Berliner Schulplatzlotterie

Langer Schulweg: Tim muss von Prenzlauer Berg nach Grunewald pendeln!

Aus dem Bezirk Pankow müssen Schüler immer wieder ellenlange Schulwege auf sich nehmen. Wie es ihm dabei ergeht, erzählt Schüler Tim.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Zur Grundschule ist ein Weg von 30 Minuten zumutbar, für die Oberschule gelten 60 Minuten Fahrzeit in Berlin als zumutbar für Schüler. 
Zur Grundschule ist ein Weg von 30 Minuten zumutbar, für die Oberschule gelten 60 Minuten Fahrzeit in Berlin als zumutbar für Schüler. IMAGO/photothek

Dorfkinder zucken bei 13 Kilometern Schulweg nur müde mit den Schultern. Aber in einer Stadt wie Berlin, in der sich gefühlt alle paar hundert Meter eine Schule befindet, sind 13 Kilometer für einen Weg zur Schule schon eine Hausnummer. Im Bezirk Pankow, wo Tim wohnt, gibt es elf Sekundarschulen und neun Gymnasien, keine der Schulen hatte einen Platz für Tim.

Der 12.-Klässler pendelt seit Jahren von Prenzlauer Berg nach Grunewald. So wie ihm geht es seit Jahren zu Beginn des neuen Schuljahres vielen Schülern. 2023 haben 1.700 Pankower Schülerinnen und Schüler einen Platz in einer 7. Klasse in einem anderen Bezirk bekommen, schreibt der zuständige Stadtrat Jörn Pasternack. Auch in diesem Jahr  treten etliche Schüler wohl oder übel einen langen Weg zur Schule an.

Was Tim auf seinen Pendelfahrten mit der S-Bahn erlebt, hat er der Berliner Zeitung erzählt. Seine Fahrt dauert pro Richtung jeden Tag eine Stunde.

2019 kam für Tim der Wechsel in die Oberschule. „Schon damals war von weit entfernten Schulen zu hören“, sagt Tim heute der BLZ. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass das mir passieren kann.“

Als der Brief mit der Ablehnung von seiner Wunschschule in Prenzlauer Berg gekommen sei kam und ihm der Schulplatz in Grunewald zugeteilt wurde, sei das für Tim und seine Eltern „überraschend“ gewesen.

Selbst gute Noten in der fünften und sechsten Klasse verhalfen nicht allen zu einem Platz in der Nähe. Teilweise seien selbst Kinder mit einem Notendurchschnitt von 1,2 an die Schule in Grunewald vermittelt worden, erzählt Tim.

Nicht alle Kinder bekommen einen Platz in ihrem Bezirk

Pankow hat wegen des eklatanten Schulplatzmangels eigene Partnerschulen in verschiedenen anderen Bezirken, wie etwa in Charlottenburg. Das Schulamt versucht dann ganze Pankower Klassen an den fernen Schulen zu bilden, um wenigsten etwas Zusammenhalt auch am Nachmittag und auf dem Schulweg zu ermöglichen. Auch Tim fuhr anfangs mit anderen betroffenen Schülern nach Grunewald. Den Weg hatte er zuvor mit den Eltern geübt.

„Ich bin vorher jeden Morgen mit dem Fahrrad zur Schule gefahren und hatte keine Ahnung, wie die Ringbahn fährt, geschweige denn, wie die Linien heißen“, sagt Tim. „Man begegnet auch vielen merkwürdigen Menschen in der Ringbahn.“ Ein 17-Jähriger kann das mittlerweile abgeklärter erzählen, ein 12 Jahre alter Siebtklässler bekommt womöglich erstmal einen Kulturschock und die Härten Berlins zu spüren.

Mit der Ringbahn bis Halensee, dann in den Bus

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Pankower Kinder, die in einen anderen Bezirk zur Schule pendeln müssen, gesunken – 2019, als Tim in die siebte Klasse kam, waren es noch 3000. Seine Eltern versuchten jedes halbe Jahr, einen alternativen Schulplatz für ihren Sohn zu finden – ohne Erfolg.

Tim und seine Mitschüler fahren meistens mit der Ringbahn von Prenzlauer Berg bis Halensee – einige müssen auch eine Strecke mit der U-Bahn zurücklegen, um bis zu einem Ring-Bahnhof zu gelangen. Dann steigen sie in den Bus um. Hinzu kommt das übliche Berliner Verkehrschaos sowie Bus- und Bahnstreiks. Wenn Tim sich im Fall eines Streiks einen anderen Weg zur Schule suchen muss, kann die Fahrt bis zu zwei Stunden dauern. Pro Richtung. Viel bleibt da nicht von Tage übrig.  

Lehrer haben nicht immer Nachsicht

Nicht immer haben die Lehrer Verständnis für die Härten. So würden weit entfernt wohnende Schüler, die wegen eines Ausfalls der Bahn oder eines Streiks erst nach Unterrichtsbeginn ankommen, von einigen Lehrern einen Eintrag bekommen, berichtet Tim. Man hätte sich eben einen anderen Weg suchen sollen.

Die Pendelei kostet Kraft und Nerven. Während andere schon mit ihren Freunden auf dem Fußballplatz stehen, ist Tim noch unterwegs nach Hause. „Am Ende des Tages ist man einfach erschöpft und hat nicht mehr die große Zeit und Lust, noch etwas zu unternehmen“, sagt er der Berliner Zeitung.

In seinem Fall war Corona und das damit verbundene Homeschooling eine Erleichterung. „Auch wenn Corona vermutlich für viele schwer war, war es für mich deutlich leichter und entspannter, weil ich diesen langen Schulweg nicht hatte“, sagt er.

Heutzutage merkt er erst in den Sommerferien, was diese weite Entfernung zwischen seinem Zuhause und der Schule mit ihm macht. „Es ist eine Erleichterung, nicht jeden Tag diesen Weg fahren zu müssen“, sagt Tim.

Seinem letzten Schuljahr begegnet Tim mit Erleichterung, noch ein Jahr, dann hat er die ihm auferlegte Pendelei durchgezogen. Das Schulsystem aber, so Tim, ist für ihn eine „absolute Katastrophe“, auch Busse und Bahnen müssten deutlich zuverlässiger werden. Tim rechnet auch nicht damit, dass sich an den langen Schulwegen schnell etwas ändern wird. „Dieses Problem ist so groß, dass es nur längerfristig zu lösen ist“, glaubt er. ■ 

Hat ihr Kind auch einen unzumutbar langen Schulweg, weil ihm oder ihr bei Wechsel in die Oberschule eine weit entfernte Schule zugewiesen wurde? Erzählen Sie uns von den alltäglichen Herausforderungen oder ihren Bemühungen, doch noch einen Platz in der Nähe zu finden.  Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com