Fische, Fun und Freiheit

Hausboote: Der Aussteigertraum zieht immer mehr Großstädter an

Wer ein Hausboot hat, kann sich glücklich schätzen. Er zahlt keine Miete. Und er lebt mitten in der Natur. Die Stadt ist gleich nebenan.

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Jan Ebel sitzt in der Rummelsburger Bucht in Berlin auf seinem Hausboot „Rockfisch“, das zu einem Ankerverbund von vier Parteien mit insgesamt fünf Booten gehört.
Jan Ebel sitzt in der Rummelsburger Bucht in Berlin auf seinem Hausboot „Rockfisch“, das zu einem Ankerverbund von vier Parteien mit insgesamt fünf Booten gehört.Jens Kalaene/dpa

Leben auf dem Hausboot klingt wie ein Aussteigertraum, und das mitten in der Großstadt. Doch ein neues Ankerverbot sorgt für Schwierigkeiten. Es ist nicht das einzige Problem, mit dem Hausboot-Bewohner zu kämpfen haben.

Eines ist für Jan Ebel klar: „Ich möchte nicht mehr an Land leben“, sagt der tätowierte 43-Jährige mit dem freundlichen Gesicht und dem Barsch auf dem T-Shirt an einem Juliabend auf seinem Hausboot in der Rummelsburger Bucht. „Auch nicht im Hafen, sondern als Insel.“ So nennt Ebel den Ankerverbund mit seinen Freunden. Vier Parteien mit fünf Booten haben sich hier um ein Floß zusammengeschlossen und teilen den Alltag. „Die Kinder sind wie Geschwister.“

Derartige Ankerverbände sind in der Rummelsburger Bucht mittlerweile häufiger zu sehen, per Gesetz. Denn eine seit dem 1. Juni geltende Bundesverordnung verbietet das Ankern auf einem 35 Kilometer langen Abschnitt der Spree und das Anlegen außerhalb genehmigter Liegeplätze weitgehend. Und wo das Ankern, wie in der Rummelsburger Bucht, an der Insel der Jugend oder in der Müggelspree, ausnahmsweise erlaubt ist, gilt eine Anwesenheitspflicht an Bord: mindestens ein Mensch pro Verband, der in der Lage sein muss, für jedes Boot die „der Schiffssicherheit und der Verkehrssicherheit dienenden Maßnahmen unverzüglich zu treffen“.

Freie, offene Wassernutzung nur noch im Zusammenschluss der Hausboote möglich

„Die Community ist zusammengerückt“, seitdem die Verordnung bekannt geworden sei, findet Ebel. In seinem Verband sei die Anwesenheitspflicht kein Problem, zumindest im Sommer. Ebel ist Erzieher, „der Einzige aus der Gruppe mit einem Nine-to-five-Job“. Andere arbeiteten im Boots-Homeoffice oder seien flexibel in ihren Arbeitszeiten, es sei immer jemand da. Doch er sei der Einzige aus der Gruppe, der überwintern könne, und neben der Einsamkeit habe er dann ein weiteres Problem.

So eng wie Ebel und seine Freunde wohnten andere vorher nicht zusammen. Nun hätten sich Leute zusammentun müssen, doch nicht immer passe es. Derzeit befinden sich etwa 200 Boote auf der Bucht, circa 70 bis 80 Leute leben hier, schätzt Arik Rohloff, ebenfalls Hausbootbesitzer und Vorstand des Vereins Spree:publik, einem Zusammenschluss der Kunst- und Kulturflöße. Die Bewohnerstruktur sei sehr heterogen, vom ehemaligen Obdachlosen bis zum Designer sei alles dabei. Der Verein will den unkommerziellen Zugang zum Wasser für alle bewahren, veranstaltet unter anderem Konzerte und andere Kultur- und Umweltschutzprojekte.

Mal eben zum Waldspielplatz geht nicht mehr vom Hausboot aus

„Die größte Herausforderung ist, das gewohnte Leben so weiterzuführen“, sagt Rohloff. „Wir müssen uns viel mehr genehmigen lassen.“ Bisher hätten sie für das Sommerfest „Rummel auf der Bucht“ oder zur „Fête de la Musique“ Genehmigungen beantragt, jetzt sei dies auch für kleine Veranstaltungen wie ein Floßkino auf der Spree oder eine Kräuterwanderung nötig, weil man nicht mehr einfach festmachen dürfe, ein großer Aufwand. „Einfach so mit den Kindern zum Waldspielplatz geht nicht mehr“, erzählt Rohloff. „Es fehlen öffentliche Liegeplätze.“ Jemand müsste auf dem Boot bleiben und hin- und herschippern, um nicht als stillliegend zu gelten.

Hausboote in der Rummelsburger Bucht in Berlin. Am Ufer der Bucht entstehen neue Apartments.
Hausboote in der Rummelsburger Bucht in Berlin. Am Ufer der Bucht entstehen neue Apartments.Winfried Rothermel/imago

Die Verordnung des Bundesverkehrsministeriums (BMDV), das für die Wasserstraßen zuständig ist, kam für viele überraschend. Das Ministerium begründete die Verordnung insbesondere mit „dem um sich greifenden Phänomen der herrenlosen, vielfach schrottreifen Boote“, dem Einhalt geboten werden soll, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilt. „Die Nebengewässer der Spree-Oder-Wasserstraße, wie z. B. der Rummelsburger See, aber auch die Spree selbst, wurden in den letzten Jahren vermehrt dazu genutzt, um auf nicht gekennzeichneten Liegestellen oder ungenehmigten Liegeplätzen dauerhaft unbemannt stillzuliegen“, heißt es.

