
Wer bei Berliner Grundschulen sofort an marode Gebäude, provisorische Baucontainer oder Toiletten denkt, die man lieber meidet, der liegt im Falle der Maria-Leo-Grundschule komplett daneben. Hier, mitten im Prenzlauer Berg, wirkt der moderne Campus an der Conrad-Blenkle-Straße fast wie aus einer anderen Welt.
An diesem Dienstag wurde die Schule mit dem renommierten Deutschen Schulpreis ausgezeichnet – ein Preis, der nicht nur 100.000 Euro mit sich bringt, sondern vor allem eines: Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit für ein Modell, das zeigt, wie Lernen in der Hauptstadt auch aussehen könnte.
Public Viewing mit Popcorn und Stolz
Als die Entscheidung bei der Preisverleihung fällt, gibt es in der Schule kein Halten mehr. Lehrerinnen, Lehrer und Kinder hatten sich zum Public Viewing versammelt, T-Shirts mit dem Schullogo an, Popcorn in den Händen. Als die Jury verkündet, dass die Maria-Leo-Grundschule die Siegerschule aus Berlin ist, brandet Jubel auf. Die Schülerschaft ist sichtlich stolz und das mit vollem Recht.
Der Neubau am Velodrom
„Beeindruckend“ – so beschreiben viele, was Schulleiterin Sandra Scheffer und ihr Team in weniger als zwei Jahren aufgebaut haben. Erst im August 2023 wurde das lichtdurchflutete Holzgebäude eröffnet. Es ist die erste sogenannte Compartmentschule Berlins.
Das Besondere: Statt langer Flure mit nebeneinanderliegenden Klassenzimmern gibt es offene Lernlandschaften. Räume, die sich an den Bedürfnissen der Kinder orientieren, nicht umgekehrt.
Lernen im Dschungel oder Aquarium
Die Architektur ist Programm: Da gibt es einen Dschungelraum, ein Aquarium mit Glaswänden für ruhiges Arbeiten, Labore, Podeste, Sitznischen, Baubereiche, Kletterbäume und Ecken zum „Lümmeln“. Wer auf dem Bauch liegend lesen möchte, darf das.
Und tatsächlich: Trotz dieser Vielfalt herrscht eine fast unheimliche Konzentration. Ein Mädchen mit Kopfhörern sitzt unter einer Bank und arbeitet am Tablet, zwei Kinder lesen einander auf einem Sitzpolster vor. In einem Nebenraum klatscht eine Lehrkraft – hier heißen sie Lernbegleiter – gemeinsam mit einem Mädchen Silben.

„Wir haben den Raum hier mit Leben gefüllt“, sagt Schulleiterin Scheffer. An anderen Compartmentschulen in der Stadt seien die Glasscheiben auch schon mal abgeklebt.
Pädagogik à la Montessori
Die Maria-Leo-Grundschule ist eine staatliche Schule – und doch tickt sie anders. Grundlage ist die Pädagogik Maria Montessoris. Lernen im eigenen Tempo, selbstbestimmt, aber mit klaren Strukturen.
In jedem Raum der Lernhäuser liegen Materialien bereit, Bücher stehen auf Regalen wie im Schaufenster, Tablets warten in Rollschränken. Jedes Kind entscheidet selbst, wann es sich mit welchem Thema beschäftigt. Orientierung gibt das sogenannte Brückenheft: „Es ist die Brücke zwischen Schule und zu Hause“, erklärt Scheffer. Darin halten die Schülerinnen und Schüler fest, welche Ziele sie in einer Woche erreichen wollen.
Vom maroden Bau zur Modellschule
Kaum zu glauben: Die Erfolgsgeschichte der Maria-Leo-Grundschule, die nach einer Musikpädagogin und Frauenrechtlerin benannt ist, begann in einem der marodesten Schulgebäude Berlins – der Schule am Europasportpark. Ein Jahr lang war das Team dort als Außenstelle der Grundschule im Blumbergviertel untergebracht. „Wir haben in dem maroden Bau Kaugummis von 1980 von den Bänken gekratzt“, erinnert sich Scheffer. „Aber es war ein wunderbares Jahr.“
Denn genau dort entstand die Keimzelle für das heutige Konzept. „Jeder Lernraum kann ein Lernatelier werden“, sagt Scheffer. Die Maria-Leo-Grundschule zeigt, wie es aussehen kann, wenn eine Vision konsequent umgesetzt wird.
Visionen und Vertrauen
„Schule im Aufbau ist anstrengend“, gibt Sandra Scheffer zu. Doch sie betont auch: „Wir hatten Visionen.“ Unterstützt wurde sie dabei von einer Schulaufsicht, die Vertrauen schenkte, statt zu blockieren. Heute zeigen Vergleichsarbeiten: Die Kinder liegen über dem Berliner Durchschnitt. Noch wichtiger für die Schulleiterin ist jedoch ein anderer Befund: „Wir haben hier glückliche Kinder.“ Die Schule versteht sich als „Dorf“. Gleich auf der Homepage steht dieser Satz. Und wer einmal den Campus besucht, spürt, dass es mehr ist als eine Metapher.

Die Lerngruppen tragen poetische Namen wie „Rittersporn“, „Wilde Möhre“ oder „Löwenmäulchen“. Eltern, die ihre Kinder hier unterbringen wollen, nehmen dafür sogar Umzüge in das Einzugsgebiet der Schule in Kauf. Schon jetzt ist die Warteliste ellenlang.
Jury: Schüler im Mittelpunkt
Der Deutsche Schulpreis gilt als die wichtigste Auszeichnung dieser Art in Deutschland. Lehrkräfte, Forscher und Schulverwalter sitzen in der Jury. Einer der Experten resümierte nach seinem Besuch in Prenzlauer Berg: „Engagierte Pädagogen denken den Unterricht und das gesamte System von der Schülerschaft her. Das ist für manche Lehrkräfte dann auch die überraschende Erkenntnis: Wenn die Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt gestellt werden und es denen gut geht, dann geht es auch den Lehrkräften gut.“ Genau dieses Prinzip will die Robert-Bosch-Stiftung mit dem Preis sichtbar machen – in der Hoffnung, dass andere Schulen sich inspirieren lassen.
Die Träume der Kinder
So innovativ das Konzept ist, so vertraut klingen die Zukunftswünsche der Schülerinnen und Schüler. Ein Mädchen schreibt: „Mit 18 wohne ich mit meiner besten Freundin in einer WG und habe eine Katze.“ Ein Junge möchte Spieleentwickler werden, ein anderer Basketballprofi bei den L.A. Lakers. Auch Weltreisen, ein Job im Buchladen oder ein Studium tauchen an der bunt gestalteten Wandzeitung auf. Scheffer und ihr Team schaffen die Strukturen, in denen diese Träume wachsen können. „Man fängt an, Dinge zu verändern, wenn man eine Not hat. Wir haben Dinge verändert.“