Beate Klemm freut sich jeden Tag auf die Arbeit in ihrer Buchhandlung „Lesen & lesen lassen“ in Friedrichshain. „Es ist mein drittes Kind“, so die 53-Jährige. Doch Mitte Oktober wird sie es verlieren. Denn ihr Buchlanden muss schließen. Noch ein Opfer von extremer Mieterhöhung.
Beate Klemm, die schmächtige Frau mit der großen Brille, lebt auf, wenn sie über ihre Buchhandlung redet. Seit 28 Jahren betreiben ihr Mann Mischa und sie den Buchladen in der Wühlischstraße 30. Doch am Abend des 19. Oktober werden beide die Ladentüren zum letzten Mal schließen.
Das Aus kommt durch extrem steigende Kosten: die Miete. Dabei läuft der Laden so richtig gut. „Wir sind eine sehr erfolgreiche Buchhandlung und trotzdem ist irgendwann die Grenze erreicht“, so Beate Klemm. Für Bücher gilt in Deutschland eine verbindliche Preisbindung. „Wir können die Bücher nicht einfach teurer machen“, erklärt Klemm der Autorin Jule Damaske von der Berliner Zeitung.
In Friedrichshain ist Beate Klemm und ihr Buchladen fest verwurzelt. Anfang der 90er-Jahre lebte sie in der Simon-Dach-Straße. Heute erinnert die Straße eher an eine touristische Feiermeile. Damals hat sie in einer Buchhandlung gearbeitet, träumte vom eigenen Geschäft.
1995 hatte Beate Klemm großes Glück – vor der Mieten-Explosion
1995 verschickte sie ein Exposé, bewarb sich damit auf das kleinste Gewerbe. Damals gab es viel Leerstand im Osten der Stadt, in Friedrichshain wurden Parterrewohnungen in Gewerbeflächen verwandelt. Beate und Mischa Klemm erhielten eine Zusage und führten von da an eine „küchengroße“ Buchhandlung.
Vor 19 Jahren zogen sie dann in die Wühlischstraße. „Von den Eigentümern, einer Familie aus Schwaben, erfuhren wir viel Wertschätzung“, sagte sie. Alle sechs Jahre wurde ein neuer Mietvertrag ausgehandelt. Die Mieten stiegen zwar jedes Mal, doch das Verhältnis zur Eigentümerfamilie blieb gut. Doch Anfang 2018 verkauften diese das ganze Objekt an die Jia An Holdings GmbH. Ein beliebtes Café musste als Erstes schließen, weitere folgten. „Da wussten wir, was uns erwartet“, so Klemm. Einen Diskussionsspielraum mit der neuen Eigentümerin würde es nicht geben. Und so kam es: Die Verhandlungen mit ihnen scheiterten.
Fragen nach Miet-Steigerung und Zukunftsplänen blieben unbeantwortet
Der alte Mietvertrag lief im Oktober 2023 aus. Beate und Mischa Klemm bekamen noch ein Jahr Zeit, um einen Nachfolger für den Laden zu finden, in dieser Zeit stieg die Miete um 50 Prozent. Nach dem Oktober 2024 sollte sie noch mal doppelt so hoch werden. Für die Klemms war klar, dass sie nicht mehr weitermachen könnten. „Uns war aber wichtig, dass der Standort als Buchhandlung nicht wegfällt.“ Schnell waren Nachfolgerinnen gefunden, die eine gut laufende Verlagsbuchhandlung in Berlin führten. Die Klemms hätten alles vor Ort gelassen, auch damit die Stammkundschaft weiter bedient werden kann.
Doch die Eigentümerin wollte sich auf diesen Deal nicht einlassen. Der Mietpreis stieg und stieg. Auf einmal sollten die Nachfolgerinnen einen noch höheren Preis zahlen, als vereinbart worden war: Es ging um eine Steigerung von etwa 160 Prozent innerhalb eines Jahres! Beate Klemm wird laut: „Dass jemand so viel Geld will, dass man nicht mehr weitermachen kann, das ist ein Verbrechen.“ Die Eigentümerin soll gesagt haben: „Wenn die Nachfolgerinnen den Preis nicht zahlen wollen, brauchen sie gar nicht erst zu kommen.“ Jetzt ist klar: In der Wühlischstraße 30 wird es bald keinen Buchladen mehr geben.

