Gründung vor 860 Jahren?

Irre! DDR-Kultcomic „Mosaik“ macht Berlin älter als es ist

Laut Urkunde gilt 1237 als das Geburtsjahr von Berlin. Doch die Macher der Abrafaxe behaupten das Gegenteil. Wollen sie uns einen Bären aufbinden?

Author - Norbert Koch-Klaucke
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In der Mosaik-Redaktion: Leiterin Maren Ahrens und ihr Team lassen im neuen Heft die Abrafaxe unser schönes Berlin gründen – und machen die Stadt älter als sie ist.
In der Mosaik-Redaktion: Leiterin Maren Ahrens und ihr Team lassen im neuen Heft die Abrafaxe unser schönes Berlin gründen – und machen die Stadt älter als sie ist.Markus Wächter/Berliner KURIER

Wollen uns die Macher des DDR-Kultcomics Mosaik einen Bären aufbinden? Im neuen September-Heft wird da steif und fest behauptet, die Abrafaxe hätten unser schönes Berlin gegründet – und das vor etwa 860 Jahren! Machen die Comic-Knirpse, die dieses Jahr 50 werden, die Hauptstadt noch älter, als sie wirklich ist? Denn laut „Geburtsurkunde“ gibt es Berlin doch erst seit 788 Jahren.

Der KURIER machte sich auf die Spurensuche, besucht die Mosaik-Redaktion in Berlin-Westend, die in diesen Tagen die neue Abrafaxe-Geschichte „Die Fehde“ herausbringt. Auf dem Titel ist der Markgraf Albrecht der Bär (1100–1170) zu sehen, wie er um 1168 einen Pfahl mit dem Berliner Stadtwappen in die Erde rammt. Davor kichern vergnügt die Abrafaxe. Dahinter steht Taubenschlag in Form des Fernsehturmes.

Da lachen die Abrafaxe über ihren neuen Streich: Im neuen Mosaik-Heft gründen sie schlagkräftig eine Stadt namens Berlin.
Da lachen die Abrafaxe über ihren neuen Streich: Im neuen Mosaik-Heft gründen sie schlagkräftig eine Stadt namens Berlin.Steinchen für Steinchen Verlag

Die Mosaik-Macher haben ganz schön viel Humor. Aber im Ernst: Bisher lautete die historische Wahrheit, dass Berlin aus der Doppelstadt Berlin-Cölln entstanden sei. Kurios: Ausgerechnet die erste urkundliche Erwähnung von Cölln im Jahr 1237 wird allgemein als Geburtsjahr von Berlin angesehen.

Und jetzt kommt die Mosaik-Redaktion (20 Mitarbeiter) mit dem Jahr 1168. Eigentlich ist es Autor Jens Uwe Schubert (62), der sich die Berlin-Gründungsgeschichte mit den Abrafaxen ausgedacht hat. „Die erste urkundliche Erwähnung von 1237 heißt ja nicht, dass es Berlin, das erst 1244 urkundlich erwähnt wird, nicht schon länger gegeben hat“, sagt Schubert. „Irgendwann muss ja der Ort im Vorfeld entstanden sein.“

Mosaik-Autor Jens Uwe Schubert hat sich die Berlin-Geschichte ausgedacht.
Mosaik-Autor Jens Uwe Schubert hat sich die Berlin-Geschichte ausgedacht.privat/Steinchen für Steinchen Verlag

Nach einigen Recherchen erzählt nun Schubert diese Geschichte mit etwas dichterischer Freiheit im Mosaik. Sie spielt um 1186. Da sitzen im Norden, wo heute etwa Spandau ist, Albrecht der Bär mit seinem Gefolge. Gegenspieler ist der slawische Fürst Jacza von Copnic (Köpenick) mit seinen Leuten. Beide Herrschaften ringen um das Land, das dazwischenliegt. So ist es auch historisch belegt.

Im neuen Mosaik-Heft: Per Zeitsprung gründen die Abrafaxe Berlin

Allerdings nicht, dass die Mosaik-Helden Abrafax, Babrax und Califax per Zeitsprung in diese Historie platzen. Sie sind mit den Geschwistern Katharina und Karl unterwegs, die an der Spree ein neues Zuhause aufbauen wollen – und landen in Cölln. In der Tat ist dieser wohl von Rheinländern errichtete Ort (wo heute die Fischerinsel in Berlin-Mitte liegt) schon länger existent als Berlin.

