Kuchen essen und dazu einen Kaffee trinken, danach noch ein bisschen shoppen. Und das alles umsonst. Klingt nach Sozialismus, ist aber kapitalistische Gegenwart in Seelow. In brandenburgischen Landkreis Märkisch Oderland gibt es seit kurzem einen ganz besonderen Laden. Ob nun der Tausch von Sachen oder der verbale Austausch bei Kaffee und Kuchen - alles ist komplett kostenlos. Wie kann das funktionieren?
Petimat Tikaeva strahlt über das ganze Gesicht. Die gebürtige Tschetschenin steht in einem Eckgeschäft in Seelow hinter einem Tresen, der voll beladen ist mit den unterschiedlichsten Kuchen und Torten. „Möchten Sie einen Kaffee oder Tee, dazu etwas Süßes?“, fragt die Chefin des Aus-Tauschladens Neuankömmlinge und bietet ihnen einen Platz an einem der vier Tische an.
Alles ist im Aus-Tauschladen kostenlos – ob Essbares oder Kleidung
Wer noch nie in dem seit Oktober dieses Jahres eröffneten Geschäft war, staunt: Alles hier ist kostenlos – ob Essbares oder Kleidung. Links des Tresens stehen Kleiderständer, brechend voll mit Jacken, Pullovern und Jacken für Erwachsene und Kinder. Dahinter locken Regale mit Spielzeug, Büchern, Kosmetikartikeln, Geschirr und Haushaltswaren.
An einer Pinnwand hängen Angebote für Möbel, Fahrräder, Elektrogeräte und Nachbarschaftshilfe. Wer in den Laden kommt, kann sich bei Kaffee und Kuchen mit anderen austauschen, nicht mehr gebrauchte Sachen abgeben und andere mitnehmen.
Die Seelower nutzen dieses Angebot rege, in dem neuen Geschäft herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. „Durchschnittlich haben wir 30 Gäste pro Tag, aus allen Schichten der Bevölkerung, freitags in der Regel mehr“, freut sich Ines Klisch, Vorsitzende des Seelower Integrationsvereins, der die Idee für den Aus-Tauschladen entwickelte. Bei der Umsetzung wurde der Verein sowohl von der Stadt als auch vom Vermieter des Ladenlokals und dem Jobcenter Märkisch-Oderland unterstützt.
Ziel war zunächst ein anderes. „Die Behörde suchte Möglichkeiten für 1-Euro-Jobs, damit Migranten in die Arbeitswelt reinschnuppern können“, erzählt Klisch. Und so erhält Laden-Gastgeberin Tikaeva, fest angestellt beim Verein, Unterstützung von sieben ukrainischen Flüchtlingsfrauen, gefördert durch das Jobcenter. Alle vereint die Leidenschaft am Backen. Damit auch Berufstätige Gelegenheit haben, etwas zu tauschen, wird in zwei Schichten gearbeitet, so dass das Geschäft montags bis freitags von 10 bis 17 Uhr geöffnet hat.
Einmal im Quartal hatte der 2009 gegründete Verein in der Vergangenheit einen Tauschbasar organisiert. „Da der Bedarf stetig stieg, entstand der Traum eines eigenen Ladens“, beschreibt Klisch. Eine Anregung für ihr neues Angebot fanden die Seelower im Internet: Deutschlandweit gibt es vor allem in größeren Städten sogenannte Kost-Nix-Läden.
In der Regel nehmen diese Bekleidung, Spielzeug und Haushaltswaren an und geben die Waren an neue Interessenten weiter. Zumeist laufen diese Geschäfte mit Hilfe von Ehrenamtlern, haben deshalb nur beschränkte Öffnungszeiten, wie etwa in Cottbus, Bad Freienwalde (Märkisch-Oderland) oder im Tausch-Laden in Eberswalde (Barnim).
Schon 7500 Kunden kamen in den Seelower Laden
„Wir bekommen regelmäßig Sachspenden, vor allem Sachen für Kinder und Jugendliche, die wir seit Ende 2021 in unserem Kost-Nix-Laden anbieten“, erzählt Jan Schurmann, Quartiersmanager der Stiftung SPI in Bad Freienwalde. Unabhängig von Herkunft und Geldbeutel können an drei Tagen in der Woche Sachen ohne Bezahlung mitgenommen werden.
„Der Laden läuft. Allein im ersten Halbjahr 2023 hatten wir rund 7500 Kunden nicht nur aus Bad Freienwalde, sondern aus der Region. Und es kommen mehr Leute, die etwas bringen, als die, die etwas mitnehmen“, sagt Schurmann.

Gerade im ländlichen Raum fehlten solche Angebote, sagt die Seelower Vereinsvorsitzende Klisch, wohl wissend, dass der Aus-Tauschladen mit seinen Angeboten weit über bloße Kost-Nix-Möglichkeiten hinaus gehen kann. „Wir wollen ein Ort für Begegnungen sein. Es gibt ja in der Stadt viele einsame Leute, denen soziale Kontakte fehlen“, erklärt Klisch, die hauptberuflich als Pflegeberaterin bei der Seelower Volkssolidarität arbeitet.
Freitags wird in regelmäßigen Abständen ein interkultureller Kochnachmittag mit gemeinsamen Essen veranstaltet, in einem Nebenraum bietet der 32 Mitglieder zählende Verein Deutschkurse für ausländische Kinder im Grundschulalter an. In Vorbereitung sind Zeichenkurse speziell für Erwachsene.
Nicht zwangsläufig muss jeder etwas abliefern, wenn er etwas mitnehmen möchte
Ladenchefin Tikaeva, die vor zehn Jahren nach Deutschland kam und sich bisher vor allem ehrenamtlich bei der Seelower Tafel engagiert hat, freut sich über die große Resonanz für den Laden. „Ich bin sehr zufrieden, hätte nicht gedacht, dass so viele kommen. Aber es können ruhig noch mehr werden“, findet sie und begrüßt eine Rentnerin, die einen Blumentopf sowie große Bilderrahmen für den Laden vorbeibringt.
Nicht zwangsläufig muss jeder etwas abliefern, wenn er etwas mitnehmen möchte. „Natürlich gibt es Regeln, damit sich hier keiner unverhältnismäßig eindeckt und dann damit Handel treibt“, stellt Tikaeva klar. Maximal fünf Stücke dürfen mitgenommen werden.
Laut Klisch sind es nicht nur ausländische Neu-Seelower, die den Aus-Tauschladen nutzen. Während andere Kommunen beklagen, dass die Integration aufgrund zu vieler Geflüchteter scheitere, sei das in Seelow keinesfalls so, sagt die Vereinsvorsitzende. In der Stadt gebe es keine nur von Migranten bewohnten „Ghettos“, das Risiko sogenannter „Parallelgesellschaften“ sei gering. „Seelow hat viele Vereine, die sich ergänzen und miteinander kooperieren. Aber Integration geht nicht nur ehrenamtlich“, macht sie deutlich.
Die Kommune habe sich auf die Fahnen geschrieben, ein Netzwerk für Integration aufzubauen, finanziere zudem zwei Sozialarbeiterstellen in zwei Jugendhäusern, sagt Seelows Bürgermeister Robert Nitz (parteilos), dessen Angaben nach der Ausländeranteil in der 6000-Einwohner-Stadt bei knapp zehn Prozent liegt. „Der Integrationsverein agiert vorbildlich, hat sich um die Finanzierung der Stellen für den Aus-Tauschladen selbst gekümmert.“