Berliner Autofahrer sind gerade etwas mehr genervt als normal. Wie jedes Jahr im Sommer kommen gerade Tag für Tag neue Mega-Baustellen dazu. Seit Montag geht auf der Straße Alt-Friedrichsfelde kaum noch etwas (bis 22. Juli), schon seit drei Wochen ist die Kreuzung Prenzlauer Allee, Ecke Danziger Straße wegen Gleisbauarbeiten (bis 23. Juli) zur Staufalle in alle Richtungen geworden. Die Autofahrer fluchen. Zu Recht. Denn neue Zahlen beweisen, dass Berlin leider auch Deutschlands Stau-Hauptstadt ist. Hier erklären wir auch, wo es sich ab heute in Berlin noch mehr aufstaut.
Ein durchschnittlicher Pendler in Deutschland steht nach einer Auswertung des Verkehrsdaten-Dienstleisters Inrix 40 Stunden im Jahr im Stau. Berechne man allein für den Zeitverlust einen halben durchschnittlichen Stundenlohn, koste das 427 Euro pro Fahrer. „In ganz Deutschland kosteten Staus die Autofahrer 3,2 Milliarden Euro, das ist ein Anstieg um 14 Prozent gegenüber 2022“, teilt Inrix mit. Hinzu kämen noch die höheren Spritkosten im Stop-and-Go-Verkehr in einer ähnlichen Größenordnung.
Staus kosten jeden Berliner Autofahrer 587 Euro
Berlin führt die Liste der staugeplagten Städte in Deutschland an, wie die Verkehrsdaten-Analysten ermittelten. Autofahrer verbrachten hier 2023 im Durchschnitt 55 Stunden im Stau, dicht gefolgt von Stuttgart (53 Stunden) und München (52 Stunden). „Hamburg schneidet mit 43 Stunden noch vergleichsweise gut ab, aber auch hier mussten Pendler im Auto mehr als eine Arbeitswoche pro Jahr zusätzlich für den täglichen Arbeitsweg opfern.“ Zur Berechnung des Zeitverlusts verglich Inrix die Dauer der Fahrten nachts auf freier Strecke mit den Zeiten im Berufsverkehr tagsüber. Für die neueste Studie wurde ein 15-monatiger Zeitraum betrachtet: von Januar 2023 bis Ende März 2024.
Stau auf der Landsberger Allee, mehrere Staus zwischen Schönhauser Allee und Prenzlauer Allee, Staus rund um die Mühlendammbrücke, auf der Lichtenberger Straße, auf der Stralauer Straße, rund um die Straße des 17. Juni. An diesem Dienstag um 8 Uhr leuchten auf der Lagekarte der Verkehrsinformationszentrale Berlin schon zahlreiche Straßenabschnitte rot auf. Rot steht für Stau. Oft sind Baustellen schuld, an der Straße des 17. Juni die Fanmeile.
Inrix berechnet die Staukosten pro Fahrer in Berlin auf 587 Euro, die gesamten Staukosten für ganz Berlin auf 770 Millionen Euro. Durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit in der Hauptstadt: 22 km/h. Damit geht es auf den Straßen Berlins schneller voran als in München, wo das Durchschnittstempo nur bei 18 Stundenkilometern liegt – aber langsamer als in den acht anderen deutschen Städten, die genannt werden. In Bonn sind es 29 Kilometer pro Stunde.
Deutschlands schlimmste Straße ist in der Studie die A81 in Stuttgart-Ehningen. Dort steht jeder Autofahrer im Schnitt neun Minuten Stau. In diesem Ranking folgt die erste Berliner Straße erst auf Platz 6: die Asphaltpiste, die sich entlang von Wilhelmstraße, Mehringdamm und Tempelhofer Damm zieht. Durchschnittliche Stauzeit: sechs Minuten. Noch 2022 war Berlin in der Top Ten gleich dreimal vertreten: mit der B1/B5 von Kaulsdorf bis Friedrichshain, der Oranienburger Straße im Bezirk Reinickendorf sowie einem Teil der A100 in Wilmersdorf.

Eine interessante Entwicklung zeigte sich bei den Fahrten in die Innenstadt. Sie gingen in den Millionenstädten Berlin, Hamburg, München und Köln sowie in Frankfurt am Main stark zurück: „In Berlin sogar um 17 und in München um 16 Prozent“ gegenüber dem Vorjahr. Gleichzeitig nahmen aber die Verzögerungen aufgrund von Staus oder stockendem Verkehr zu. „Dies deutet auf eine schleichende Abwanderung aus den Stadtzentren und eine stärkere Verlagerung des Verkehrs in die Randgebiete hin“, erklären die Verkehrsdaten-Auswerter. Zugenommen habe der morgendliche Pendelverkehr.
New York City ist weltweit die größte Staufalle
Weltweit hat der Verkehr 2023 erneut zugenommen. Um den wachsenden Verkehr in den Innenstädten besser in den Griff zu bekommen, sei für viele Paris ein Vorbild, wo der Radverkehr im Zentrum gezielt gefördert wird, sagte Verkehrsanalyst Bob Pishue. „Andere Modelle sind das ‚Deutschland-Ticket‘ sowie das City-Maut-Programm in London, deren Erfolg mit Interesse beobachtet wird“. In Deutschland würden Nahverkehrszüge, Straßenbahnen und Busse im Vergleich zu 2022 deutlich mehr genutzt.
Mit Blick auf die internationalen Daten lässt sich feststellen: Schlimmer geht immer. Im Vergleich zu New York City ist Berlin ein Autofahrer-Paradies. In New York betrug der Stau-Zeitfraß 101 Stunden. Auf den Plätzen folgen Mexiko-Stadt (96 Stunden) und London (99 Stunden). Der Kraftfahrer in den USA verlor 42 Stunden im Stau, was einer vollen Arbeitswoche entspricht, so Inrix. In Großbritannien betrug der Zeitverlust 61 Stunden. Mit 40 Stunden Zeitverlust und 3,3 Milliarden Euro liegt Deutschland klar darunter.
Aber Trost dürften die internationalen Zahlen Berliner Autofahrern kaum bringen. Denn heute kommen leider schon wieder mehrere Staustellen in der Stadt dazu.
In Berlin: Hier kommen heute neue Staus dazu
Friedrichshain: Auf der Landsberger Allee begann um 5 Uhr der Umbau einer Straßenbahnhaltestelle. Stadteinwärts ist die Fahrbahn zwischen Danziger Straße und Richard-Sorge-Straße bis Anfang August auf einen Fahrstreifen verengt.
Friedrichshagen: Auf dem Fürstenwalder Damm haben Leitungsarbeiten begonnen. Stadtauswärts ist die Fahrbahn für einen Monat zwischen Müggelseedamm und Mühlweg für den Kfz- und Radverkehr gesperrt. Der Verkehr wird über Müggelseedamm umgeleitet.
Oberschöneweide: Auf der Edisonstraße wird heute ein neuer Bauabschnitt eingerichtet. Ab 5. Juli ist dann die Straße in Richtung Niederschöneweide zwischen An der Wuhlheide und Siemensstraße für den Kfz-Verkehr voll gesperrt.
Schöneberg: Am Morgen wird auf der Grunewaldstraße in Höhe Eisenacher Straße eine neue Leitungsbaustelle eingerichtet. Bis Mitte Juli steht in beiden Richtungen jeweils nur ein Fahrstreifen zur Verfügung. ■