgefordert, alle Erinnerungsstücke, Kuscheltiere und letzten Grüße an die Kinder von der Fläche zu entfernen. „Ab dem Saisonbeginn 2026 werden die bisherigen Grabanlagen in Rasengräber umgewandelt. Der Beginn der Umbauarbeiten ist für Dezember 2025 vorgesehen“, heißt es.

Gras über den Gräbern der Sternenkinder

Es soll Gras über die Gräber wachsen. Anstelle der eigentlichen Grabstellen soll es stattdessen zwei zentrale Ablagestelle für Blumen und ein Kondolenzbuch geben, in das die Namen der Verstorbenen eingraviert werden. Das, obwohl den Eltern in der größten Not, nach dem Verlust ihres Kindes versprochen worden war, dass sie die Stelle, an der die weißen Kindersärge mit mehreren anderen still geborenen Kindern beerdigt wurden, schmücken und pflegen können. Auch Lynn hatte sich im Krankenhaus genau deswegen für diese Form der anonymen Bestattung entschieden.

Nun aber soll der Rasen über den Särgen frei bleiben, damit er besser gepflegt werden kann.

Kristin Michaelis und Michael Knopf am Grab ihres Sohnes, der während der Schwangerschaft starb.
Kristin Michaelis und Michael Knopf am Grab ihres Sohnes, der während der Schwangerschaft starb.Markus Wächter/Berliner Kurier

„Wenn man ein Kind verliert, wächst eben kein Gras über diesen Verlust“, sagen auch Kristin und Michael, auch sie sind betroffen über den unsensiblen Umgang mit den Gräbern der Sternenkinder. Michael und Kristin haben vor neun Jahren ebenfalls einen Sohn verloren, ein Zwilling im Bauch, Felias, überlebte. Sein Bruder, der Engel, wie die Familie ihn nennt, nicht.

Als die Familie beim Besuch auf dem Friedhof die Ankündigung sieht, ist alles wieder wie gestern. „Mein Sohn Felias schaute mich an und fragte, ‚Mama, warum weinst du. Was steht da?‘ ‚Sie wollen das Grab von deinem Engel einfach wegmachen‘“, erklärt sie ihrem Sohn. „Felias schaute mich an und sagte ‚aber Mama, das dürfen die doch nicht!‘“

Keine Kommunikation mit Kliniken

Die Angehörigen sind besonders davon getroffen, dass im Vorfeld kein Wort über die Umgestaltungspläne gefallen ist, dass auch in den Kliniken nichts davon bekannt war.

„Hätte ich es gewusst, hätte ich eine andere Form der Bestattung gewählt“, sagt Lynn Roytberh. „Der gesamte Bereich soll künftig nur noch eine Wiese sein – ohne individuelle Erinnerungsorte, ohne liebevolle Gestaltung, ohne sichtbare Spur unserer Kinder. Damit kann ich nicht leben.“ Es trifft sie besonders, dass die Pläne zur Umgestaltung längst bekannt waren und sie dennoch vor der Beerdigung am 28. November nicht darüber informiert wurde.

Warum sollen Gräber der Sternenkinder umgestaltet werden

Warum der Friedhof eine Neugestaltung plant, auch darüber erhalten die Eltern widersprüchliche Aussagen.

„Die Kirchengemeinde bietet die Gräber und deren Pflege seit 30 Jahren kostenfrei an und will das auch weiterhin tun, was leider dem Wirtschaftsprüfer nicht gefällt“, heißt es in einer internen Mail einer Mitarbeiterin an die Eltern.

Nur in dieser Einfassung sollen die Angehörigen zukünftig Blumen ablegen können.
Nur in dieser Einfassung sollen die Angehörigen zukünftig Blumen ablegen können.Markus Wächter/Berliner Kurier

Fallen die geschmückten Gräber wirklich Kostendruck zum Opfer? Weiter heißt es, es müsse eine bisher rechtlich und finanziell ungeklärte Situation behoben werden. An anderer Stelle bezieht man sich auf die Friedhofsordnung und prangert das wilde Schmücken und den Eintrag von Chemikalien ins Erdreich an.

Auf KURIER-Anfrage erklärt die Verwaltungsleiterin in der Friedhofsverwaltung das Vorgehen: „Aufgrund der anonymen Bestattung der Sternenkinder bestehen keine Nutzungsverträge mit Angehörigen. Somit hatten wir keine anderen Kontaktmöglichkeiten als einen öffentlichen Aushang auf dem Friedhof. Wir hatten uns erhofft, damit zu Totensonntag möglichst viele Personen zu erreichen. Eine unangekündigte Räumung erschien uns die noch schlechtere Lösung. Dass wir damit Angehörige verletzt haben, bedauern wir sehr und bitten um Entschuldigung. Wir versichern, dass wir diesen Ort der Trauer für das stillgeborene Leben beibehalten werden.“

Nur eben anders: Die Umgestaltung sei notwendig, weil der Umfang der anonymen Beisetzungen angestiegen sei, heißt es von der Verwaltung weiter, man sei angehalten, die Friedhofsordnung auch für die anonymen Grabstellen durchzusetzen.

„Diese lässt das Bestreuen mit Kies oder Kieselsteinen, das Auslegen von Platten sowie die Verwendung von Plastikblumen und anderen Gegenständen aus Kunststoff nicht zu.“  Man könne die Friedhofsordnung generell nur durchsetzten, wenn sie auch für die anonymen Grabstellen gelte, so das Argument. Die einzelnen Begräbnisse werden also in Rasenstellen umgewandelt.

Für die betroffenen Familien ist das ein harter Einschnitt, sie boten sogar an, sich an der ordnungskonformen Gestaltung und Pflege der Grabstellen finanziell und persönlich zu beteiligen. Bei einem Blick über das Areal sind deutlich mehr der Grabstellen liebevoll betreut, nur wenige wirken unbesucht.

Der Stein, der auf der Grabstelle lag, in der Lynns Sohn beerdigt ist, ist verschwunden.
Der Stein, der auf der Grabstelle lag, in der Lynns Sohn beerdigt ist, ist verschwunden.Markus Wächter/Berliner Kurier

„Uns wurde schon ein Kind genommen und nun auch noch der Ort, um es zu beweinen“, sagt Lynn, die mittlerweile eine Petition zum Erhalt der ursprünglichen Anlage gestartet hat. Schon 450 Menschen haben unterzeichnet.

Das Angebot des Friedhofs, eine offizielle, leere Grabstelle zu kaufen und diese dann auch schmücken zu dürfen, lehnen die Eltern als pietätlos ab.

Der Friedhof versucht indes, die Wut der aufgebrachten Eltern zu glätten. Auf überarbeiteten Aushängen bittet man um Entschuldigung für das Vorgehen und erklärt. Es soll außerdem eine Infoveranstaltung zur Umgestaltung geben. Doch die Eltern wollen nur eins: an den echten Gräbern ihrer tot geborenen Kinder trauern.

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