Der Prenzlauer Berg war sein Kiez, der Jazz seine große Liebe und das Fotografieren sein Leben. Die Kamera gehörte zu Volkhard Kühl wie sein Schnauzbart, die Pfeife und die Mütze. „Volki“, so nannten ihn Freunde und Kollegen. Und egal, wo er auch war – den Fotoapparat hatte er immer am Mann. Denn mit seinen Fotos konnte „Volki“ am besten Geschichten erzählen.
Nun sitze ich hier, und schreibe seine Geschichte auf. Sie erzählt von einem Mann, der schon Jahrzehnte lang für den Berliner KURIER und dessen Vorgänger „BZ am Abend“ als Fotograf arbeitete, als ich 1991 gerade bei dieser Zeitung als junger Reporter anfing.
Ich werde nie vergessen, wie er mich damals mit seinem strengen Blick durch die Brille musterte, was ich denn so für ein Bürschchen sei. Wir verstanden uns auf Anhieb.
So manche Geschichten haben wir dann damals gemacht. Meistens zu Fuß oder mit den Öffis gingen wir auf Entdeckungsreise, um die Dinge aus unserer Stadt zu erzählen, die den Berlinern auf den Nägeln brannten. Mit dem Auto waren wir erst später unterwegs – als Volki mit über 60 und ich mit über 30 endlich den Führerschein gemacht hatten.

Für alle von uns war Volki so etwas wie eine Fotografen-Legende, ein Original, der den Osten Berlins mit seinen Menschen so gut kannte wie keiner. Kein Wunder, Volkhard Kühl hatte diesen Job ja auch von der Pike auf gelernt.
In der Niederlausitz kam er am 7. März 1933 auf die Welt. Nach der Flucht wuchs Volki im brandenburgischen Zehdenick auf, lebte seit 1955 in Berlin. Nach dem Abitur und einigen Jahren in verschiedenen Jobs fing Volkhard Kühl Ende der 50er Jahre ein Volontariat bei der damaligen Berliner Abendzeitung „BZ am Abend“ an. Dort kam er in die Abteilung „Bild und Gestaltung“, wo er vor allem für die Gestaltung der Zeitung arbeitete.
KURIER-Fotograf Volkhard Kühl: Mit seinen Fotos konnte er Geschichten erzählen
Nach Feierabend oder an freien Tagen zeigte Volki, was wirklich in ihm steckte. Er zog los, um Fotos zu machen, und erarbeitete sich so seinen Weg in die Redaktion. Eine Geschichte ist darunter, deren Bilder ich vor anderthalb Jahren in einer DDR-Foto-Ausstellung in Lichtenberg sah und die mich regelrecht in den Bann zogen. Es waren Fotos, die die grausame Geburt der Berliner Mauer zeigten.

Diese einmaligen Zeitdokumente hatte Volkhard Kühl gemacht. Er erzählte mir Tage später, wie er damals im August 1961 als junger Volontär mitten im Grenzstreifen stand und mit der Kamera dokumentierte, wie dieses Bauwerk begann, die Stadt Berlin zu teilen. Volki war da Tag für Tag mit dem Fotoapparat da und fotografierte, bis man ihm dort das Fotografieren verbot.
Doch „Volki“ konnte man das Fotografieren nicht verbieten. Nach dem Fernstudium Journalistik/Fachrichtung „Foto“ und einem Jahr als Texter in der Lokalredaktion, arbeitete Volki ab 1970 als Bildjournalist für die „BZ am Abend“. In diesen Jahren nahm er erfolgreich an nationalen und internationalen Fotoausstellungen teil.

Als 1991 aus der BZA der KURIER wurde, war Volki als freiberuflicher Fotograf bis 1998 für unsere Zeitung unterwegs. Viele seiner Bilder aus der BZA-Zeit zeigen den Alltag in Ost-Berlin. Wenn ich sie so heute sehe, etwa in Ausstellungen, dann holen mich Volkis Fotos zurück in meine Kindheit und Jugendzeit. So wie eine Aufnahme aus den 70er-Jahren, die zeigt, wie Männer bei einer Modelleisenbahnausstellung am Alex mit einem Staubsauger die Platte ihrer Modelleisenbahn säubern, auf denen S-Bahn-Züge im Miniformat rollen.

Ein anderes Kühl-Foto weckt ebenfalls besondere Erinnerungen. Es zeigt eine Familie, die 1977 in einer Berliner Altbauwohnung steht, der Vater den Fußboden vermisst. Eigentlich unspektakulär. Doch wer im Osten Berlins aufwuchs, weiß, was dieser Moment bedeutete. Es war schließlich schwer, eine vernünftige Wohnung in der DDR zu bekommen.
Wenn Volki erst einmal beim Fotografieren war, kannte er keine Grenzen. Er kletterte auf Baukräne, um etwa aus der Vogelperspektive das Heranwachsen des Palastes der Republik oder das der Plattenbauten in Marzahn für die Nachwelt ablichten zu können. „Meine Bilder sind nicht gestellt. Ich sehe mich nicht als Künstler, sondern als Dokumentarist und Zeitzeuge“, hatte Volki immer gesagt.
KURIER-Fotograf Volkhard Kühl: Jazz war seine Liebe, das Fotografieren sein Leben
Dokumentarist und Zeitzeuge war Volkhard Kühl auch, wenn er seine kostbare Freizeit seiner großen Liebe widmete – dem Jazz. Kein Konzert, das Volki nicht mit seiner Kamera festhielt. Seine Jazz-Fotografien zeigen Stars wie Louis Armstrong, Acker Bilk oder Chris Barber. Natürlich lichtete er auch die Größen der DDR-Szene ab – wie Ruth Hohmann oder Klaus Lenz. Und als Volki nach der Wende die Welt offen stand und er durch selbige reisen konnte: Seinen Weg fand er stets zurück zum Jazz-Treff in Berlin-Karlshorst. Selbst im hohen Alter war er dort anzutreffen.
Trotz seiner Liebe und Leidenschaft: Da war und ist noch Volkis Familie. Zwei Töchter hat er, fünf Enkelkinder und einen Ur-Enkel. Volki, was für ein Glück hattest du! Die Familie – sie war stets da für Volkhard Kühl, auch dann, als er sich auf seine letzte große Reise vorbereiten sollte. Unter Atemnot litt Volki plötzlich. Das Pfeifenrauchen forderte seinen Tribut. Volki kam ins Krankenhaus und seine Familie war stets bei ihm. Er wollte, dass sie ihm immer etwas erzählen. Als es aber nichts Spannendes mehr zu erzählen gab, spielten sie ihm mit dem Smartphone Jazzmusik vor. Das beruhigte Volki und er schlief ruhig ein.
Am 12. Januar ist Volkhard Kühl am Abend für immer eingeschlafen. 91 Jahre ist der KURIER-Fotograf geworden. Volki, danke für die schöne Zeit mit dir! Sein Bilderschatz ist in guten Händen, bleibt durch die Agentur DDR-Fotoerbe der Öffentlichkeit erhalten. ■