Sie schiebt den Pulli über den blauen Fleck, sagt lachend, sie sei bloß gegen die Tür gerannt. Sie bleibt stumm, wenn die Freundin fragt, wie es ihr geht. Sie geht ins Büro, als wäre nichts gewesen, nachdem man im Krankenhaus ein weiteres Mal ihre Wunden versorgt hat.
Gewalt an Frauen ist noch immer ein Tabuthema
Gewalt gegen Frauen ist noch immer ein Tabuthema. Eines, das schambehaftet ist, weil die betroffenen Frauen glauben, sie seien selber Schuld, an dem, was ihnen widerfährt. Dabei sind immer die gewalttätigen Männer das Problem. „Wir müssen endlich aufhören zu fragen ‚Warum bist du geblieben‘“, sagt Iris Brand. Und stattdessen die Frage stellen, warum Männer schlagen.
Iris Brand zu Gewalt an Frauen: Jede kann die Nächste sein
Iris Brand ist eine Frau, die in der Kommunikationsbranche erfolgreich Karriere macht, die selbstbewusst für ihre Themen eintritt. Und sie ist Betroffene von häuslicher Gewalt gewesen. Mit der Initiative #DieNächste, die sie mit weiteren Betroffenen gründete, setzt sie sich dafür ein, das Thema häusliche Gewalt zu enttabuisieren und gibt den Opfern eine Stimme. Dabei trifft Gewalt gegen Frauen die Ärztin genauso wie die Kitaerzieherin, die Polizistin, die Karrierefrau.
Frauen, die unter einem gewalttätigen Partner leiden, sieht man das nicht an. „Ich entspreche nicht dem Klischee dessen, wie sich die Gesellschaft ein Opfer vorstellt“, sagt Iris Brand. Die Frau neben dir in der Bahn, die Mutter beim Elternabend in der Schule, sie alle können die Nächste sein.
Gewalt an Frauen nimmt zu
Frauen werden in Deutschland erniedrigt, eingeschüchtert, geschlagen, eingesperrt, umgebracht. Fast jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem (Ex)-Partner getötet. Im vergangenen Jahr wurden 859 Frauen und Mädchen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten. 308 Frauen starben durch die Hand eines Mannes. Eines Mannes, mit dem sie nicht selten zuvor unter einem Dach lebten. Gewalt gegen Frauen ist Alltag in Deutschland. Und diese Gewalt gegen Frauen nimmt zu:

Eine neue Lage-Analyse des Bundeskriminalamts (BKA) muss aufrütteln: Im vergangenen Jahr wurden 187.128 Frauen und Mädchen Opfer von häuslicher Gewalt – ein Anstieg um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Häusliche Gewalt beinhaltet alle Formen körperlicher, sexueller oder psychischer Gewalt“, definiert das BKA die Taten in der Studie. Die Zahl der Tatverdächtigen stieg auf 152.812 Personen. Doch in Wahrheit sind es noch viel mehr Fälle, denn die Dunkelziffer ist weit höher.
Was muss sich ändern, um Frauen besser zu schützen?
Doch was kann die Frauen schützen? „Ein stärkeres öffentliches Bewusstsein über das Ausmaß und Formen von Gewalt. Dass den Betroffenen geglaubt wird. Ein Ende der Opfer-Täter-Umkehr“, zählt Brand auf. Und ganz konkret: Änderungen im Familien- und im Strafrecht.

„Klar, jetzt zum Aktionstag 25. November 2025, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, sind alle von den Zahlen betroffen“, sagt Iris Brand. „Doch die viel zu zaghafte Umsetzung von echten, gesetzlichen Verbesserungen zum Schutz von Frauen zeige die eigentliche Nicht-Priorisierung des Themas. Fußfesseln für Gewalttäter und Gewalthilfegesetz schön und gut, aber es braucht weit mehr.“
Betroffene werden von der Politik angehalten, Anzeige zu erstatten, weiß Iris Brand. „Tun sie dies, treffen die Frauen aber auf ein völlig ungeschultes Justizsystem.“ Bei erbärmlichen vier Prozent der angezeigten Fälle kommt es überhaupt zu einer Anklage. Frauen ziehen aus Gründen wie Angst oder Geldmangel die Anzeige zurück. Sie wissen nicht, wie sie Beweismittel sichern können und sie treffen auf einen Justizapparat, der nicht professionell genug im Umgang mit von Gewalt betroffenen Frauen ist.

