
Verstehen muss man das nicht, was kurz vor der Pause im Spiel des 1. FC Union am Sonnabend in Leverkusen in den Köpfen einiger Anhänger der Eisernen vor- und aus den Kehlen herausging. Gutheißen schon gar nicht. Da liegt Alejandro Grimaldo, bei einer Ecke der Köpenicker von seinem Mitspieler Christian Kofane mit dem Ellbogen am Kopf getroffen, blutend im Bayer-Strafraum. Die Wunde über dem linken Auge sieht gefährlich aus. Nur: Das sieht der Zuschauer am Fernsehschirm, weil eine der vielen Kameras im Stadion genau auf diese Stelle zoomt. Das sieht aber nicht der Fan, der hundert Meter oder weiter entfernt nichts anderes zu tun hat, als in der Masse „Steh auf, du Sau!“ zu grölen. Völlig deplatziert, ganz klar.
Steffen Baumgart gibt Union-Fans kontra
Was dann aber passiert, ist umso erstaunlicher. Steffen Baumgart erkennt die Situation viel besser, macht die Krakeeler – einige beruhigende Gesten genügen – auf die Besonderheit aufmerksam, schon kriegen sie die Kurve. Dabei hatte man ausgerechnet ihm erst vor zwei Wochen beim Spiel in Frankfurt heftig am Zeug flicken wollen. Sein Vergehen damals: Er hatte Emotion (und den Stinkefinger) gezeigt. Vielleicht sind diejenigen beim DFB, die als „Big brother is watching you“ aus der Ferne alles beobachten und schnell mit der Sanktionskeule wirbeln, doch nicht ganz so gefühllos.
Es bleibt immer ein schmaler Grat, auf dem das Abrutschen möglich ist. Dass bei den Anhängern der Eisernen noch das Schlüsselerlebnis aus dem Vorjahr, ein Feuerzeug aus den eigenen Reihen, im Kopf ist, ist nicht auszuschließen. Nur hat im betreffenden Moment wahrscheinlich niemand ernsthafter darüber nachgedacht, dass beide Fälle rein gar nichts miteinander gemein haben.
Nicht nur Fans des 1. FC Union benehmen sich daneben
Wenn man jedoch schon derart penibel auf Etikette aus ist und den Eisern-Fans ungebührliches Verhalten vorwirft, dann nicht nur ihnen diesmal, sondern in anderen Fällen bei anderen Anhängern auch. Immer ohne Ansehen des Trikots oder der Nationalität. Emotionen ja. Gegebenenfalls aber auch Empathie.

Da ist nämlich auch der Fall Marc Cucurella. Das ist jener Spanier, dem im EM-Viertelfinale 2024 gegen Deutschland im eigenen Strafraum der Ball an die Hand geflogen ist, es aber keinen Pfiff gab und die Spanier mit einem 2:1 ins Finale einzogen. Ob ein Elfmeter zum Tor geführt hätte, bleibt hypothetisch. Ebenso, ob ein Tor, es hätte bei noch fast 15 Minuten Spielzeit in der zweiten Hälfte der Verlängerung erst einmal nur 2:1 gestanden, am Ende auch zum Sieg verholfen hätte. Trotzdem war Cucurella der Sündenbock für das Aus bei der Heim-EM.
DFB-Fans können Marc Cucurella nicht vergessen
Ganz fies wurde die Sache so richtig aber erst ein Jahr später. Wieder war Deutschland Gastgeber. Diesmal für das Vierer-Turnier der Nations League. Erneut war Spanien mit Cucurella dabei. Obwohl „La Furia Roja“ nicht gegen das DFB-Team spielte, wurde er, sobald er auch nur in die Nähe des Balles kam, sowohl in Stuttgart gegen Frankreich als auch in München gegen Portugal gnadenlos ausgepfiffen. Von Respekt, von Anstand keine Spur. Von Fairplay noch viel weniger. Kein Stadionsprecher griff ein, kein Offizieller sprach ein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung. Wahrscheinlich ist in der Kurve auch hier das Wort „Sau“ gefallen. Nur nicht in allgemein hörbarer Lautstärke.
Ob gegen Grimaldo oder gegen Cucurella, fies ist beides.
Marc Cucurella wird für Handspiel immer noch ausgepfiffen
Allerdings gibt es einen markanten Unterschied. Als das Ausmaß der Verletzung von Alejandro Grimaldo auch im Union-Fanblock angekommen war, war augenblicklich Schluss mit Bösartigkeiten. Bei Marc Cucurella jedoch dachte selbst ein gutes Jahr später und sogar in Spielen ohne deutsche Beteiligung niemand auch nur im Ansatz daran, es mal gut sein zu lassen.