Ein Stein sei ihm vom Herzen gefallen, hat Tim Skarke gesagt, kaum war vorigen Freitag das 3:1 gegen RB Leipzig unter Dach und Fach. Wegen des Sieges, klar, der den 1. FC Union auf Tabellenrang 8 wieder deutlich besser aussehen lässt als eine Woche zuvor. Vor allem aber, weil für ihn, Skarke, eine Zeit zu Ende gegangen ist, die unendlich schien und fast einen Makel bedeutete. Nun aber ist es doch geschafft. Endlich, endlich, endlich ist ihm für den 1. FC Union sein erstes Tor in einem Pflichtspiel gelungen. Nicht so sehr die Flauten in der Europa League (zwei Einsätze) und im DFB-Pokal (6) haben die Statistiker auf den Plan gerufen, das ist geschenkt. 46 Spiele in der Bundesliga ohne Tor aber sind für einen Angreifer ein ziemlicher Klotz am Bein. Selbst dann, wenn für ihn keines über die volle Spielzeit gegangen ist. Nach dem 55. Spiel, auch wenn es wie viele andere wieder nur einige wenige Minuten waren, ist alles wie weggeblasen und die Welt ist für ihn eine ganz andere.
Diesen Moment wird Tim Skarke nie vergessen. Wie er das Zuspiel von Andrej Ilic direkt nimmt und den Ball links unten versenkt. Wie die Fans auf der Waldseite, vor deren Augen der Ball einschlägt, in Ekstase geraten. Wie Skarke den Weg Richtung rechte Eckfahne nimmt, dort seine Erleichterung hinausschreit und aus dem Augenwinkel vielleicht mitbekommt, wie Götz Geserick, der Mann, der die letzte manuelle Anzeigetafel in den Bundesligastadien bedient, die Tafel mit der 2 herauszieht und die mit der 3 hineinschiebt. Es ist pure Erlösung.

Auch der Torjubel beim 1. FC Union ist besonders
Andere hätten sich vielleicht das Trikot ausgezogen und es triumphierend über dem Kopf geschwenkt. Skarke bleibt in der Anzugsordnung akkurat. Wieder andere hätten den Diver gemacht und wären bäuchlings den Rasen entlanggerutscht. Skarke bleibt stabil, die Traube der Gratulanten darf ihm stehende Ovationen bringen. Andere an seiner Stelle hätten sofort nach Abpfiff die private Elektronik gezückt und hätten ein Selfie in die Welt geschickt. Das übernimmt Ilyas Ansah, auf dem mit Oliver Burke auch der dritte Torschütze des Abends seinen Platz findet.
Aber, und das sagt vielleicht mehr als tausend Worte: Der deutsche U21-Nationalspieler, der nun bei fünf Saisontoren steht, und der Schotte, der seinen vierten Treffer erzielt hat, haben den Tore-Neuling in ihre Mitte genommen. Eine nette Geste, die Ansah gar noch mit feinen Worten veredelt: „Timmi ist einer, der immer für die Mannschaft da ist und zu dem ich als jüngerer Spieler aufschaue.“ Ist doch schön, wenn das einer, der vor fünf Wochen 21 Jahre alt geworden ist und dessen Stern gerade erst aufzugehen scheint, zu einem sagt, der 29 ist und um den ultimativen Durchbruch ringt.
Es scheint bei Union, anders als in der Gesellschaft, zu stimmen zwischen den Generationen. Auch gibt es keinen rund um den Verein, der Skarke dessen erstes Bundesligator für die Eisernen nicht von Herzen gönnt.

Beim 1. FC Union stimmt es zwischen den Generationen
Was seine Tore-Flaute angeht, ist Skarke nun auf der sicheren Seite. Dabei haben weit prominentere Stürmer darunter schon gelitten, wenn sie auch nicht 55 Anläufe gebraucht haben. Dafür galten sie auch als andere Kaliber. Joachim Streich, unerreichter Torjäger in der DDR sowohl in der Oberliga als auch im Nationalteam, hatte so etwas unmittelbar nach der WM 1974. Zehn Länderspiele musste der damals 23-Jährige auf seinen 21. Treffer warten, obwohl manche Gegner – darunter je zweimal Island und Kanada, dazu Bulgarien – seinerzeit nicht unbedingt erste Sahne darstellten und 34 weitere Tore im A-Team folgten. Selbst Gerd Müller, mit 365 Treffern seit über fünf Jahrzehnten unangefochtene Nummer 1 unter den Bundesliga-Torjägern, hatte einst eine Folge von 16 Spielen zu überstehen, ohne den gegnerischen Torhüter zu überwinden. Alles kein Vergleich zu Skarke, dennoch ein Sakrileg. Denn sowohl bei Streich als noch mehr bei Müller glaubten die damaligen Kritiker an den Untergang des Abendlandes.



