Das braune Erbe in den Ämtern

Aufgedeckt: Hohe Nazis und Kriegsverbrecher in Senatsbehörde

Die Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales stellt sich ihrer NS-Vergangenheit. Gleich nach dem Krieg fanden dort stramme Nationalsozialisten einen neuen Posten.

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Das Berliner Stadtwappen am Eingang der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales. Jetzt wurde die braune Vergangenheit der Behörde aufgearbeitet.
Das Berliner Stadtwappen am Eingang der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales. Jetzt wurde die braune Vergangenheit der Behörde aufgearbeitet.Priller & Maug/imago

Das braune Erbe der Hauptstadt: Viele Institutionen wie der Zoo, die BVG und die Messe Berlin haben sich ihrer Vergangenheit zur Zeit des Nationalsozialismus gestellt. Doch wie sah es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in der Stadt aus? Die Nazis, die vor allem in Amtsstuben arbeiteten, waren nach der Zerschlagung der Hitler-Herrschaft nicht auf einmal alle verschwunden. Nein! Stramme Nationalsozialisten und sogar Kriegsverbrecher fanden in den neu entstandenen Senatsverwaltungen im Westen Berlins Unterschlupf.

Das deckte jetzt eine Studie für eine Behörde auf, die der Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus, Samuel Salzborn, veröffentlichte. In dieser wurden die Vorgänge in der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales und ihren Vorgängerbehörden im Westteil der Stadt unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Nach dem Krieg arbeiteten dort einstige Nazis in leitenden Positionen.

Für die NS-Studie in den Berliner Arbeits- und Sozialbehörden durchforstete der Historiker Stefan Jehne Archive, Bücher, Zeitungsartikel und Online-Quellen. Dabei stieß er auf 48 Personen, die zwischen 1945 und 1961 in höheren Positionen bis hin zum Abteilungs- oder Behördenleiter tätig waren, darunter einige wenige bei Sozial- und Arbeitsbehörden im Ostberliner Magistrat. Mindestens sieben davon – keiner aus den Ämtern im Osten Berlins – waren als NSDAP-Mitglieder belastet.  Zu 31 Personen fanden sich keine oder nur wenige Angaben.

Späterer Direktor soll bei Kriegsverbrechen mitgewirkt haben

Einige der ermittelten NSDAP-Mitglieder bekleideten bereits in der Nazizeit wichtige Posten in Behörden. Genannt wird das Beispiel eines späteren Senatsdirektors, der laut Studie im NS-Fürsorgewesen womöglich an der Verfolgung sogenannter Asozialer beteiligt war. Ein späterer Direktor des Landesversorgungsamts stehe in Verdacht, vor 1945 als Angehöriger von SS-Einsatzgruppen an Massenerschießungen von Juden in der besetzten Sowjetunion beteiligt gewesen zu sein.

Das Rote Rathaus mit Hakenkreuz-Fahnen zur 700-Jahr-Berlin-Feier geschmückt (1937): So mancher Nazi, der damals in den Amtsstuben arbeitete, fand nach dem Krieg im Westen Berlins wieder eine Ämter-Position.
Das Rote Rathaus mit Hakenkreuz-Fahnen zur 700-Jahr-Berlin-Feier geschmückt (1937): So mancher Nazi, der damals in den Amtsstuben arbeitete, fand nach dem Krieg im Westen Berlins wieder eine Ämter-Position.Arkivi/imago

„Weil die antisemitische NS-Diskriminierungs- und Vernichtungspolitik maßgeblich von staatlichen Akteuren konzipiert, gelenkt und durchgeführt wurde und nicht wenige von diesen Eliten nach dem Nationalsozialismus wieder in staatlichen Institutionen beschäftigt waren, ist es unverzichtbar, die selbstkritische Auseinandersetzung der Berliner Senatsverwaltungen mit NS-Kontinuitäten zu fördern“, erklärte Salzborn. „Dies ist umso wichtiger, weil auch heute auf Berliner Straßen wieder ein Schlussstrich in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gefordert wird.“

Viel zu lange seien solche Fragen nicht gestellt worden, sagte Salzborn der Deutschen Presse-Agentur. „Viele Jahrzehnte wurde der Mantel des Schweigens über diese Problematik gelegt.“ Wünschenswert sei, die Studie weiterzuführen und weiter zu recherchieren – auch um herauszufinden, inwieweit die fraglichen Personen ihre Einstellungen aus der NS-Zeit in ihrer späteren Arbeit in konkretes Verwaltungshandeln umsetzten.

Auseinandersetzung mit NS-Historie „unverzichtbar“

Und es stellt sich die Frage, wie Nazis überhaupt an diese Posten kamen. Die Aufteilung Berlins nach dem Krieg in vier Besatzungszonen machten die Stadt zur Frontstadt im nun folgenden Kalten Krieg.

Cansel Kiziltepe (SPD), Berliner Senatorin für Arbeit und Soziales
Cansel Kiziltepe (SPD), Berliner Senatorin für Arbeit und SozialesCarsten Koall/dpa

Drei westliche Besatzungsmächte (USA, Großbritannien, Frankreich) gegen die sowjetische Besatzungszone im Osten Berlins: Um den dort entstehenden Kommunismus zu bekämpfen, waren den Westmächten alle Mittel recht. Und so schaute man großzügig weg, wenn Nazis wieder in staatliche Positionen kamen. Und auch bei der Polizei und in der Justiz fanden einstige Nazis wieder einen Job.

Arbeits- und Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) erklärte, mit der Studie habe ihre Senatsverwaltung einen bedeutenden Schritt in der selbstkritischen Auseinandersetzung mit ihrer NS-Vergangenheit gemacht. Ein solcher Blick in die Vergangenheit sei unerlässlich. „Dies umso mehr, weil Antisemitismus, menschenverachtende Einstellungen und Demokratiefeindschaft in Deutschland und auch in Berlin wieder zunehmen.“

Nach Angaben Salzborns beauftragte die Berliner Justizverwaltung schon vor längerer Zeit eine ähnliche Untersuchung. Die Wirtschaftsverwaltung denke über einen solchen Schritt nach. ■