Heute noch unersetzlich, morgen schon auf dem Abstellgleis, übermorgen ein wenig gegen die Wand gefahren und alsbald am besten die Spuren verwischt. Als ob nie was gewesen wäre und man sich schämen müsste, füreinander dagewesen zu sein. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell Liebe auch im Fußball erkalten kann und aus heiß Eis wird. Das hat nicht immer etwas damit zu tun, dass ein anderer Verein mit einer deutlich dickeren monatlichen Überweisung lockt. Es hat auch damit zu tun, dass es nicht mehr passt. Oft sind es fachliche, ab und an aber auch menschliche Gründe. Am häufigsten wohl die Summe beider.
Von 100 auf 0: Nach einem Jahr war Kevin Vogt beim 1. FC Union nur noch Ersatz
So ein Gefühl kommt zumindest bei mir auf, wenn ich mir beim 1. FC Union die Akte Kevin Vogt ansehe. Was haben sie sich gegenseitig beglückwünscht, als der alte Fahrensmann, damals 32 Jahre, in Köpenick angeheuert hat. Von „Freude“, „neuen Herausforderungen“, „einem faszinierenden Klub“ war einerseits die Rede, von einem „Spieler, der mutig ist“, „eine Mannschaft führen kann“, über „Mentalität und Willenskraft“ verfügt und in einer schwierigen Phase, die Eisernen waren im Januar 2024 im Tabellenkeller angekommen, „bereit ist, den Weg gerade jetzt gemeinsam mit uns zu gehen“.
Klingt gut, war auch gut, ist nun aber, nur anderthalb Jahre später (eigentlich bereits sechs Monate früher), Makulatur. Manchem könnte es peinlich sein, so etwas übereinander gesagt und es auch noch ehrlich gemeint zu haben. Dabei ist man insgeheim eher froh, dass sich die Wege nun getrennt haben und man sich trotzdem – mit manchem vielleicht auch nicht – in die Augen sehen kann. Eines nur ist klar: Spätestens am Beispiel des Abwehr-Haudegens wird deutlich, dass die Bundesliga ein Tagesgeschäft bleibt.
Vogt hatte beim 1. FC Union unter Baumgart schlechte Karten
Was an der Gemengelage am meisten verblüfft, ist die Schnelligkeit, in der sich der Wind gedreht hat. Am hartnäckigsten hält sich der Eindruck, dass es mit dem Trainerwechsel von Bo Svensson zu Steffen Baumgart zu tun hat. Der Däne hielt auf seinen Abwehr-Oldie, sein Nachfolger hatte eine andere Vorstellung. Erstens von der Formation der Defensive, zweitens vom Personal, das den Plan umsetzen sollte. Für Vogt war hier wie da kein Platz. Dass er, ab und an als Notnagel doch ins Team geworfen, nicht wie gewünscht performt hat, konnte niemanden mehr ernsthaft überraschen.

Es ähnelt einem Teufelskreis, der da einsetzt: fehlende Spielpraxis; kein blindes Verständnis mehr zu den Kollegen auf dem Platz; in den Keller gegangenes Selbstvertrauen; schwindender Rückhalt durch den Trainer; aus Leichtigkeit und Frische werden bleierne Füße und ein müder Kopf. Halt macht so etwas nicht einmal vor einem Routinier wie Vogt, der, bevor er zum 1. FC Union kam, für fünf andere Vereine in der Bundesliga 319 Punktspiele bestritten hatte. Das hat viel von Haudegen. Es hat auch viel von einem, der in dieser Welt alles erlebt zu haben scheint. Letztlich aber handelt es auch von einem, der, viel jünger an Jahren (hier trägt er den Namen Leopold Querfeld), auf die Überholspur wechselt und den Platzhirsch aus dem Rudel treibt. Es ist also nichts vom Himmel gefallen. Und trotzdem …
Knallhartes Bundesliga-Business auch beim 1. FC Union
Zwei besondere Momente wird der Defensivmann, der am Abend seiner Karriere zu seinem Jugendverein VfL Bochum zurückgekehrt ist, aus seiner Zeit in Köpenick dennoch mitnehmen: den Klassenerhalt im letzten Spiel der Saison 23/24 auf der allerletzten Rille gegen Freiburg und seinen Treffer per Elfmeter im Oktober vorigen Jahres beim 2:1 gegen Dortmund. 275 Spiele hat Vogt auf diesen Moment warten müssen. Wenigstens dieser Fleck, der so lange weiß war und bis ans Ende seiner sportlichen Tage weiß zu bleiben drohte, wird die Farben Rot und Weiß behalten.