Buchpremiere in Berlin

Egon Krenz bei seinen Fans: So lobt der DDR-Kronprinz Erich Honecker

In Berlin stellte der einstige DDR-Spitzenpolitiker zwei Stunden lang den zweiten Teil seiner Biografie vor. Über 200 Menschen hörten ihm zu. Kritik gab es keine.

Author - Norbert Koch-Klaucke
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Egon Krenz mit dem zweiten Teil seiner Biografie bei der Lesung in Berlin 
Egon Krenz mit dem zweiten Teil seiner Biografie bei der Lesung in Berlin Jens Kalaene/dpa

Bei einer Buchpremiere kein Wort aus seinem Werk vorzulesen – das schaffen nur wenige Autoren. Doch Egon Krenz (86) kann das. Am Mittwochabend hatte der einstige DDR-Spitzenpolitiker in Berlin zur Vorstellung des zweiten Teiles seiner Biografie mit dem Titel „Gestaltung und Veränderung. Erinnerungen“ (Edition Ost)  geladen, um vor mehr als 200 Zuhörern zunächst eine einstündige flammende Rede zu halten und danach eine Stunde lang Erich Honecker zu loben, dessen einstiger „Kronprinz“ und Nachfolger für 50 Tage Krenz war.

Der Ort des Geschehens ist für viele Zuhörer, die kamen, wie ein Stück DDR-Heimat – der „Münzenbergsaal“ im ehemaligen Verlagshaus der Zeitung „Neues Deutschland“. Der Andrang ist gewaltig groß. Noch kurz vor Beginn der Veranstaltung sieht man eine Warteschlange mit Menschen, die hoffen, für sechs Euro Eintritt Einlass zu bekommen. So manche Fans von Egon Krenz müssen in einen Nebenraum ausweichen, wo die Buchpremiere über ein Videostream übertragen wird.

Über 200 Zuhörer kamen zu dem Auftritt von Egon Krenz
Über 200 Zuhörer kamen zu dem Auftritt von Egon KrenzJens Kalaene/dpa

Proppenvoll ist der Saal. Frauen und Männer, viele von ihnen weit über 50 plus, sitzen da. Auch Promis sind gekommen – wie die einstige DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft (85), der Schauspieler Gunter Schoß (83, „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“) und der Dokumentarfilmer Winfried Junge (88, „Die Kinder von Golzow“).

Krenz fühl sich sichtlich wohl, als er die Bühne betritt. Und das Publikum nimmt ihm nicht übel, als er seine Zuhörer mit „Liebe Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Anwesende“ begrüßt. Im Gegenteil. Man schmunzelt, als Krenz noch hinterher schiebt: „Wenn ich so in Saal schaue, kann ich ja fast ,Freundschaft‘ statt ,Guten Tag‘ sagen!“ Der alte FDJ-Gruß erinnere ihn noch an die schönen Zeiten, als er noch Chef der Jugendorganisation der DDR war.

Übel nimmt ihm das Publikum auch nicht, als erklärt wird, dass Krenz nicht aus seinem Buch lesen wird. Dafür will er eine Rede halten. Die Zuhörer stimmen zu, viele sind gespannt darauf, was Krenz heute noch zu sagen hat. Doch die Rede wird dann doch zu einer Lesung. Krenz spricht nicht frei. Er liest von einem Tablet ab, was er zu sagen hat – eine Stunde lang.

Im überfüllten Saal saß auch die ehemalige DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft im Publikum.
Im überfüllten Saal saß auch die ehemalige DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft im Publikum.Jens Kalaene/dpa

Egon Krenz: „Die DDR war mehr als nur eine Fußnote in der Weltgeschichte“

Die Rede hat es in sich. Denn das Agitieren und Propagieren beherrscht der einstige DDR-Spitzenpolitiker noch immer aus dem Effeff. Er verteidigt die DDR nicht wie gewohnt pauschal, die natürlich besser als ihr Ruf und „viel mehr als nur eine Fußnote in der Weltgeschichte“ war, wie er sagt. Nein, Krenz benutzt den einstigen SED-Staat, um mit der heutigen Ampel-Bundesregierung hart ins Gericht zu gehen.

Krenz geht dabei zurück in die Zeit des Kalten Krieges. Mit ihrer damals sogenannten Politik der friedlichen Koexistenz habe die DDR dazu beigetragen, dass kein heißer Krieg entstanden sei. „Diese DDR war trotz aller Unvollkommenheit und Unfertigkeit, von Fehlentwicklungen und Störfaktoren der friedliebendste Staat, der je auf deutschem Boden existierte“, sagt Krenz. Für ihn sei noch immer der Satz wichtig, den sich die einstigen Häftlinge des KZ-Buchenwalds geschworen haben: „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“, ruft Krenz in den Saal und bekommt Applaus.

Im heutigen Deutschland sei das anders, erklärt er weiter. „Das Wort Frieden scheint für viele Politiker ein Fremdwort geworden zu sein“, sagt Krenz. „Vor unseren Augen geschieht im Gazastreifen einen Völkermord, und die deutsche Regierung schickt Waffen und Munition nach Israel.“ Was Krenz dabei verschweigt: Dass Israel mit dem Krieg im Gazastreifen auf das Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 reagiert hat.

