Anne und Marianne verbindet eine besondere Freundschaft. Anne ist 30, Marianne 78. Dass sie zueinanderfanden, ist kein Zufall – man könnte fast sagen, sie wurden verkuppelt. Der Verein „Freunde alter Menschen“ hat sie zusammengebracht. Sein Ziel: ältere Menschen vor Einsamkeit und Isolation zu bewahren. Anne ist eine der Ehrenamtlichen, die sich mit Senioren und Seniorinnen treffen und Zeit mit ihnen verbringen.
Einmal im Monat fährt Anne, die im Prenzlauer Berg wohnt, nach Wilmersdorf, um Marianne zu besuchen – zum gemütlichen Plausch. Und fast jede Woche telefonieren die beiden. „Da plaudern wir auch schon mal eine Stunde und länger“, sagt Marianne. Seit anderthalb Jahren kennen sie sich und sie sind bereits recht vertraut. „Wenn es mir nicht so gut geht, merkt das Marianne sofort“, sagt Anne. „Weil man an der Stimme hört, wie jemand drauf ist“, erklärt Marianne. Die 78-Jährige ist blind, für die Gefühlszustände anderer hat sie ein feines Gehör.

Anne ist es wichtig, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. In ihrem Beruf als Architektin ist sie zwar häufig im Austausch mit Kunden, doch ihr fehlte etwas – ein Aspekt, der darüber hinausgeht, etwas mit „sozialem Mehrwert“, wie sie sagt. Als ein Freund nach einem Unfall sein Leben neu ordnete und sich ehrenamtlich engagierte, inspirierte das auch Anne. Erst dachte sie, sich bei der Berliner Tafel einzubringen. „Aber ich wollte dann doch etwas Persönlicheres, etwas, das verbindlicher ist. Und gerne mit älteren Menschen.“
Die Generationen finden „wie bei einer Dating-App“ zusammen
Die Suche im Internet führte sie zu „Freunde alter Menschen“. Den Verein gibt es seit über 30 Jahren, er vermittelt Besuchspartnerschaften in mehreren Städten. In Berlin, wo er seinen ersten Standort hatte, sind rund 300 Ehrenamtliche dabei. „Das funktioniert im Prinzip wie bei einer Dating-App“, erklärt Anne. „Sowohl die Älteren als auch die Ehrenamtlichen geben an, welche Interessen sie haben, welche Erwartungen, was sie unternehmen wollen und in welchem Bezirk sie leben. Dann schauen die Koordinatoren des Vereins, wer matcht – also wer zusammenpasst.“
Offene Fragen und Bedürfnisse werden mit den Senioren bei einem Erstgespräch geklärt. Auch das erste Treffen wird vom Verein begleitet. „Es muss harmonieren, beide müssen sich dabei wohlfühlen“, sagt Marianne.
Vor drei Jahren ist ihr Mann an Krebs gestorben. „Wir haben alles gemeinsam gemacht. Man fühlt sich schon sehr alleine, wenn der Partner nicht mehr da ist.“ Kinder hat die 78-jährige, die durch eine Netzhauterkrankung als junge Frau ihr Augenlicht verlor, keine. „Es ist wichtig, Kontakte zu pflegen. Sonst vereinsamt man.“

Mit ihrer ersten Besuchspartnerin stimmte die Chemie nicht. Mit Anne war sofort Sympathie da. Die beiden gehen zum Kuchenessen ins Café, waren auch schon in einer Cocktailbar, um Caipirinha zu trinken. Neulich besuchten sie ein Tennis-Turnier, Blindentennis, wo Mariannes Neffe spielte. Meist aber treffen sie sich zu Hause bei Marianne und reden.
„Ich erfahre von Marianne viel darüber, wie es in Berlin früher so war“, sagt Anne, die aus der Nähe von Kassel stammt. „Es ist interessant, die Geschichten aus ihrem Leben zu hören.“ Marianne kann aus eigener Erfahrung erzählen, wie schwer es die Berliner in der Nachkriegszeit hatten. Und aus ihrer Familiengeschichte – etwa über ihren Großvater, einen Schweden, der Anfang des 20. Jahrhunderts das Lagergren’s Café samt Konditorei am Schlossplatz in Mitte betrieb.
In einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen im Alter alleine leben, ist ein Engagement, wie es Anne gewählt hat, von großer Bedeutung. Es geht aber nicht nur darum, den Senioren Gesellschaft zu leisten und ihnen zuzuhören. „Ich erzähle Marianne auch von meinen Problemen und hole mir auch manchen Rat“, sagt Anne. Zwei Menschen, jung und alt, die sich austauschen. Die Freundschaft schließen. Das ist die Idee.




