Hype ist längst vorbei

Kommentar: Darum meiden Besucher Berlin inzwischen – zu recht

Das legendäre Tacheles, Strandbars, weltberühmte Clubs – verschwunden. Dafür kostet der Döner sieben, das Schnitzel 28 Euro. Mal ehrlich: Warum sollte man eine solche Stadt besuchen?

Author - Joane Studnik
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Der mittlerweile geschlossene Watergate-Club in Kreuzberg: Das Wort Clubsterben heftet Berlin inzwischen an wie eine Klette.
Der mittlerweile geschlossene Watergate-Club in Kreuzberg: Das Wort Clubsterben heftet Berlin inzwischen an wie eine Klette.Jens Kalaene/dpa

Kurz, nachdem ich 2008 zurück nach Berlin zog, sah ich mit Erstaunen, wie die Hauptstadt für Millionen junger Partytouristen zum aufregendsten Ort der Welt wurde. Easyjet, Ryanair & Co. flogen Millionen Rollkoffer-Besucher aus aller Welt ein. Clubs, Hotels, Bars, Restaurants leben weiterhin vom gefüllten Geldbeutel der Besucher; doch schon damals machte sich eine seltsame Stimmung gegen „Touris“ breit, teils auch begründete Vorbehalte gegenüber englischsprachigen Besuchern, die wie selbstverständlich erwarten, dass man mit ihnen in ihrer Muttersprache spricht.

In Barcelona, wo ich zuvor den dortigen Hype miterlebte, war man zu der Zeit noch begeistert von englischsprachigen Touristen – die Vorbehalte richteten sich eher gegen spanischsprachige Mitbürger, die nicht einsehen, dass Kataloniens Nationalsprache Katalanisch ist. Inzwischen ist auch dort die Stimmung gekippt: Touristen, egal woher, werden gelegentlich sogar offen angefeindet und mit Wasser bespritzt.

Berlin schaut tatenlos zu, wie sich Preise und Mieten erhöhen

Dazu kommt es in Berlin eher selten – doch die Probleme für die miese Stimmung ähneln sich: AirBnB und Ferienwohnungen haben das Angebot verfügbarer Mietwohnungen massiv verknappt – sodass die Stadt Barcelona AirBnB-Vermietungen in Zukunft nahezu verbieten will. In Berlin schaut der Senat hingegen weitestgehend tatenlos zu, wie einstige Mietwohnungen als möblierte Wohnungen zu exorbitanten Preisen an Langzeit-Besucher vermietet werden, während die heimische Bevölkerung Preise für Neuvermietungen kaum noch zahlen kann.

Vor allem Lokale, die sich an Touristen richten, haben die Preise massiv erhöht, was nicht nur für Einheimische ein Problem darstellt, sondern auch für Besucher, bei denen Berlin bislang als die bezahlbare Metropole im Vergleich zu London oder New York galt. Nun steht der übliche Preis für ein großes Bier bei fünf bis sechs Euro, der Döner kostet vielerorts sieben bis acht Euro, für das Wiener Schnitzel bei Jolesch in Kreuzberg ist inzwischen 28 Euro fällig. Für einige Leute mag dies angemessen sein, für andere Anlass zu überlegen: Ist es das wert?

Clubsterben und Dealer im Park: Berlin hat den Schuss nicht gehört

Lässt man diesen Gedanken einmal zu, ist man bald beim geflügelten Wort Clubsterben, das inzwischen weit über die Stadtgrenzen hinaus Berlin anhaftet wie eine Klette – eingesetzt hatte es schon vor vielen Jahren mit dem Verschwinden von Branchen und temporär genutzten Ufergeländen, auf denen sich Strandbars fanden, an deren improvisierten Charme ich mit Nostalgie zurückdenke.

Stadtquartier am Tacheles: Wo vor Jahren in der Ruine des historischen Gebäudes eine kreative Kulturszene blühte, ist inzwischen alles mit Beton zugeklotzt.
Stadtquartier am Tacheles: Wo vor Jahren in der Ruine des historischen Gebäudes eine kreative Kulturszene blühte, ist inzwischen alles mit Beton zugeklotzt.Markus Wächter

Fassungslos steht man vor dem einstigen Mythos Tacheles: Dass die Künstler-Ruine an der Oranienburger Straße irgendwann würde weichen müssen, stand Anfang der 2000er schon fest. Aber wer die lebendige, wild-kreative Szene an dem damaligen Ort selbst erlebt hat und sie mit der öden Cleanness abgleicht, in der nunmehr teuer vermietete Immobilien und Geschäfte untergebracht sind, versteht: Berlin ist eben nicht mehr die aufregende, wild-wuselige Nachwende-Stadt, die zum Besuchermagnet für Leute aus der ganzen Welt wurde.

Berlin ist die Stadt der verpassten Chancen und ungelösten Probleme: Dealer in Parks, Müll, für viele unbezahlbare Mieten und ein zwar immer noch reichhaltiges, aber schwindendes Kulturangebot. Gerade das, was Berlin so einzigartig machte, ist teils schon unwiederbringlich abgewickelt, mehr droht für immer zu verschwinden: die alternative Kultur, ohne die Berlin von außen als zweitrangig gegenüber Weltmetropolen wie Paris oder London wahrgenommen wird. Dass die offenkundigen Gründe für diesen Abstieg nicht Stadtgespräch sind und Wahlen entscheiden, gehört mit zu diesem großen Problem: Berlin hat den Schuss immer noch nicht gehört.

Was meinen Sie zu dem Diskussions-Thema? Sind Touristen Segen oder Sorge für die Berliner? Bitte schreiben Sie uns:

leser-bk@berlinerverlag.com