Ein Palliativarzt soll das Sterben begleiten, die Schmerzen der Betroffenen lindern. Doch der Berliner Palliativarzt Johannes M. hat selbst getötet. Bislang gehen die Ermittler von mindestens acht Opfern aus. Doch alles könnte noch viel schlimmer sein: 60 weitere Todesfälle der letzten Jahre werden jetzt wohl von der Staatsanwaltschaft geprüft. Damit wäre Johannes M. einer der schlimmsten Serienmörder der deutschen Geschichte, aber nicht der erste Mediziner in der Liste des Grauens.
Johannes M., der für einen Pflegedienst tätig war, sitzt seit August wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. Anfangs gingen die Ermittler davon aus, dass der 40-Jährige vier ältere, schwer kranke Frauen in deren Wohnungen getötet habe. Doch die Zahl der möglichen Opfer wächst weiter und weiter.
Berliner Arzt: 60 Todesfälle werden jetzt überprüft
In der ersten Dezemberwoche warf ihm die Staatsanwaltschaft schon vor, mindestens acht Menschen ermordet zu haben. Das Motiv: pure Mordlust. Im Rahmen der Ermittlungen sind bereits zehn Leichen exhumiert worden. Das bestätigt auch ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft. Laut einem Bericht der Bild-Zeitung werden inzwischen sogar mehr als 60 Todesfälle aus den vergangenen Jahren überprüft. Dazu wollte sich der Sprecher der Staatsanwaltschaft nicht äußern.
Ob sich nach der Exhumierung und anschließender Untersuchung durch die Gerichtsmedizin weitere Verdachtsfälle ergeben, ist noch offen. Man spricht von einer Exhumierung, wenn das Grab eines Verstorbenen nach der Bestattung geöffnet und der Leichnam freigelegt wird.
Ausgelöst wurden die Ermittlungen gegen den Mediziner durch Brände. Um die Tötung der Patienten zu verdecken, soll er Feuer gelegt haben. Bislang geht die Staatsanwaltschaft von mindestens acht Opfern aus. Die eigens für den Fall eingerichtete Ermittlungsgruppe des Morddezernats im Berliner Landeskriminalamt (LKA) hat die Fälle identifiziert, in denen es um mögliche weitere Opfer gehen könnte. Dabei spielen auch Hinweise von anderen – etwa Pflegediensten – eine Rolle.
Der Arzt sitzt seit August in Untersuchungshaft. Ursprünglich stand der 40-Jährige im Verdacht, vier Patientinnen im Alter zwischen 72 und 94 Jahren in deren Wohnungen getötet zu haben. Der Beschuldigte soll den alten Menschen ein „Gemisch verschiedener Medikamente“ verabreicht haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Mordes. Als Motiv sieht sie „Mordlust“.
Der Mediziner arbeitete für einen Pflegedienst. Palliativärzte begleiten schwerstkranke Menschen, um deren Schmerzen zu lindern. Die betroffenen Patienten befanden sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft zum Todeszeitpunkt nicht in einer akuten Sterbephase.

Wie es scheint, hat sich der Killerarzt schon lange vor der ersten Tat auf das Töten vorbereitet. 2012 verfasste Johannes M. seine Dissertation. Darin ging es nur um Mord und Totschlag, der Titel: „Tötungsdelikte in Frankfurt/Main: ein Überblick von 1945 bis 2008“. Schockierend: Ab Seite 57 schrieb er seine Erkenntnisse über „Tötungsdelikte an alten Menschen“ auf.
Die Killer-Liste des Grauens
Johannes M. ist in Deutschland aber nicht der erste Mediziner, der Leben nahm, statt Leben zu verlängern. Der schlimmste Fall: Krankenpfleger Niels Högel. Der heute 48-jährige Norddeutsche wurde 2019 wegen 85-fachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. In Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst spritzte er zwischen 2000 und 2005 Kranken unterschiedliche Medikamente, um sich bei einer anschließenden Reanimierung als Retter aufzuspielen.
