Drama am Flughafen

Karina (†1) stirbt nach BER-Drama: Der Schmerz der Mutter und viele Fragen

Irina Borger quälen viele Fragen. Die wichtigste: Hätte Karina gerettet werden können, wenn schneller ein Notarzt bei ihrem Mädchen gewesen wäre?

Author - Stefanie Hildebrandt
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Karina war ein aufgewecktes, fröhliches Mädchen.
Karina war ein aufgewecktes, fröhliches Mädchen.privat

Der 27. Oktober sollte ein Freudentag für Familie Borger werden. Es ist der Tag, an dem ihr geliebtes Mädchen, Karina, ihren ersten Geburtstag in Berlin feiern sollte. Einen Tag zuvor war die Kleine im Urlaub in der Türkei ein Jahr alt geworden. Zuhause hatte die Tante schon im neu gebauten Haus in Hoppegarten alles für die Rückkehr der Familie dekoriert. Die Torte, die Luftballons, die Kerzen - Karina mit den dunklen, großen, strahlenden Augen hat sie nicht mehr sehen können.  

Dramatische Rettungsaktion am BER

Nach einem Urlaub in der Türkei starb das Mädchen am Tag nach ihrem Geburtstag, am 27. Oktober, unter dramatischen Umständen, die sich zunächst am Flughafen BER abspielten. Irina Borger quält seitdem vor allem eine Frage: Hätte Karina gerettet werden können, wenn am Flughafen schneller ein Notarzt vor Ort gewesen wäre? „Ich habe meine Tochter beerdigen müssen, ohne zu wissen warum sie gestorben ist“, sagt die 34-Jährige. Wenige Tage nach Karinas Beerdigung schildert sie das aufwühlende Geschehen im KURIER.   

Irina Borger und Vadim Belz trauern um ihr einziges Kind Karina. 
Irina Borger und Vadim Belz trauern um ihr einziges Kind Karina. privat

Irina, ihr Mann und die Kleine waren am 21. Oktober zu einem einwöchigen Urlaub in die Türkei aufgebrochen. Noch einmal Sonne tanken, bevor der graue Berliner Herbst kommt. Einen Tag zuvor waren Mutter und Kind noch bei einer Routineuntersuchung beim Kinderarzt gewesen. Karina ist kerngesund, sagte der Arzt, sie entwickelt sich prima. 

„Sie ist so ein aufgewecktes Mädchen gewesen, sie hat nie geweint“, sagt Irina Borger jetzt. Durchschlafprobleme, Quengeleien kennt sie von ihrem Kind nicht. Im Urlaub in der Türkei aber ist Karina am letzten Tag etwas unwohl. Die Familie erwägt, noch im Ausland einen Arzt aufzusuchen, doch das erweist sich auch wegen der Sprachbarriere als schwierig. In der Heimat Berlin, wo die Borgers seit 2004 leben, fühlen sie sich sicherer, sie wollen nach Hause mit ihrer Tochter. 

Auf dem Flug, der mit einer Stunde Verspätung startet, ist es heiß und stickig in der Kabine. Die Eltern fächeln Karina Luft zu, sind in  Sorge. „Karina war so schlapp und hat schlecht geatmet“, erinnert sich Irina Borger. Nach der Landung stürzt sie mit dem Kind auf dem Arm aus dem Flugzeug und rennt in Richtung Ausgang, um Hilfe für Karina zu holen. Ihr wird gesagt, sie solle erst einmal die Passkontrolle durchlaufen und ihr Gepäck holen. Wichtige Zeit geht verloren. Die folgenden Minuten fühlen sich wie ein Alptraum an. Karina geht es immer schlechter.