Ja, sie hat ihm geschrieben, dass sie ihn liebt – aus Angst. Ja, sie ist bei ihm geblieben, weil sie gehofft hat, dass es besser wird. Und nein, es war kein Eifersuchtsdrama, es war Mord. Auch vor Gericht müssen sich Frauen noch viel zu oft rechtfertigen, kommen Täter mit milden Strafen davon, weil sie auf Emotionen in der Beziehung verweisen.
Iris Brand und ihre Mitstreiterinnen haben eine Petition gestartet, die sich dafür einsetzt, Morde an Frauen auch endlich als solche zu ahnden. „Femizide sind keine ‚Familiendramen‘. Sie sind Ausdruck systematischer Gewalt, Macht, Kontrolle und Frauenhass – Gewalt, die immer wieder tödlich endet“, heißt es in der Petition.
Trotz dieser brutalen Realität werden Femizide in Deutschland oft nur als Totschlag gewertet. Die geschlechtsspezifische Motivation bleibt unsichtbar – und damit auch die strukturelle Dimension der Gewalt. Sogar Eifersucht gilt noch immer als nachvollziehbarer Beweggrund – so können Täter auf mildere Strafen hoffen.
Nicht die Betroffenen sind das Problem, sondern die Täter und eine Gesellschaft, die wegschaut und stigmatisiert. Dennoch habe sich in den letzten Jahren schon etwas geändert, bilanziert Iris Brand: „Nicht an den Zahlen ablesbar, aber in der öffentlichen Wahrnehmung.“ Weil immer mehr Frauen wie sie den Mut haben, mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit zu gehen, schaffen sie ein wachsendes Bewusstsein für das Thema.
Gewalt gegen Frauen: Es gäbe Gründe, weiter zu Schweigen
Dabei gäbe es genug Gründe, weiter zu schweigen: Frauen wollen mit dem schlimmen Kapitel in ihrem Leben abschließen, wenn sie es einmal hinter sich gelassen haben. Sie schämen sich, weil ihnen eine Schuld zugeschlagen wird. „So etwas würde ich mir doch nicht bieten lassen“, sagen dann Menschen im Umfeld. Oder sie fragen: „Warum gehst du nicht einfach?“

Iris Brand hat es geschafft, dass der Mann, der sie bedroht und verletzt hat, verurteilt wurde. Sie hat ihn bei der Polizei angezeigt, ist gegen Verleumdungen vorgegangen, hat sich anwaltliche Hilfe geholt, langwierige Verfahren durchgezogen. Nicht alle haben die Kraft, sich selbst zu befreien. Hier muss der Staat besser sein.
Umgangsrecht stärker als Gewaltschutz
„Familienrecht und Strafrecht müssen miteinander verzahnt sein“, sagt Iris Brand. Es darf nicht passieren, dass eine misshandelte Mutter ihr Kind dem Vater überlassen muss. Aktuell passiert das selbst dann, wenn er sie vor den Augen des Kindes bespuckt, beschimpft oder geschlagen hat. „Es darf nicht sein, dass das Recht auf Umgang mehr wiegt als der Schutz vor Gewalt.“ Meist brauchen Frauen mehrere Anläufe, um sich endgültig von ihrem gewalttätigen Partner zu trennen. Auch danach terrorisieren Täter die Frauen oft weiter.
In Berlin erstach im Januar ein 29-Jähriger seine Ex, weil er die Trennung nicht akzeptierte, in Pankow erstach 2022 ein Mann seine Ehefrau, als sie sich von ihm trennen wollte. In Hessen tötete im Sommer ein Mann seine Frau nach Jahren der Gewalt.





