Kolumne „Wir im Osten“
Foto-Reise in die Vergangenheit: So war unser Leben im Osten Berlins
Unser Autor lädt zur „Langen Nacht der Bilder“ zu einer besonderen Ausstellung ein: Zurück zum Leben im Osten Berlins, das in einer Fotoschau gezeigt wird.

Haben Sie schon was vor? Wenn nicht, dann begleiten Sie mich doch heute am 1. September bei der Berliner „Langen Nacht der Bilder“ auf eine Reise in die Vergangenheit. Zurück zu unserem Leben im Osten Berlins, das in einer kleinen Fotoschau gerade gezeigt wird, die ich in der Lichtenberger Pfarrstraße 113 entdeckt habe.
Dort befindet sich die Agentur „DDR Fotoerbe“. Vor wenigen Tagen war ich schon einmal da, um mich mit der Historikerin Sandra Neumann zu treffen. Seit 2017 ist sie Inhaberin des Fotoarchivs des Berliner Verlags, hat mit der einstigen DPA-Zentralbild-Geschäftsführerin Heike Betzwieser die „DDR Fotoerbe“-Agentur 2022 gegründet. Das Ziel der beiden Frauen und ihren Mitstreitern ist es, einen ganz besonderen Bilderschatz für die Nachwelt zu heben und bewahren.
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DDR-Fotoschau: Bilder zeigen, wie der Alltag im Osten Berlins wirklich war
Es geht um die Fotos von DDR-Pressefotografen. Und das waren nicht nur alles Auftragswerke von Kundgebungen oder DDR-Geburtstagsparaden. Sie drückten auch abseits dieser Termine auf den Auslöser ihrer Kameras, um mit dem besonderen Blick eines stillen Beobachters das andere Leben im SED-Staat einzufangen, das es zwischen Mauer und Stasi auch gab. Den ganz normalen Alltag der Menschen, so wie er im Osten war.

Eine Foto-Auslese davon sehe ich in der Ausstellung „Das andere Leben. Ost-Berlin zwischen Mauerbau und Mauerfall“, die in der Pfarrstraße gezeigt wird. 65 Bilder von den Fotojournalisten Joachim Kirchmair, Michael Richter, Mario Rietz, Jochen Wermann – und von den einstigen „B.Z. am Abend“-Fotografen Volkhard Kühl und Thomas Uhlemann, mit denen ich beim Nachfolger KURIER jahrelang zusammenarbeiten durfte.
Es sind zunächst Bilder von Volkhard Kühl, die mich in ihrem Bann ziehen. Fotos von der Geburt der Berliner Mauer. Als sie 1961 errichtet wurde, stand Kühl als junger Volontär mehrere Tage sogar mitten im Grenzstreifen und dokumentierte mit der Kamera ungeschönt, wie dieses Bauwerk begann, die Stadt zu teilen – bis man ihm dort das Fotografieren verbot.

Vom Mauerbau bis Modelleisenbahnausstellung: DDR-Bilder wecken Erinnerungen
Doch „Volki“, der heute über 90 Jahre alt ist, konnte man das Fotografieren nicht verbieten. Ich bekomme in der Agentur Bilder von ihm aus dem Alltag in Ost-Berlin zu sehen, die mich zurück in meine Kindheit und Jugendzeit holen und mich an Dinge erinnern, die bei mir schon fast in Vergessenheit geraten sind.
So zeigt ein Kühl-Foto, wie Männer bei einer Modelleisenbahnausstellung am Alex in den 1970er-Jahren mit einem Staubsauger die Platte ihrer Modelleisenbahn säubern, auf denen S-Bahn-Züge im Miniformat rollen. Ich sehe mich wieder mit meinem Vater dort. Denn wir beide sind damals gerne zu dieser Schau gegangen und ich wolle immer diese S-Bahn-Modelle haben, die es aber nicht zu kaufen gab.

Ein anderes Kühl-Foto weckt ebenfalls besondere Erinnerungen. Es zeigt eine Familie, die 1977 in einer Berliner Altbauwohnung steht, der Vater den Fußboden vermisst. Eigentlich unspektakulär.
Doch wer im Osten Berlins so wie ich aufwuchs, weiß, was dieser Moment bedeutete. Es war schwer eine vernünftige Wohnung zu bekommen. So mussten meine Eltern jahrelang kämpfen, um aus einer Bruchbude mit Halbetreppe-Klo und keinem Bad herauszukommen, von der die Bauaufsicht behauptete, da könne noch „ein mittelschwerer Panzer“ durchfahren. Als es endlich mit der Zuweisung in ein anderes Quartier klappte, standen meine Eltern dann auch so mit mir da, um voller Freude mit dem Zollstock bewaffnet von der neuen Wohnung Besitz zu nehmen.

Wohnungssuche, Altstoffe sammeln, vor Telefonzelle warten: Szenen aus dem DDR-Alltag
Apropos Wohnungen: Erinnern Sie sich noch, wie wir als Kinder um die Häuser zogen und Altstoffe von den Hausbewohnern sammelten? Als ich ein Foto von Thomas Uhlemann mit Mädchen und Jungen sehe, die massenweise Papier, Kartons und Zeitungen mit einem Einkaufswagen aus der Kaufhalle zum Händler karren, weiß ich es wieder. Nicht immer gingen die Einnahmen für staatlich verordnete Solidaritätsspenden drauf. Ich sparte lieber das Geld für ein Fahrrad.

Bei einem anderen Uhlemann-Foto denke ich: Ach, das gab es ja auch noch. Wie wir im Osten bei Wind und Wetter in einer Warteschlange vor einer Telefonzelle ausharrten, um nur mal schnell ein wichtiges Gespräch zu führen.
Ja, sogar bei Schneefall standen wir da, wie das Foto in der Schau zeigt. Denn nur wenige besaßen in der DDR ein eigenes Telefon. „Fasse dich kurz“, stand oft an den Zellen. Daran gehalten hatte sich fast keiner.

Es gab auch verrückte Momente, die hat man damals im Alltag gar nicht so wahrgenommen. Ich muss lachen, als ich ein Foto sehe, auf dem sich mitten in der Großstadt ein Pferdefuhrwerk und ein Trabi begegnen. Eine Szene, die Berlin zum Dorf macht und die Thomas Uhlemann in den 80erJahren mit der Kamera durch Zufall auf der Hellersdorfer Straße aufnahm.
Es gibt so viele Bilder in der Schau, die erwähnenswert wären und die die Antwort auf die nun wieder oft gestellte Frage geben, wie die Menschen in der DDR tatsächlich lebten. Genau das zeigen diesen Fotos. Den Alltag im Osten ganz ohne Schönfärberei und falschem Ostalgie-Blick, sondern so, wie er wirklich war.
Ich freue mich, dass diese Bilder nun einen Ort haben, der sie vor dem Vergessen schützt. Es lohnt sich, in die Pfarrstraße zu kommen, um sie dort zu sehen.

Die Ausstellung, die vom Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert wird, ist zur „Langen Nacht der Bilder“ am 1. September von 18 bis 24 Uhr geöffnet. Sonst ist die Schau bis zum 7. Oktober immer freitags von 14 bis 18 Uhr offen. Spezielle Termine, etwa für Schulklassen, sind per Absprache unter kontakt@ddr.fotoerbe.de möglich.
Norbert Koch-Klaucke schreibt jeden Freitag im KURIER über Geschichten aus dem Osten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com