Mancher hat von Tom Rothe lediglich ein Zupfen am Trikot gesehen. Das ist, vorsichtig formuliert, durch die Vereinsbrille geschaut. Andere sahen ein beidhändiges Ziehen, wenn nicht gar Zerren, am Arm von Tim Lemperle. Das war es auch. Also war klar, weil es auch noch im eigenen Strafraum passierte, was da in der Schlussphase der jüngsten Partie des 1. FC Union gegen die TSG Hoffenheim beim letztlichen 2:4 auf den Abwehrspieler der Eisernen zukommen würde: Rot für Rothe! Daran gibt es, auch jeder noch so heißblütige Fan sollte das anerkennen, kein Rütteln.
Auch wenn es nicht der erste Platzverweis für ihn im Union-Trikot ist, ist Rothe alles andere als ein Haudrauf. Mit seinem Lächeln (das zeigte er auch im Moment des Herunterschleichens, nur war das blanke Verlegenheit) und mit seinen blonden Locken scheint er eher der Typ des netten Schwiegersohns zu sein, der manche um den Finger wickeln kann. Nur zählt das wenig, wenn einer in einem Moment, in dem noch etwas zu kitten scheint, auf diese eigenwillige Art ein Spiel entscheidet.
Wie konnte Rothe in die Falle geraten?
Natürlich war Rothe in der fraglichen Sekunde der erbärmlichste Hund seines Teams. Was tun, wenn der Gegenspieler drauf und dran ist, ein anscheinend sicheres Tor zu erzielen? Schießen lassen? Das Gegentor billigend in Kauf nehmen? Dem eigenen Schlussmann eine Heldentat zutrauen? Zu Beginn eines Spiels vielleicht. Oder wenn Zeit bleibt, den Fauxpas in voller Mannschaftsstärke noch auszubügeln. Doch auch da gehen die Reflexe oft mit einem durch. Was erst gute zehn Minuten vor Schluss? Schon viel schwieriger.

Die Frage, die sich vor allem Trainer stellen sollten, ist vielmehr: Wie konnte Rothe überhaupt in diese Falle geraten? Selbst wenn der Abwehrverbund ein wenig gelockert worden ist, um vielleicht doch noch den Ausgleich zu erzielen, sollte die Defensive kein Harakiri begehen. Sonst ist ohnehin alles im Eimer.
Drama um Rani Khedira und Robin Knoche

Was Rothe allgemein betrifft, ist sein Vorankommen indes ein wenig ins Stocken geraten. Das ist nicht weiter schlimm. Vor allem nicht für einen jungen Mann wie ihn, zumal er seit Spieljahresbeginn eine etwas andere Position anvertraut bekam, trotzdem alle Trümpfe auf seiner Seite hat. Vor fast genau einem Jahr, die Saison hatte mit 14 Punkten aus den ersten sieben Spielen vielversprechend begonnen, hatte sich Rothe in Köpenick einen Ruf erworben, der positiver kaum hätte sein können. Was mancher dachte, sprach Dirk Zingler aus und nannte den damals 19-Jährigen einen „kommenden Nationalspieler“. Der Präsident meinte damit garantiert nicht das Nachwuchsteam U21, in dem Rothe sowieso spielt.
Mit kommenden oder vermeintlichen Nationalspielern ist das allerdings so eine Sache. Speziell in Köpenick. Als der Höhenflug einst noch unter Trainer Urs Fischer kein Ende zu nehmen schien und die Eisernen sich in der Spitzengruppe der Tabelle festbissen, machten einige Namen auch im Kreis des DFB die Runde. Rani Khedira und Robin Knoche fielen derart auf, dass der damalige Bundestrainer Hans-Dieter Flick beide in den vorläufigen Kader für die WM 2022 berief. Allerdings bestand der aus 55 Spielern. Zu den 26 Auserwählten, die schließlich nach Katar durften, gehörten sie dann doch nicht.
Der Traum vom Nationalspieler lebt
An das Trikot mit dem Bundesadler denkt Khedira, obwohl Vizekapitän, schon lange nicht mehr. Erst recht nicht Knoche, nach seinem Vertragsende nach Nürnberg gewechselt, dort als Kapitän in die Saison gegangen, momentan aber nicht einmal mehr beim derzeitigen Schlusslicht der Zweiten Liga erste Wahl.