Früher war alles besser, sagt man oft. Von wegen! Anders war es früher, das schon. Auch was den Fußball betrifft. Da hatte Sepp Herberger, von seinem Kapitän Fritz Walter beim WM-Sieg 1954 und auch sonst in seinem Amt als DFB-Trainer „Der Chef“ genannt, noch recht mit seinem Spruch, nach dem ein Spiel 90 Minuten dauert. Ach, Herr Herberger, schon lange nicht mehr. Erst recht nicht seit dieser Saison. Da ist Nachsitzen die minutenlange Regel. Und wenn, so ein alter Slogan der Fankurve, schon Sitzen so ist, dann ist Nachsitzen erst recht fürn Ar… Und aktuell besonders für den 1. FC Union.
Heidenheim profitiert richtig
Man nehme nur mal die beiden letzten Spieltage, die für die Eisernen nach den Niederlagen gegen Heidenheim (1:2) und in Wolfsburg (1:3) den Blick nach unten richten lassen. Dagegen ist Heidenheim, vor diesen zwei Runden Schlusslicht, wieder ganz gut im Geschäft. Für das Team von Langzeit-Trainer Frank Schmidt spricht, dass es sowohl in Köpenick als auch zuletzt gegen Freiburg aus einem 0:1-Rückstand ein 2:1 geschafft hat.
Nur eben wann!? Das Siegtor im Stadion An der Alten Försterei erzielte Jan Schöppner in Minute 90+5, das gegen die Breisgauer kommt auf das Konto von Stefan Schimmer (er hatte in Berlin in Minute 90 das 1:1 erzielt) in Minute 90+4 – noch Fragen? Wäre die Nachspielzeit nicht so üppig ausgefallen, hätten die Heidenheimer krasse vier Punkte weniger und wären satter Vorletzter.
St. Pauli erlebte beide Seiten
Der ist aktuell St. Pauli nach zehn Spielen ohne Sieg. Um ein Haar wären es zehn Niederlagen geworden. Doch Ricky-Jade Jones rettete den Kiezkickern mit dem 1:1 in Köln den ersten Zähler seit Mitte September. Die Frage des Zeitpunktes erübrigt sich fast: natürlich in der vierten Minute der Nachspielzeit.

Wer wiederum würde den Männern vom Heiligengeistfeld diesen Punkt nicht gönnen. Schließlich waren sie bereits eine Woche zuvor bei Bayern München kurz vor einem 1:1. Ebenso erst in der Nachspielzeit machte der Rekordmeister durch Luis Diaz (90.+3) und Nicolas Jackson (90.+6) den Deckel drauf.
Unions Nachspielzeit ist verrückt
Von ausgleichender Gerechtigkeit soll nicht die Rede sein. Die lässt sich sowieso nicht einfordern. Erst recht nicht von Wettbewerbsverzerrung, wenngleich die Minuten, die von der Vielzahl an Unparteiischen (einer auf dem Feld, zwei an den Seiten, einer zwischen den Trainerbänken, zwei im Videokeller) festgelegt werden, teils abenteuerlich daherkommen. Natürlich fressen die Videochecks Zeit, auch Tore und Auswechslungen werden zu einer Zusatzzeit addiert, verletzungsbedingte Unterbrechungen ohnehin. Trotzdem ist die Summe der zusätzlich verbrachten Minuten häufig unerwartet hoch.
Sollte jemand nachrechnen, wie viele Minuten es bei den bisher 13 Partien um Punkte für die Eisernen in diesem Spieljahr gegeben hat, er würde es kaum glauben. Es sind – setzen, bitte – 150! Zweieinhalb Stunden. Hochgerechnet sind das in einer Saison vier zusätzliche Spiele. Mehr als zehn Minuten pro Spiel sind es jedenfalls. Da kann einem schon mal schwindlig werden.
Die Eisernen sind Rekordhalter
Sportlich ist es auf jeden Fall. Dabei sind es im zweiten Abschnitt naturgemäß deutlich mehr als im ersten, weil da erst der Wust an Auswechslungen kommt. Aber auch vor dem Pausenpfiff kann es mal unerwartet länger gehen als vorgesehen. So beim 0:2 in Leverkusen neun Minuten, weil Alejandro Grimaldo wegen einer Verletzung am Kopf behandelt werden musste und die Unterbrechung alternativlos war. Den Rekord stellen allerdings die 17 Minuten (drei vor der Pause, 14 am Schluss) zuletzt in Wolfsburg auf. Da kann jemand durchaus in Atemnot geraten.

Was indes hat die Zusatzzeit den Eisernen gebracht – außer dicken Frust gegen Heidenheim? Auch sonst nur Ärger. Zwei der Gegentore beim 2:4 zu Hause gegen Hoffenheim fielen in die Vorpausen-Zusatzzeit: das 0:1 durch Andrej Kramaric (45.+1) und das 0:2 durch Fisnik Asllani (45.+3). Außerdem verhinderte Harry Kane mit seinem Tor zum 2:2 den ersten Sieg gegen Bayern München überhaupt, weil sein Kopfball in Minute 90+3 saß.