Mädchen bekommt keine Luft, doch ein Arzt kommt erst nach 20 Minuten

Dreiviertel zwölf kommt Irina mit ihrer Tochter auf dem Arm am Infopoint des Terminal 1 an. Das Mädchen bekommt keine Luft mehr. In Panik schreit Irina nach Hilfe. Mehrere BER-Mitarbeiter wählen umgehend den Notruf der Feuerwehr. Sie teilen mit, dass ein Notfall vorliegt, ein Baby keine Luft bekommt. Doch statt eines Notarztes treffen neun Minuten später zunächst Sanitäter der Flughafenfeuerwehr ein. Da ist Karinas Haut schon blau-grau geworden.

Als 11.53 Uhr ein weiterer Notruf bei der Leitstelle in Cottbus eingeht, die die Notarzteinsätze am BER koordiniert, ist klar, dass hier schnelle Hilfe nötig  ist. Via Telefon soll eine Reanimation angeleitet werden. Von der Feuerwehr-Leitstelle hießt es zu dem Vorfall: Aus der ersten Meldung, die 11.48 Uhr einging, sei eine akute Lebensgefahr nicht ableitbar gewesen, bei der Nachalarmierung 11.53 Uhr sei die vorgeschriebene Hilfsfrist (15 Minuten) eingehalten worden. Ein Passagier, der Arzt ist, versucht, das Kind zu reanimieren.

Erst sechs, beziehungsweise sieben Minuten nach 12 Uhr und damit 20 Minuten nach dem ersten Notruf sind zwei Notärzte zur Stelle. Unter Reanimationsbedingungen kommt Karina ins Krankenhaus, teilt die zuständige Leitstelle der Brandenburger Feuerwehr in Cottbus mit. Auch eine Flughafensprecherin bestätigt dem KURIER den medizinischen Notfall-Einsatz. 

Was in den Protokollen der Feuerwehr so nüchtern klingt, ist für Irina ein schreckliches Drama.

Irina, völlig aufgelöst vor Sorge um ihr Kind, fährt in einem anderen Krankenwagen in die Kinderklinik Neukölln hinterher. „Sie war noch am Leben, als die Ärzte kamen“, sagt sie. Im Krankenhaus dann die schreckliche Gewissheit: „Nach 40 Minuten kam eine Ärztin und hat uns gesagt, dass Karina es nicht geschafft hat.“ Nur eine Herz-Lungen-Maschine halte sie noch am Leben, ihr Herz schlage nicht mehr aus eigener Kraft.  Bei der anschließenden Obduktion können die Ärzte keine Ursache für den Tod des Mädchens ausmachen.

Karina starb einen Tag nach ihrem ersten Geburtstag. 
Karina starb einen Tag nach ihrem ersten Geburtstag. privat

Wie soll man weiterleben, mit der Gewissheit, dass einem das Kind im Arm gestorben ist, vielleicht weil nicht rechtzeitig Hilfe kam? Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn gleich der erste Notruf klar gemacht hätte, dass es um Leben und Tod geht? Am Ende sind es viele kleine Entscheidungen, die Menschen treffen müssen, die zu einem Drama führen können oder zu einem glücklichen Ausgang. 

Irina Borger versucht stark zu sein, für sich, ihre Eltern, den Ehemann. „Ich stehe jeden Morgen auf und mache mich schön, aber dann muss ich wieder weinen“, sagt Irina, die 2004 als Wolgadeutsche aus Kasachstan nach Berlin kam. Ihre Arbeit in der Buchhaltung kann sie derzeit nicht ausüben.  

Karina war ein fröhliches Mädchen.
Karina war ein fröhliches Mädchen.privat

Die quälende Frage nach dem „Warum?“ bohrt. Gab es eine Grippe in der Türkei, an der Karina unbemerkt litt? Eine andere Erkrankung? Was wäre gewesen, wenn man schneller mit der Beatmung hätte beginnen können?

Keine Antwort auf all diese Fragen bringt Karina zurück, doch wenigstens eines will Irina Borger erreichen, indem sie die Geschichte ihrer Tochter erzählt: Nie wieder soll an Berlins Flughafen ein Mensch sterben, weil zu spät Hilfe kommt. Und: Alle sollen sehen, wie glücklich Karina in ihrem viel zu kurzen Leben war.