Die Holding sieht die Sache etwas anders. Auf Anfrage der Berliner Zeitung teilte sie mit, dass die bisherigen Mieter „auf eigenen Wunsch das bestehende Mietverhältnis nicht über den 31. Oktober 2024 hinaus verlängern“ wollten. Fragen zu den Gründen der extremen Preissteigerung und zukünftigen Plänen für den Laden blieben unbeantwortet.
„Wir haben uns in den 90er-Jahren diesen Standort ausgesucht. Wir haben den Kiez mitentwickelt“, sagt Beate Klemm. „Dann kommen 2018 irgendwelche Leute, kaufen diesen Standort und sagen uns, wir sollen weg. Das ist doch Verdrängung!“ Kein gutes Zeichen für den Kiez und für die Gemeinschaft. „Wenn die Leute nicht mehr ihre Infrastruktur haben, ziehen sie weg.“
Ein Ort des Austausches muss wegen der Miete verschwinden
Sogar während der Corona-Pandemie, als viele Gewerbe finanzielle Schwierigkeiten hatten, lief es im Laden gut. Ihr Geschäft wurde zum Treffpunkt, die Menschen versorgten sich mit Büchern, um die schweren Zeiten zu überstehen. „Für alle war es ein Ort des Austauschs, der Kommunikation“, sagt sie. „Ein wichtiger Kulturraum.“
Beate Klemm spricht über ganz grundsätzliche Probleme dieser Stadt: „Unser Kiez wird so ausverkauft. Es ist so kaputt investiert. Wir haben es lange nicht bemerkt, erst, als es schon lange zu spät war.“ Der neuen Eigentümerin wirft Beate Klemm vor, dass sie den Kiez gar nicht schön gestalten wollen. Im Gegenteil: „Das ist eine Strategie, damit immer wieder neue Mietverträge gemacht werden können“, meint sie. Und das sei nicht nur in ihrem Kiez so. „Es gibt in Berlin kein vernünftiges Gewerbemietrecht. Wir brauchen unbefristete Mietverträge und Kündigungsschutz für Gewerbe und eine Mietpreisbremse.“
Auf Instagram reagieren viele Nutzer schockiert. Unter dem Schließungs-Post sammelten sich schnell fast 300 Kommentare. „Friedrichshain schafft sich ab“ oder „Der Kiez wird nicht mehr der gleiche sein ohne euch“ ist dort zu lesen. „Das macht mich so unglaublich traurig und wütend!“, schreibt ein Nutzer. „Keiner hat mir so dabei geholfen und mich so sehr dabei geprägt, ein Büchermensch zu werden, wie ihr.“ Eine Frau kommentiert: „Ich bin sprachlos und hab keine Worte für diesen Vermieter. Danke für all die guten Bücher, ihr wart ein Anker im Kiez.“
Fallen immer mehr Läden, Plätze und Viertel dem Mieten-Kapitalismus zum Opfer?
Vielen Kunden geht es nicht nur um diesen einen Laden, sie sehen größere Zusammenhänge: „Schade für den Kiez und ein Armutszeugnis für Berlin, dass sie es nicht schaffen, die Kieze attraktiv und lebenswert aufrechtzuerhalten.“ Eine weitere Nutzerin kommentiert: „Es macht so wütend zu sehen, dass immer mehr wichtige Läden, Plätze und ganze Stadtviertel dem Kapitalismus zum Opfer fallen.“
Beate Klemms Leben als Buchhändlerin wird nach 36 Jahren unfreiwillig enden. „Ich wache nachts auf und denke darüber nach“, erzählt sie. „Niemand aus unserem Team wird jemals wieder so einen Ort finden.“ Es sei ihre Leidenschaft, Bücher für den Laden auszuwählen, Menschen zu beraten und ins Gespräch zu kommen.
Was sie nach der Schließung Mitte Oktober machen wird? „Erst mal brauche ich eine Auszeit. Zeit zum Trauern“, sagt Klemm. Seit sie 16 Jahre alt ist, hat sie nie eine gehabt, nur einmal hat sie das Weihnachtsgeschäft ausgelassen. Doch Beate Klemm ist keine Frau, die aufgibt, sie macht bereits Pläne für die Zukunft. Die Arbeit mit Senioren oder bei der Leseförderung würde ihr Spaß machen. Dann sagt sie: „Aber eigentlich würde ich gerne Fahrlehrerin werden. Das wäre lustig.“ Und sie lacht.■