Mit Doktor Johannes M. (40) kam laut Anklage der Tod ins Haus. Als „Herr über Leben und Tod“ habe er sich aufgespielt. Wegen Mordes in 15 Fällen steht er vor Gericht. Riesiger Andrang beim Prozessbeginn. Ist der Palliativarzt einer der größten Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte? Während Johannes M. nun auf der Anklagebank sitzt, laufen weitere Ermittlungen. 71 Verdachtsfälle gibt es noch, darunter die Schwiegermutter des Mediziners.
Erst als die Fotografen den Saal verlassen, zeigt sich der mutmaßliche Killer-Arzt: Dunkles Jackett, weiß-gemustertes Hemd, kurze dunkelblonde Locken. Er ist Ehemann, Vater und Mediziner.
Seelenruhig hört der Arzt der Anklageverlesung zu
Nach seinem Studium in Frankfurt am Main reichte er 2013 seine Dissertation ein. Sie beginnt mit einer Frage: „Warum töten Menschen?“ Es geht auch um „Tötungsdelikte an alten Menschen“. Nach Tätigkeiten in Hessen und Nordrhein-Westfahlen ging er 2020 nach Berlin.
13 Nebenkläger gibt es, drei Hinterbliebene sitzen dem Mediziner persönlich gegenüber. Eine Mutter weint bitterlich um ihre Tochter. Ein Nebenklage-Anwalt: „Es besteht für die Opfer großer Aufklärungsbedarf.“
Der Mediziner seelenruhig bei Verlesung der unfassbaren Serie: Zwölf Frauen und drei Männer, 25 bis 87 Jahre alt. Sie waren schwer krank, sie lagen aber nicht auf dem Sterbebett.

Der Staatsanwalt: „Er wollte seine eigenen Vorstellungen vom Sterben und Zeitpunkt des Lebensendes seiner Patientinnen und Patienten verwirklichen, sich aus eigensüchtigen Motiven als Herr über Leben und Tod gerieren.“ In fünf Fällen soll er in Wohnungen Feuer gelegt haben, um Spuren zu vertuschen.
Palliativmediziner begleiten schwerstkranke Menschen, um deren Schmerzen zu lindern. Johannes M. war in Tempelhof, dann in Kreuzberg in einem Pflegeteam tätig, galt als freundlich und zugewandt.
In seiner Tasche aber Medikamente, die in ihrer Kombination tödlich sind. Perfide Masche laut Anklage: Bei Hausbesuchen soll er heimlich ein Narkoseeinleitungsmittel und anschließend ein Muskelrelaxans verabreicht haben. Die Mixtur sorgt dafür, dass es schnell zum Atemstillstand kommt.
Der erste Fall: M. Am 22. September 2021 erhielt Kadiatou D. (25) gegen 11.16 Uhr Besuch vom Palliativarzt. Wenig später fanden die Mutter und eine Pflegerin die junge Patientin tot in ihrem Bett. Das nächste Opfer eine 70 Jahre alte Patientin in Tempelhof.
Staatsanwaltschaft will Arzt für immer wegsperren
Zweieinhalb Monate später der dritte Fall: Am 5. September 2022 erschien er bei einer 56-Jährigen. Er habe heimlich gespritzt, dann aber aus Sorge vor Entdeckung einen Notruf abgesetzt. Später soll er in Kenntnis ihrer Patientenverfügung dafür gesorgt haben, dass die künstliche Beatmung abgestellt wurde.
Dann ist der Mediziner zu einer Fortbildung. 2024 soll M. wieder zugeschlagen haben. Ein 70-Jähriger, dann eine 83 Jahre alte Frau und eine 61-jährige Frau – die Tochter sei per Video-Telefonat zugeschaltet gewesen. Am 6. Mai 2024 soll er eine 73-Jährige totgespritzt haben.
Immer dreister: Am 5. Juni 2024 lag Aynur C. (57) nach seinem Besuch tot im Bett. Sechs Tage später soll er eine 87-Jährige umgebracht haben. Am 8. Juli 2024 tötete er laut Anklage gleich zweimal - Theodor K. (75) in Kreuzberg und Irena L. (76) in Neukölln. Am 15. Juli 2024 starb eine 67-Jährige – in der Küche ein Feuer. Sein mutmaßlich letztes Opfer: Eine 72-Jährige in Treptow.
M. schwieg vor elf Monaten bei seiner Festnahme. Auch vor Gericht zunächst kein Wort. Die Staatsanwaltschaft strebt lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung und Berufsverbot an. Fortsetzung: 23. Juli. KE.