Sie war das Schwimm-Mädchen, das Deutschland liebte – und an den Erwartungen fast zerbrach. Franziska van Almsick erzählt offen von Essstörungen, Therapien und der Suche nach sich selbst. Von ihrer Kindheit in der DDR, der Mauer, die fiel – und der, die sie in sich trug.
„Es gab eine Zeit, da dachte ich, ich ertrinke.“ Mit diesem Satz beschreibt Franziska van Almsick eine der dunkelsten Phasen ihres Lebens. Eine Zeit, in der sie „aufhörte zu essen“, sich von zwei Salzstangen am Tag ernährte – und der Körper, der sie einst zu Medaillen getragen hatte, plötzlich nicht mehr konnte. Ein gebrochenes Handgelenk wurde zum Wendepunkt. „Vielleicht ein Wink des Schicksals“, sagt sie heute im Gespräch mit der Bild. Ein Moment des Innehaltens, weil sie sich endlich zurückziehen durfte, ohne Fragen beantworten zu müssen.
Ein DDR-Kind mit Chlor in der Lunge
Franziska van Almsick wuchs in Ost-Berlin auf. „Ich hatte eine schöne, wilde Kindheit“, erinnert sie sich. Mit fünf sprang sie ins Wasser, mit sechs trainierte sie regelmäßig. Die DDR – grau, aber nicht trostlos. „Das Leben war nicht trist, nur ein bisschen farbloser als im Westen.“ Erst mit dem Mauerfall kam das Bunte: „Eissorten, Klamotten – sogar das Blau der Jeans war anders.“

Ihren ersten West-Moment vergisst sie nie. „Am Kudamm, im Kaffee Kranzler, aß ich einen Krokanteisbecher. Ich mag Krokant eigentlich nicht. Aber wenn ich es heute schmecke, bin ich wieder dort.“
Zu Hause lernte sie Disziplin. Kein Plattenbau, aber ein Mehrfamilienhaus mit Kohleofen. „Bis ich zehn war, musste ich Kohlen aus dem Keller schleppen.“ Die Mutter war Sportlehrerin und Trainerin, der Vater Bauingenieur, der die Eishalle in Hohenschönhausen mitbaute. Früh hieß es: Training, Schule, Schlafen. „Ich hatte Spaß, mir fehlte nichts. Ich wusste gar nicht, was ich verpasse.“
Mit zwölf schwamm sie schneller als alle anderen, mit 14 wurde sie in Barcelona zur Heldin. „Unsere Franzi“ – ein Land jubelte ihr zu, jeder wollte sie anfassen. Doch der Ruhm, der sie groß machte, begann sie zu erdrücken.
Van Almsick über ihre DDR-Kindheit: Kohle schleppen und Disziplin
„Ich wollte immer Olympiasiegerin werden. Reich und berühmt zu sein, stand nicht auf meiner Agenda.“ Doch genau das passierte. Plötzlich gehörte ihr kein Moment mehr allein. „Ich dachte, ich hätte ein Problem mit dem Essen. In der Therapie ging es nie darum. Es ging um Selbstbestimmung, um Liebe zu mir selbst.“

Sie erkannte, dass Stärke nicht nur im Durchhalten liegt, sondern auch im Loslassen. „Ich bin kein extrovertierter Typ. Ich mag es, da zu sein, aber nicht aufzufallen.“
Wenn sie über ihre Kindheit spricht, schwingt Stolz mit – aber auch Wehmut. „Ich bin dankbar, dass ich weiß, wo ich hingehöre. Das ist der Osten, das ist meine DNA.“ Im Supermarkt greift sie noch heute lieber zu Spreewaldgurken. Und jedes Jahr am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, erinnert sie ihre Söhne: Ohne den Mauerfall gäbe es sie nicht.
Das neue Leben der alten Franzi van Almsick
Van Almsick lebt seit Jahren in Heidelberg, engagiert sich mit ihrer Stiftung dafür, dass Kinder schwimmen lernen – weil sie weiß, wie leicht man untergehen kann. Sie ist Mitgründerin des FC Viktoria Berlin, kämpft für Frauenfußball und mehr Chancengleichheit.

Das Älterwerden gefällt ihr nicht, aber sie schätzt die Gelassenheit, die damit kommt. „Man wird klüger. Entspannter.“ Sie sagt, sie arbeite jeden Tag daran, ein bisschen besser zu werden als gestern.
