Man kann die Flyer im Stadtbild in manchen Kiezen nicht übersehen. Wo vor wenigen Jahren Eltern noch Mätzchen machten und Kuchen buken, nur um irgendeinen Kitaplatz zu ergattern, es ellenlange Wartelisten gab, haben Kitas, Kinderläden und Kindertagespflegestellen heute in manchen Kiezen freie Plätze en masse. Mit Aushängen und Flyern suchen sie nach Nachwuchs. Dass Kitas wieder mehr freie Plätze haben, verursacht ganz unterschiedliche Probleme, kann aber auch Chancen bieten.
Bei Janet und Sebastian Lessing überwiegen derzeit in ihrer kuscheligen Tagespflegestelle „Marienkäfer“ in Pankow die Probleme. Von den acht Plätzen in ihrer Mini-Kita sind derzeit nur drei belegt. Überall in Pankow haben Janet und Sebastian daher Flyer aufgehängt, um neue Kinder zu werben. Gleich wollen zwei interessierte Eltern, kommen, um sich die Räume anzusehen.
Gegenentwurf zur Massenbetreuung
Janet Lessing und ihr Mann, beide gelernte Erzieher, werden vom Träger der Einrichtung, dem Jugendamt, pro Kid bezahlt und nicht pauschal. Sie sind selbständig und bieten Betreuung für Kinder von 0 bis 4 Jahren an. Ursprünglich waren Kindertagespflegestellen für kranke Kinder gedacht, weil der Bedarf so groß war, konnten irgendwann alle Kinder kommen. Das Jugendamt übernimmt zwar auch die Betriebs-Kosten für die liebevoll eingerichteten Räume, Steuern müssen die Lessings aber selber entrichten. Je weniger Kinder, desto weniger Einkommen, heißt das für die beiden. Finden sich nicht bald mehr Kinder, müssen sie ihren Job und den Traum von der eigenen Kindertagespflegestelle an den Nagel hängen. „Wir haben Angst, dass wir schließen müssen“, sagt Janet Lessing.
Dabei haben Janet und Sebastian die Einrichtung vor zwei Jahren übernommen, weil sie mit der Massenbetreuung in herkömmlichen Kitas nicht einverstanden waren. „Wir wollten es hier besser machen, persönlicher, mit mehr Förderung und individueller Zuwendung“, sagt Janet Lessing.
In ihren jeweils alten Kitas haben die Lessings 25 oder 30 Kinder mit zwei oder drei anderen Erziehern gemeinsam betreut. Ausflüge, Angebote waren da selten möglich. „Da sind einige Kinder einfach untergegangen“, sagt Janet Lessing.
Heute haben die drei Kinder, die gerade bei den Marienkäfern betreut werden, die volle Aufmerksamkeit ihrer Bezugspersonen. Janet kocht Nudeln zum Mittag, im Flur steht der Wagen für Ausflüge bereit.

Doch von einst 150 Tagespflegepersonen in Pankow sind es derzeit gerade einmal noch 48. Vor zwei Jahren noch waren alle acht Plätze bei den Marienkäfern belegt, es gab Wartelisten, sagt Janet Lessing. Seit etwa einem halben Jahr spürt das Ehepaar, dass die Nachfrage sinkt.
Eltern haben freie Kita-Wahl
Heute haben die Eltern im Kiez die freie Wahl. Es zählen Konzept und Erreichbarkeit - die Marienkäfer sind das kleinste Glied in einem Betreuungssystem, das sich im Umbruch befindet. Aus der Kita-Not ist vielerorts ein Überangebot geworden. Weil die Tagespflegestelle nur Kinder bis 4 Jahre betreuen darf, wechseln Eltern, sobald sie einen passenden Kitaplatz gefunden haben. Heute geht das viel schneller, als noch vor einigen Jahren. Damals war sogar im Gespräch, dass die Tagespflegestelle bis zum Schulbeginn betreuen dürfen. Davon ist heute nicht mehr die Rede.
Janet und Sebastian Lessing werden mit einer Entwicklung konfrontiert, die sich in vielen Kiezen beobachten lässt. In so kleinen Einrichtungen wie bei den Marienkäfern kommen die Betreiber schnell an Grenzen, wenn es zu wenige Anmeldungen gibt. Aber auch bei den großen Trägern muss schon heute Personal an andere Orte versetzt werden, kommen private Kinderläden, die ihre Betriebskosten erwirtschaften müssen, an Grenzen.