Viele Hausboote sind schrottreif

Wie viele der Fahrzeuge tatsächlich schrottreif und nicht nur verkehrsuntüchtig seien, sei schwierig zu schätzen, teilt der BMDV-Sprecher mit. Bei einer Peilung 2021 seien 130 gesunkene Fahrzeuge auf dem Grund festgestellt worden. Zwischen 2016 und 2022 seien von der Wasserschutzpolizei 532 Verstöße bei Booten festgestellt worden, insbesondere gegen die Kennzeichnung, Wache und Aufsicht. Bei den daraus folgenden Ordnungswidrigkeitsverfahren sei die erfolgreiche Zustellung ein Problem: Häufig hätten die Betroffenen keine Adresse, an die Post zugestellt werden könnte, und die Fahrzeuge seien nicht amtlich gekennzeichnet.

Das Abschleppen eines Bootes sei nur bei akuter Gefahr möglich, so der BMDV-Sprecher. „Selbst wenn dieser Fall eintritt, bestehen tatsächliche Schwierigkeiten, da viele der Fahrzeuge und Schwimmkörper so instabil sind, dass sie während des Abschleppvorgangs sinken.“ Die Berliner Senatsverwaltung für Verkehr war im Abstimmungsprozess für die Bundesverordnung involviert und begrüßt diese daher.

Immer mehr Hausboote auf dem Wasser

Auf der kurzen Fahrt im Dingi, dem kleinen Beiboot, vom Ufer bis zum Hausboot weist Ebel auf ein, zwei Schrottboote hin. Dass die entsorgt werden, begrüßt der Verein. Doch das sei auch schon mit den vorherigen Regelungen möglich gewesen. Es sei in letzter Zeit voll geworden auf dem Wasser, meint Ebel, der seit 13 Jahren dort wohnt. „Früher kannte ich hier noch jeden, aber die Zeiten sind vorbei.“ Es seien zuletzt „viele Leute ohne maritime Grundkenntnisse“ dazugekommen, „die sich wenig Gedanken machen, was mit den Booten passiert“.

Auch das Phänomen Airbnb habe auf dem Wasser Einzug gehalten. Der Verein Spree:publik, in dem auch Ebel aktiv ist, steht dem kritisch gegenüber. Die leise Hoffnung: Die neue Regelung könnte auch helfen, gegen Airbnb auf dem Wasser vorzugehen, denn demnach müssten Touristen in der Lage sein, das Boot zu sichern.

Vertrieben worden sei durch die neue Verordnung seines Wissens bisher niemand, sagt Rohloff vom Verein Spree:publik. Doch bei den Hausbootbewohnern in der Bucht bleibt ein mulmiges Gefühl. „Wir wissen nicht, was da noch kommt“, sagt Ebel. Er befürchtet einen „geplanten Großanschlag auf die Bootsszene“. Die Senatsverwaltung für Verkehr strebt nach Mitteilung eines Sprechers „jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ kein vollständiges Ankerverbot an.

Darum leben viele Menschen gern auf Hausbooten:

Naturnähe: Hausboote bieten eine einzigartige Möglichkeit, in enger Verbindung mit der Natur zu leben. Das ständige Umgebensein von Wasser, die Aussicht auf Flüsse oder Seen und die Möglichkeit, direkt von zu Hause aus zu schwimmen oder zu angeln, machen diesen Lebensstil für Naturliebhaber sehr attraktiv.

Flexibilität und Freiheit: Ein Hausboot kann im Gegensatz zu einem festen Haus an verschiedenen Orten in Berlin festmachen, was eine hohe Mobilität und ein Gefühl von Freiheit ermöglicht. Man kann das Umfeld je nach Jahreszeit oder persönlichen Vorlieben ändern.

Ruhe und Entspannung: Viele Menschen empfinden das Leben auf dem Wasser als besonders beruhigend und entspannend. Das sanfte Schaukeln des Bootes und das leise Plätschern des Wassers können eine wohltuende Wirkung haben und Stress abbauen.

Gemeinschaft und Geselligkeit: Hausboot-Gemeinschaften sind oft sehr eng und unterstützen sich gegenseitig. Man lebt meist in kleinen, überschaubaren Nachbarschaften, was ein starkes Gemeinschaftsgefühl fördern kann.

Kosteneffizienz: In vielen Städten, insbesondere in Großstädten mit hohen Immobilienpreisen wie Berlin, kann ein Hausboot eine kostengünstigere Alternative zum Leben an Land darstellen. Die Anschaffung und Unterhaltskosten können, je nach Region und Ausstattung, niedriger sein als die einer konventionellen Immobilie.

Individuelle Gestaltungsmöglichkeiten: Hausboote bieten oft die Möglichkeit, den Wohnraum individuell und kreativ zu gestalten. Man kann den Innenraum nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen anpassen, was in traditionellen Berliner Altbauten oft weniger flexibel möglich ist.

Nachhaltigkeit: Das Leben auf einem Hausboot kann nachhaltiger gestaltet werden, beispielsweise durch die Nutzung von Solarenergie, die Installation von Komposttoiletten und die effiziente Nutzung von Ressourcen. Dies spricht Menschen an, die umweltbewusst an der Spree leben möchten.■