Weil ein DDR-Stempel fehlt

Berlin-Marzahn: Gierige Erben aus Bayern vertreiben 70-Jährige aus ihrem Haus

Seit 1974 lebt Kornelia Rienecker in ihrer grünen Oase. Zusammen mit ihrem Mann hat sie das Grundstück damals einer alten Dame abgekauft. Doch auf einem Papier fehlt ein Stempel aus DDR-Zeiten.

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Sie verliert ihr Zuhause: Kornelia Rienecker (70) muss nach 50 Jahren ihr Grundstück in Berlin-Marzahn verlassen.
Sie verliert ihr Zuhause: Kornelia Rienecker (70) muss nach 50 Jahren ihr Grundstück in Berlin-Marzahn verlassen.Markus Wächter

Kornelia Rienecker aus Berlin-Marzahn ist Rentnerin, sie ist 70 Jahre alt, im Juli wird sie Uroma. Sie könnte zufrieden sein. Doch das ist sie nicht. Wenn nicht ein Wunder passiert, wird sie am 12. Mai ihr Zuhause verlieren. Das Grundstück, auf dem sie seit über 50 Jahren lebt, hier zog sie ihre Tochter groß, sah ihre Enkelin aufwachsen. Der Grund ist kaum zu begreifen: Das Grundstück wird zwangsversteigert, weil auf ihrem Kaufvertrag von damals ein Stempel aus DDR-Zeiten fehlt.

1300 Quadratmeter groß ist das Grundstück. Als ihr Mann und sie es 1974 für 10.000 Mark der DDR kauften, stand darauf nur eine doppelwandige Holz-Laube. Der Flachbau mit den vier Zimmern, der jetzt dort steht, baute Kornelias Mann. Ihr ganzes Leben spielte sich auf diesen 1300 Quadratmetern ab.

Ihr Mann und ihre Tochter sind tot: „Ich habe sie alle in diesem Haus bis zum Tod gepflegt“

Der Garten und das Haus sind liebevoll dekoriert, im Wohnzimmer hängen Bilder von Rieneckers Liebsten. Erinnerungen an damals. Ihr Mann starb nach schwerer Krankheit vor acht Jahren, ihre Tochter vor zwei Jahren viel zu jung am verdammten Krebs. „Ich habe sie alle in diesem Haus bis zum Tod gepflegt“, sagte sie in der B.Z. „Dieses Haus ist meine Heimat. So viele Erinnerungen stecken hier drin.“ Doch diese Erinnerungen sollen ihr jetzt genommen werden.

„Ich werde Uroma im Juli, und meine Enkeltochter hat schon gesagt: Ach Oma, es wäre so schön, wenn das Baby hier auch groß werden könnte, so wie ich“, sagte Rienecker zur Berliner Zeitung – doch Hoffnung hat sie kaum.

Die 70-Jährige sucht gerade verzweifelt eine Wohnung, weil ihr Zuhause am 12. Mai versteigert wird. „Ich bin selbst an dem Dilemma schuld“, erklärte Rienecker in der B.Z. „Nach der Wende wollte ich meine Tochter ins Grundbuch eintragen lassen. Dabei stellte sich heraus, dass es keinen Grundbucheintrag gab. Hätte ich doch nur meine Klappe gehalten …“

Trotz Kaufvertrag: Die Rieneckers standen nie im Grundbuch

Denn nur weil sie beim Amt nachfragte, kam das Drama ins Rollen. Fiel auf einmal auf, dass die Rieneckers nie im Grundbuch eingetragen waren. Und ohne die Nachfrage hätte eine Familie in Bayern niemals gemerkt, dass sie ein fehlender Stempel plötzlich und unverhofft wieder zu Eigentümern eines Grundstücks in Berlin machte.

Der Zettel, der das Drama auslöste: Auf dieser handgeschriebenen Verzichtserklärung von 1974 fehlt die notarielle Beglaubigung.
Der Zettel, der das Drama auslöste: Auf dieser handgeschriebenen Verzichtserklärung von 1974 fehlt die notarielle Beglaubigung.Markus Wächter

Aber noch mal auf Anfang: Im Jahr 1974 kaufen das damals junge Paar das Grundstück einer alten Dame ab, die daraufhin in die Ein-Raum-Plattenbauwohnung der Rieneckers zog. Den Kaufvertrag hat Kornelia Rienecker noch, ebenso die Verzichtserklärung der Tochter des Vorbesitzers. Das Problem (das erst nach der Wende zum Problem wurde): Auf dem Dokument fehlt der Stempel eines Notars, schreibt die Berliner Zeitung.

Erst habe sich ihr Mann um den Stempel bemüht, erzählt die 70er-Jährige. Doch als es nicht auf Anhieb klappte, geriet die Sache in Vergessenheit. Es störte ja auch keinen. Sich in der DDR polizeilich umzumelden, sei kein Problem gewesen. „Wir sind zur Polizei, haben uns angemeldet.“ Die Grundsteuer wurde immer gezahlt – und vom Amt kassiert.

Die bayrischen Erben der Vorbesitzerin wollen eine Million Euro

Das Drama nahm seinen bürokratischen Lauf, als die Familie nach der Wende die Tochter absichern und diese ins Grundbuch eintragen lassen wollte. Erst da fiel auf: Es gibt gar keinen Grundbucheintrag auf ihre Familie – und die Gerichte suchten deshalb nach den rechtmäßigen Erben der Vorbesitzer. Und fanden diese in Bayern. Die, so muss man es sagen, die Gelegenheit sahen, abzukassieren. Zum zweiten Mal. „Eine Million Euro wollen sie für das Grundstück haben“, sagte Kornelia Rienecker in der B.Z.

Eine erste Zwangsversteigerung scheiterte im Jahr 2023, weil die Erben mit der gebotenen Somme von 350.000 Euro nicht einverstanden waren. Jetzt kommt es zur zweiten Auktion im Rathaus Lichtenberg. Ein Rechtsstreit, der teuer für Kornelia Rienecker geworden ist. Die Anwaltskosten, die sie bereits hat zahlen müssen, gehen in die Tausende.

Kornelia Rienecker in ihrem gemütlichen Häuschen – zwischen all den Papieren, die belegen, dass sie und ihr Mann das Grundstück 1974 kauften.
Kornelia Rienecker in ihrem gemütlichen Häuschen – zwischen all den Papieren, die belegen, dass sie und ihr Mann das Grundstück 1974 kauften.Markus Wächter

Ganz leer wird die 70-Jährige aber nicht ausgehen. Denn das Haus auf dem Grundstück gehört immer noch ihr, dafür gab es eine Baugenehmigung. Kornelia Rienecker hat es auf Anraten ihrer Anwältin schätzen lassen. „Mir würde im Idealfall eine Entschädigung von 135.000 Euro zustehen“, sagte sie zur B.Z. Bis zum Jahresende darf sie noch in ihrem Häuschen bleiben. Die Rentnerin sagt, dass sie die Hoffnung aufgegeben habe, in diesem Haus alt zu werden. ■