Kitas in der Stadt weniger ausgelastet
Die Bildungsverwaltung hatte bereits im Sommer auf Anfrage von Alexander King (fraktionslos) detaillierte Zahlen zur Auslastung der Kitas in der Stadt mitgeteilt. Demnach waren Ende 2023 berlinweit 91,3 Prozent der Kitaplätze belegt, Ende 2024 nur noch 88,5 Prozent.
Für Lichtenberg gibt es frische, konkrete Zahlen: Hendrikje Klein (Linke) hat sie erfragt. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Bildung wurden zum Stichtag 31. Juli rund 17.400 Betreuungsplätze in 173 Kitas im Bezirk Lichtenberg angeboten. Davon waren zu diesem Zeitpunkt 15.500 Plätze belegt, wie aus den Angaben hervorgeht. Die Auslastungsquote liegt damit bei 89 Prozent.
Insgesamt sind in Berlin aktuell rund 28.000 Kitaplätze unbelegt, verteilt über das gesamte Stadtgebiet. Während etwa in Wedding Plätze knapp sind, hat man in Pankow oder Prenzlauer Berg nicht selten die freie Auswahl, das lässt sich aus dem „Kitaentwicklungsbericht 2024“ ablesen, den Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) in dieser Woche vorgestellt hat.
Weniger Kinder unter sieben Jahre
Generell geht demnach die Zahl der betreuten Kinder in den Kitas und Kindertagespflegestellen in Berlin zurück. Es gibt schlicht weniger Kinder unter sieben Jahren. In Bezirken wie Prenzlauer Berg, Pankow oder Lichtenberg, die einst Hochburgen von Familien mit kleinen Kindern waren, hat das zur Folge, dass sich die Lütten mittlerweile in den Schulen stapeln, während für die Kitas weniger Kinder nach kommen.
Umzüge innerhalb der Stadt sind schwierig, weil es wenig bezahlbaren Wohnraum für junge Familien gibt. Auch ist der Ausbau von Kitaplätzen vorangeschritten. Die Zahl stieg seit 2019 um rund 25.000 auf mehr als 197.300. Das seien so viele wie noch nie, so die Senatorin. Katharina Günther-Wünsch zeigte sich daher optimistisch, dass man zukünftig den Kita-Betreuungsschlüssel entsprechend anpassen könne.
Betreuungsschlüssel in Kitas anpassen
Und genau hier liegt auch Chance. Anstatt Personal abzubauen, können Kitas in Zukunft bessere Arbeit leisten, ohne die Erzieher zu verschleißen. Seit Jahren fordern die Gewerkschaften einen besseren Personalschlüssel.

„Die Zahlen bieten eine große Chance, den Betreuungsschlüssel in den Lichtenberger Kitas zu verbessern“, sagt auch Linken-Abgeordnete Klein. Die Auslastung von derzeit 89 Prozent dürfe „nicht dazu verleiten, hier Einsparungen zur Haushaltskonsolidierung vorzunehmen”, so die Abgeordnete.
Die Chance ist da, aber von einer automatischen Verbesserung für das ganze System frühkindlicher Bildung und Betreuung will auch André Borgmann, Abteilungsleiter für die 18 Kitas des Trägers Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH, nicht sprechen.
„Ich würde gern noch einmal betonen, dass die Entwicklung, dass es weniger Kinder gibt, nicht zu verwechseln sind mit einem verbesserten Personal-Kind-Schlüssel“, sagte er dem rbb.
Diesen Anspruch werde es weiter geben. Egal, ob eine Kita eine Vollauslastung mit Kindern habe oder nicht – das Personal werde am Ende immer an den Schlüssel angepasst. „Und in diesem Schlüssel sind keinerlei Fehlzeiten von Personal – weder Urlaub, noch Schwangerschaft, noch Krankheit – berücksichtigt. Der Berliner Schlüssel besteht nur auf dem Papier. Es gibt keinen Tag in der Kita, in der er faktisch wirklich so ist.“
