„Wir im Osten“

Wer hat denn hier beim Mauerfall seinen Trabi vergessen?

Zwei Fotos fanden wir im KURIER-Archiv, die vielleicht die verrückteste Geschichte zu dem Ereignis vor 34 Jahren erzählen.   

Author - Norbert Koch-Klaucke
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Am 10. November 1989 steht eine Menschenmenge dichtgedrängt vor dem Tränenpalast am Bahnhof Friedrichstraße und will in den Westteil Berlins. Im Halteverbot steht ein Trabi, der nun Fragen aufwirft.
Am 10. November 1989 steht eine Menschenmenge dichtgedrängt vor dem Tränenpalast am Bahnhof Friedrichstraße und will in den Westteil Berlins. Im Halteverbot steht ein Trabi, der nun Fragen aufwirft.akg-images/ddrbildarchiv.de

Sie gehört zu den meistgestellten Fragen in unserem Leben. Und auch ich bekam sie in diesen Tagen wieder zu hören: „Wo warst du eigentlich, als am 9. November 1989 die Mauer fiel?“

Die einen sagen, sie hätten diesen historischen Moment total verpennt. Andere, wie Ex-Kanzlerin Angela Merkel, berichten, dass sie an jenem Abend in der Sauna waren.

Ich war mit Kollegen, als ich noch im Werk für Fernsehelektronik in Oberschöneweide arbeitete, bei einer Brigadefeier in einer Bar an der Warschauer Straße. Noch ganz genau kann ich mich daran erinnern, wie kurz nach 20 Uhr ein leicht angeheiterter Mann durch die Tür kam, am Tresen ein Bier bestellte und rief: „Kinder, die Mauer ist offen!“ Natürlich glaubte ihm niemand. Erst als ich nachts nach Hause kam, erfuhr ich, dass der Mann recht hatte, als ich die Bilder im Fernsehen sah, die um die Welt gingen. Wie Menschen auf der Mauer am Brandenburger Tor tanzten, DDR-Bürger mit ihren Trabis auf dem Westberliner Ku’damm fuhren.

Der Trabi wurde weltweit zum Symbol des Mauerfalls. Und so wie es aussieht, spielt er nun auch in einer der verrücktesten Geschichten jenes 9. Novembers eine Hauptrolle, die noch nicht erzählt wurde und die wir beim KURIER 34 Jahre später durch Zufall entdeckten. Denn offenbar hat jemand im Trubel der Ereignisse seine geliebte Rennpappe am legendären Tränenpalast am Bahnhof Friedrichstraße vergessen, als er sich von Ost-Berlin aus auf den Weg in den Westen machte.

Beim Durchsuchen von Bildern zum Mauerfall stießen wir auf zwei Fotos. Das erste wurde am 10. November 1989 aufgenommen und zeigt, wie eine Menschenmasse dicht gedrängt vor dem Eingang der Grenzübergangshalle Friedrichstraße steht, die im Volksmund Tränenpalast genannt wurde. Davor parkt vor einem Halteverbotsschild ein Trabi. So weit, so gut.

Anfang 1990: Der Menschenandrang vor dem Tränenpalast ist verschwunden  – aber der Trabi parkt noch immer im Halteverbot.
Anfang 1990: Der Menschenandrang vor dem Tränenpalast ist verschwunden – aber der Trabi parkt noch immer im Halteverbot.Hansjoachim Mirschel/Berliner Kurier

Dann finden wir aber noch ein zweites Bild, das Monate später, möglicherweise im ausklingenden Winter oder im beginnenden Frühjahr 1990, am gleichen Ort aufgenommen wurde. Menschenmassen vor dem Tränenpalast sind nicht mehr zu sehen. Aber dafür der Trabi mit dem Kennzeichen IRT 2-87, der dort immer noch auf Höhe des Halteverbotsschildes parkt.

Mauerfall vor 35 Jahren: Wer knackt das Rätsel vom vergessenen Trabi?

Hat ihn tatsächlich dort jemand vergessen, als die Mauer fiel? Vielleicht, weil er nicht mehr aus dem Westen zurückkehrte? Vieles ist denkbar.

Merkwürdig ist, dass der Trabant einige Monate im Halteverbot stehen durfte und von Volkspolizisten nicht abgeschleppt wurde. Na, sie hatten ja auch Wichtigeres zu tun.

Allerdings stellt man beim genauen Vergleich der beiden Bilder fest, dass der Trabi in der Zwischenzeit doch etwas bewegt worden sein muss. Ein wenig verändert ist seine Position auf dem zweiten Foto, der Kühler ist plötzlich abgedeckt. Hat der Wagen etwa einem der hohen Grenzoffiziere gehört, die im Tränenpalast arbeiteten, und der wusste, dass man ihm nichts anhaben konnte, wenn sein Trabi im Halteverbot steht?

Ich hoffe, Sie sind so wie ich neugierig geworden. Und sicher würden Sie gerne an dieser Stelle die ganze Geschichte dieses Autos und die seines Besitzers lesen wollen. Fakt ist, dass er oder sie ein Berliner ist. So viel verrät das Kennzeichen, welches mit „I“ beginnt. Mit diesem Buchstaben wurden damals alle Fahrzeuge gekennzeichnet, die in der Hauptstadt der DDR zugelassen wurden. 

Vielleicht liest der Trabi-Besitzer diese Kolumne und meldet sich. Oder Sie, liebe Leser, helfen mir mit Hinweisen. Ich bin schon auf Ihre Mails gespannt!

Norbert Koch-Klaucke schreibt jeden Freitag im KURIER über Geschichten aus dem Osten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com