In 332 Fällen ermittelte die Staatsanwaltschaft, neben den Morden kam es auch noch zu zahlreichen Fällen von gefährlicher Körperverletzung. Unfassbar: Immer wieder fiel Kollegen auf, dass es die meisten Wiederbelebungsversuche und Todesfälle gab, wenn Niels Högel Dienst hatte. Doch er wurde immer wieder versetzt, bekam bei einem Klinikwechsel ein gutes Zeugnis.
Fast zeitgleich trieb „Der Todesengel von Sonthofen“ sein Unwesen. Zwischen 2003 und 2004 ermordete der Krankenpfleger Stephan Letter (heute 46) mindestens 29 Patienten im Alter zwischen 40 und 95 Jahren in einer Klinik im bayerischen Sonthofen. Tatwaffe: eine Giftspritze. Am 29. Juli 2004 wurde Letter wegen Medikamentendiebstählen und ungeklärten Todesfällen festgenommen.
Er gestand zehn Tötungen. Nach der Überprüfung von 83 Fällen, teilweise durch Exhumierung, wurde er wegen Mordes in 16 Fällen, Totschlags in zwölf Fällen, Tötung auf Verlangen in einem Fall sowie einmal versuchten Totschlags, zwei Fällen der gefährlichen Körperverletzung und Diebstahls zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Begründung Letters, er habe seine schwer kranken Opfer „aus Mitleid“ getötet, nahm ihm die Staatsanwaltschaft nicht ab.
Auch Frauen können Serienkiller sein
Aber nicht nur Männer sind zu so abscheulichen Taten fähig. Anfang der 90er-Jahre machte der „Todesengel von Köln“ Schlagzeilen – die 1938 geborene Altenpflegerin Marianne Nölle. Die Kölnerin wurde 1993 zu lebenslanger Haft verurteilt, weil sie während ihrer Arbeitszeit in den Jahren 1984 bis 1992 sechs Menschen aus Habgier tötete. Die Kriminalpolizei vermutete elf weitere Fälle.
Die Beute der mörderischen Altenpflegerin: Schmuck, Uhren, Bargeld, Briefmarken, sogar eine Eigentumswohnung. Alle Getöteten wurden bestohlen. Nölle soll den Opfern eine tödliche Überdosis des Antipsychotikums Truxal, manchmal vermischt mit Diazepam, verabreicht haben. Die Ermittlungen, die zur Verhaftung Nölles führten, wurden durch die Diebstahlsanzeige des Angehörigen einer von Nölle gepflegten und dabei gestorbenen Frau ausgelöst. Nölle bestritt zeitlebens, die Taten begangen zu haben. 2022 starb sie 84-jährig im Gefängnis.
Und in Wuppertal stand 1989 die damals 30-jährige Stationsschwester Michaela R. wegen 17-fachen Mordes vor Gericht. Sie tötete Kranke auf der Intensivstation des Petrus-Krankenhauses mit einer Spritze. Kollegen nannten sie „Todesengel“, weil in ihren Schichten so viele Patienten starben. Sie flog auf, als sie einem Patienten eine Spitze setzte, die der Arzt nicht verordnet hatte.
Die Staatsanwaltschaft prüfte alle Todesfälle seit ihrem ersten Arbeitstag in der Klinik, ließ 28 Verstorbene exhumieren. Vor Gericht gestand die Angeklagte sechs Fälle. Sie tötete mit einem blutdrucksenkenden Mittel, manchmal verwendete sie zusätzlich Kaliumchlorid. Michaela R. erklärte, sie habe aus Mitleid gehandelt und Patienten längeres Leiden ersparen wollen. Sie kam um eine Verurteilung wegen Mordes herum. Das Urteil: elf Jahre Haft wegen Totschlags in fünf Fällen, einer Tötung auf Verlangen, fahrlässiger Tötung und versuchten Totschlags. Heute lebt die Ex-Krankenschwester unter anderem Namen. ■