Beim Autogrammeschreiben begrüßt Egon Krenz den Schauspieler Gunter Schoß.
Beim Autogrammeschreiben begrüßt Egon Krenz den Schauspieler Gunter Schoß.Koch-Klaucke

Egon Krenz: Er nutzt die DDR für seine Kritik an der Bundesregierung

Die DDR als Friedensstaat nutzt Krenz auch für seine Kritik an der Bundesregierung, die sich ablehnend gegenüber dem heutigen Russland verhalte. „Dass die Russen unsere Feinde sein sollen, betrübt mich sehr“, sagt er. Nach seiner Meinung unterstütze die Ampel-Koalition einen „Stellvertreterkrieg in der Ukraine“, der sich ausweiten könne. Deutschland müsse aber nicht kriegstüchtig, sondern friedensfähig sein, sagt Krenz. Mit keiner Silbe erwähnt er, dass Russland die Ukraine vor fast zwei Jahren völkerrechtswidrig angegriffen hat.

Nach der Rede spricht Krenz dann doch über sein neues Buch, das seinen Werdegang zwischen 1974 und 1988 in der DDR umfasst. Nicht unerwähnt lässt er, dass das Land zu jener Zeit mehr als nur Mauer und Stasi gewesen sei. Was in dem Staat geschah, dafür habe er „persönliche Verantwortung, der ich mich stelle“, sagt Krenz, der 1997 wegen der tödlichen Schüsse an der innerdeutschen Grenze vom Landgericht Berlin wegen Totschlags zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde, die er 1999 antrat. Darüber und dass er Urteil als Unrecht ansah, darüber spricht Krenz an diesem Abend nicht.

Erich Honecker hält eine Rede auf dem SED-Parteitag (1986): Hinter ihm im Podium sitzt das damalige Politbüro-Mitglied Egon Krenz, der als Honeckers-Kronprinz gehandelt wurde. 
Erich Honecker hält eine Rede auf dem SED-Parteitag (1986): Hinter ihm im Podium sitzt das damalige Politbüro-Mitglied Egon Krenz, der als Honeckers-Kronprinz gehandelt wurde. United Archives/imago

Aber über Erich Honecker: Denn der zweite Teil der Krenz-Biografie ist überraschend ein Buch über den DDR-Staatschef geworden. Wie er denn als Mensch gewesen sei, will die Moderatorin des Abends von Krenz wissen. „Ich würde lügen, wenn ich sage, er war mir unsympathisch. Das war er nicht“, sagt er.

Krenz schildert Honecker als „zurückhaltenden Menschen“. Einer, der mit dem Fahrrad durch die Politbüro-Siedlung Wandlitz fuhr, mit dem Krenz oft nach getaner Arbeit spazieren ging. „Man konnte mit Honecker diskutieren. Was er nicht wollte, dass man ihn vor versammelter Mannschaft kritisierte.“

Egon Krenz: „Ich war Honecker bis zuletzt gegenüber loyal“

Es war ein Vater-Sohn-Verhältnis: Erich Honecker und sein FDJ-Chef Egon Krenz jubeln bei einer Jugendveranstaltung.
Es war ein Vater-Sohn-Verhältnis: Erich Honecker und sein FDJ-Chef Egon Krenz jubeln bei einer Jugendveranstaltung.United Archives/imago

Krenz erzählt, dass Honecker oft über die Weisungen, die vom großen Bruder Sowjetunion kamen, nicht einverstanden war. Er fühlte sich von der Moskauer Führung bevormundet. Zuletzt von Michail Gorbatschow, den Krenz Mitte der 80er Jahre anders als der DDR-Staatschef beurteilte. Der sowjetische Staatschef, der Veränderungen und Reformen in der sozialistischen Staatengemeinschaft verlangte, und dem es später auch zu verdanken war, dass die Berliner Mauer fiel und Deutschland wiedervereinigt wurde: „Honeckers Widerstand zu Gorbatschow – er hat ihn besser eingeschätzt als ich“, sagt Krenz aus heutiger Sicht und bekommt im Saal zustimmenden Beifall.

Großer Andrang: Am Ende der zweistündigen Buchpremiere schrieb Egon Krenz Autogramme.
Großer Andrang: Am Ende der zweistündigen Buchpremiere schrieb Egon Krenz Autogramme.Koch-Klaucke

Krenz sagt über Honecker, dessen Nachfolger er im Herbst 1989 für 50 Tage lang wurde: „Ich hatte hohe Achtung vor ihm. Ich war Honecker bis zuletzt gegenüber loyal, hatte Hemmungen, Veränderungen in der Staats- und Parteiführung durchzuführen, solange er an der Spitze war, wofür ich oft kritisiert wurde.“

Doch die Loyalität währte nicht immer, wie Krenz zugibt. „Im Herbst 1989 war die Sache schon kompliziert, als bei Honecker der Altersstarrsinn einsetzte.“ Die Beziehung der Männer, die Krenz als „Vater-Sohn-Verhältnis“ bezeichnet, bröckelte. „Manchmal geht der Sohn auch andere Wege.“ Welche, verriet Krenz an diesem Abend nicht. Es kommt ja noch der dritte Teil seiner Biografie. Und dann wird es sicher wieder ein Treffen der Fans mit Egon Krenz geben. ■