Schulstunden fallen aus

Note 6 für Berlin: In der Hauptstadt fehlen 695 Lehrer!

Wenn das neue Schuljahr beginnt, fehlen an Berlins Schulen regelmäßig Lehrkräfte. Das wird diesmal nicht anders sein. Und es könnte in Zukunft noch schlimmer kommen. 

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Mehr Schüler, weniger Lehrer. Schwerere Aufgaben, wenige Lehramts-Absolventen. Berlins Schulen stecken in der Krise. 
Mehr Schüler, weniger Lehrer. Schwerere Aufgaben, wenige Lehramts-Absolventen. Berlins Schulen stecken in der Krise. imago/Gerhard Leber

Die Zahl der Schüler steigt, die Zahl der Lehrer aber sinkt. Berlin kommt in Sachen Bildung aus dem ewigen Ham-wa-nich-Modus nicht heraus. Jetzt schon klar: Im neuen Schuljahr fehlen wieder Hunderte Lehrer. Genau genommen: 695. Und in Zukunft könnte es noch schlimmer kommen. Das musste Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) am Dienstag nach der Senatssitzung eingestehen.

Bei der Lehrerversorgung ist an Berlins Schulen keine nachhaltige Entspannung absehbar. Der Bestand an Lehrkräften sinkt trotz kontinuierlicher Neueinstellungen, die Zahl der Schüler nimmt dagegen zu, wie Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) nach der Senatssitzung erläuterte. Dort hatte sie zuvor den Jahresbericht zur Entwicklung der Schülerzahlen und zum Lehrkräftebedarf vorgestellt. Nicht zuletzt die hohe Zahl an Pensionierungen verschärft das Problem.

Jährlich scheiden 1600 erfahrene Lehrer aus

Der Handlungsbedarf ist aus Sicht der Bildungssenatorin offensichtlich: Nach den Daten aus dem von ihr vorgelegten Bericht besuchen im laufenden Schuljahr 2023/2024 insgesamt gut 355.000 Schüler die öffentlichen allgemeinbildenden Schulen. Laut der Prognose wird diese Zahl in den nächsten zehn Jahren weiter auf rund 372.200 im Schuljahr 2032/2033 steigen. Das ist ein Plus von 17.000 Schülern, etwa fünf Prozent über alle Jahrgangsstufen hinweg.

Gleichzeitig sinke der Bestand an Lehrkräften aufgrund von Pensionierungen und sonstigen Abgängen um rund 1600 jährlich, sagte Günther-Wünsch. In den kommenden Jahren ist nach Einschätzung der Bildungsverwaltung deshalb weiterhin eine Lehrkräftelücke zu erwarten. Das ist auch für das kommende Schuljahr so: Nach den vorliegenden Daten mit Stand Ende Mai sei von 695 fehlenden Lehrkräften an Berliner Schulen auszugehen. Allerdings seien es im vergangenen Jahr mit etwa 1500 deutlich mehr gewesen.

„Wir haben noch ein Zeitfenster zur Einstellung bis Ende des Schuljahres“, sagte die CDU-Politikerin. In der Regel werde diese Zahl bis dahin noch nach unten korrigiert. Auszuschließen sei aber auch nicht, dass sie noch steigen könnte, etwa wenn Lehrkräfte, die zugesagt hatten, eine Stelle anzutreten, doch noch abspringen.

Was es bedeutet, wenn zu wenig Lehrkräfte Berliner Schüler unterrichten, kann man heute schon beobachten. Stundenausfall, eine reduzierte Stundentafel, fehlende Förderstunden und Teilungsstunden sind die Folge. Die, die noch da sind, brennen aus und müssen in großen Klassen neben Bildungs-, auch Erziehungs- und Integrationsarbeit leisten. Das System am Limit trifft auf immer mehr Kinder, die ein Recht auf Bildung haben. Viele von ihnen mit Deutsch als Zweitsprache, was weiteres Personal erforderlich machen würde. Besonders ab den siebenten Klassen wird es echt eng.

Erfahrene Lehrer gehen in Rente

Besonders bitter: Es gehen die erfahrenen Lehrer und sie hinterlassen eine schmerzliche Leerstelle.  Der Bedarf steigt indes stetig. Für das Schuljahr 2024/25 geht die Bildungsverwaltung von 32.572 benötigten Vollzeit-Lehrkräften aus. Und Im Schuljahr 2031/32 wird der Bedarf der Berechnung zufolge bei 34.133 Lehrern liegen.

Doch woher Lehrer nehmen? Die Zahl der Studienabsolventen ist noch immer zu gering. Junge Lehrer aus anderen Bundesländern wollen ungern auf dem schwierigen Berliner Pflaster ihren Vorbereitungsdienst absolvieren. Berlin ist erst spät aufgewacht, und verbeamtet erst seit Kurzem wieder Lehrer. Der Anreiz reicht nicht, um die Lücke zu stopfen.

Katharina Günther-Wünsch (CDU), Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, stellte heute den neuen Schul-Bericht vor.
Katharina Günther-Wünsch (CDU), Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, stellte heute den neuen Schul-Bericht vor.Carsten Koall/dpa

Künftig sollen die unterschiedlichen Bedingungen an den rund 800 öffentlichen Schulen in Berlin stärker berücksichtigt werden, kündigte Günther-Wünsch an. Das heißt, manche Schulen müssen dann unter Umständen auf Stellen verzichten. „Es wird Entscheidungen zu treffen geben, die nicht alle draußen in der Praxis zufriedenstellen.“ 

Gleichzeitig gehe es darum, den Lehrerberuf attraktiver zu machen, sagte die Senatorin. „Die Verbeamtung treiben wir intensiv voran.“ Das Ziel sei, die Kolleginnen und Kollegen in Berlin zu halten. Eine weitere Möglichkeit sei, den Einsatz von sogenannten Ein-Fach-Lehrkräften zu ermöglichen - also solchen, die anders als bei der klassischen Lehrerausbildung nur ein einzelnes Fach unterrichten.

Normalfall an Schulen: Unterrichtsausfall

Und auch in der universitären Ausbildung von Lehrern hakt es: Niels Pinkwart, Präsident der Humboldt-Universität (HU), hatte der Bildungs- und Wissenschaftsverwaltung zuletzt vorgeworfen, Gelder für mehr Studienplätze in Lehrerstudiengängen zu kürzen. Man wollte mehr Studenten aufnehmen, als es nun möglich ist, so Pinkwart laut Tagesspiegel. Die Senatsverwaltungen gaben an, dass die Mittel zunächst nicht freigegeben wurden. Das solle zu einem späteren Zeitpunkt geschehen, hieß es.

Auch im Nachbarland Brandenburg kämpfen die Schulen mit Lehrermangel. Nach Ansicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Brandenburg spiegeln dort zunehmende Stundenausfälle und der hohe Vertretungsbedarf die Fehler der Vergangenheit wider – es seien nicht ausreichend Lehrer eingestellt worden. „Neben den fehlenden Lehrkräften haben wir auch darauf verwiesen, dass die Zahl der Krankmeldungen steigen wird und die Vertretungsreserve an den Schulen mit drei Prozent viel zu niedrig angesetzt ist“, sagte der Vorsitzende der GEW in Brandenburg, Günther Fuchs. Der Unterrichtsausfall werde auch in den nächsten Jahren nicht zurückgehen, sondern noch zunehmen. ■