Der erste Stadtplan von 1650 zeigt noch Cölln (unten) und Berlin (oben), die unter anderem durch die Mühlendamm-Brücke verbunden waren. Zu sehen ist auf Berliner Seite die Nikolaikirche. Und dann war mit der Stadt auch schon Schluss. Es gibt noch nicht einmal den Alexanderplatz.
Der erste Stadtplan von 1650 zeigt noch Cölln (unten) und Berlin (oben), die unter anderem durch die Mühlendamm-Brücke verbunden waren. Zu sehen ist auf Berliner Seite die Nikolaikirche. Und dann war mit der Stadt auch schon Schluss. Es gibt noch nicht einmal den Alexanderplatz.Bernd Friedel/imago

Die Mosaik-Geschichte geht nun so, dass man in Cölln die Neulinge, die dort ein Haus errichten wollen, nicht haben will. Also setzen die Abrafaxe mit dem Geschwisterpaar Katharina und Karl mit einem Boot über die Spree. Und mitten in diesem sumpfigen Gebiet finden sie einen trockenen Fleck Erde, auf dem sie ein Haus bauen – und Berlin gründen.

Hier gründeten nicht nur die Abrafaxe im Mosaik Berlin, hier passierte es auch wirklich: Das heutige Nikolaiviertel ist der Ursprung von Berlin, wo es vor 860 Jahren nur Wald und Sumpf gab. Der Mühlendamm war die Verbindung zur damaligen Schwesternstadt Cölln.
Hier gründeten nicht nur die Abrafaxe im Mosaik Berlin, hier passierte es auch wirklich: Das heutige Nikolaiviertel ist der Ursprung von Berlin, wo es vor 860 Jahren nur Wald und Sumpf gab. Der Mühlendamm war die Verbindung zur damaligen Schwesternstadt Cölln.Peter Meißner/imago

„Man sieht, in Berlin gab es schon Wohnungsnot, als es gegründet wurde“, scherzt Autor Schubert. Er erzählt auch, wie es zu dem Namen kam – aufgrund des sumpfigen Gebietes. „Das Wort ,Berl‘ kommt aus dem Slawischen, bedeutet ,Sumpf‘. Also heißt Berlin übersetzt: Ort im Sumpf.“

Die Geschichte stimmt. Aber nicht, dass Markgraf Albrecht der Bär wirklich dem Örtchen Berlin seinen Segen erteilte, so wie es im Heft erzählt wird. Fakt ist aber die Darstellung, dass Albrechts Gegner Jacza von Copnic zurück ins Königreich Polen ging und die Zukunft von Köpenick anderen überließ. Das war 1168, also vor etwa 860 Jahren.

Als Berlin gegründet wurde, gab es schon lange Köpenick und Spandau

Egal, wie alt nun Berlin wirklich ist: „Diese Geschichte zu machen, hat uns allen sehr viel Spaß gemacht“, sagt Zeichner Jörg Reuter (65), gebürtiger Berliner und seit 1980 beim Mosaik. „Wenn man es genau nimmt, ist unsere Stadt tatsächlich viel älter als man denkt. Köpenick gab es schon um 1150, wie Münzen aus jener Zeit zeigen, auf denen Jacza von Copnic zu sehen ist.“

Ganz klassisch mit dem Stift zeichnet Andreas Schulze für die Berlin-Geschichte des DDR-Kultcomics Mosaik den Markgrafen Albrecht.
Ganz klassisch mit dem Stift zeichnet Andreas Schulze für die Berlin-Geschichte des DDR-Kultcomics Mosaik den Markgrafen Albrecht.Markus Wächter/Berliner KURIER

Um den Umriss des frisch gegründeten Berlins zu zeichnen, nahm Reuter historische Kartenskizzen zur Hilfe. „Der Ursprung lag an der Mühlendammbrücke und dem heutigen Nikolaiviertel, gegenüber war Cölln“, sagt er.

Man merkt: Für die Mosaik-Geschichte zur Gründung Berlins wurde wirklich viel recherchiert. „Unser Autor, acht Zeichner und ein Colorist waren an dem Heft beteiligt“, sagt Redaktionsleiterin Maren Ahrens (54). „Drei Monate dauerte es, bis die Geschichte samt Zeichnungen druckfertig waren.“

Jörg Reuter bearbeitet am Computer die Mosaik-Ausgabe. Seit 1980 ist er dabei.
Jörg Reuter bearbeitet am Computer die Mosaik-Ausgabe. Seit 1980 ist er dabei.Markus Wächter/Berliner KURIER

Die meisten Zeichnungen werden am Computer gemalt. So mancher, wie Zeichner Andreas Schulze (66), setzt aber noch auf die klassische Zeichenart mit Stift und Feder.

Mit viel Humor und Liebe erzählen die Mosaik-Macher von der Gründung Berlins. Am Ende haben sie vielleicht recht, dass unsere Stadt doch älter ist. Was wir schon fast vergessen haben: 2008 fanden Landesarchäologen bei Ausgrabungen einen Eichenbalken, der vermutlich aus dem Jahr 1183 stammt. Somit wäre Berlin 54 Jahre älter als bisher angenommen.