Günter Netzer haut so schnell nichts aus seinen langen Latschen, schon gar nicht der 80. Geburtstag. „Ich bin demütig, diese Zahl erreichen zu können. Das ist wenigen vergönnt“, sagt die Fußball-Ikone, die als Spielmacher, Popstar, Rebell, Manager, Geschäftsmann und Journalist mehrere Leben in einem führte. Übrig geblieben ist nur eines, und in diesem macht er am Sonnabend als glücklicher Ruheständler die 80 voll.
„Vor zehn Jahren habe ich alle meine Leben aufgegeben bis auf das reale“, sagte Netzer zuletzt im Podcast „Einfach Fußball“ in einem seiner selten gewordenen Interviews. Reflektiert wie selten blickte er darin auf 80 turbulente Jahre zurück. „Ich bin dankbar für das, was das Leben mir beschert hat. Es gab so viele beste Tage, dass ich die gar nicht alle benennen kann.“

Netzer glänzte stets in den Vereinen, in der Nationalelf eher selten
Wo also anfangen? In den Straßen von Mönchengladbach vielleicht, wo die Nachbarskinder den kleinen Günter nur mitspielen ließen, weil er einen Lederball besaß. Doch er bewies Talent, wechselte mit 19 zur Borussia und führte diese zusammen mit dem knorrigen Trainer Hennes Weisweiler erst in die Bundesliga und dann zu den Meisterschaften 1970 und 1971. 1973 folgte noch so ein „bester Tag“, aus dramaturgischer Sicht sogar der allerbeste: Netzers Selbsteinwechslung im Pokalfinale gegen den 1. FC Köln ist längst Legende. „Ich spiel dann jetzt“, sagte er zu Weisweiler vor der Verlängerung – und erzielte in seinem letzten Spiel für die Borussia mit wehendem Haupthaar das Siegtor.

Danach wurde der „lange Blonde“ auch mit Real Madrid zweimal Meister. In der Nationalmannschaft glänzte er dagegen selten. Sein bestes von nur 37 Länderspielen bestritt er 1972 beim 3:1 in England, es war der erste Sieg Deutschlands auf der Insel. Der Treffer zum 2:1 sei sein „wichtigstes Tor überhaupt“ gewesen, sagt er heute.
FAZ-Literaturchef Karl Heinz Bohrer erfand daraufhin jenen Satz von der Tiefe des Raumes, der Netzer bis heute begleitet. „Es ist ein toller Satz. Er hat mir einen großen Dienst erwiesen über all die Jahrzehnte“, sagt Netzer. Als Weltmeister 1974 fühlt er sich bis heute nicht, weil er nur bei der Niederlage gegen die DDR auf dem Platz stand.

Netzer feierte Managererfolge beim HSV und gewann den Grimme-Preis mit Gerhard Delling
Der Erfolg blieb ihm auch treu, als seine Schuhe mit der Größe 46 2/3 längst am Haken baumelten. Als Manager führte Netzer den Hamburger SV zu drei Meistertiteln (1979, 1982, 1983) und zum Triumph im Europapokal der Landesmeister (1983), als ARD-TV-Analyst gewann er an der Seite von Gerhard Delling den Grimme-Preis.
Weniger gern spricht der damalige WM-Botschafter Netzer über die Affäre rund um die Vergabe der WM 2006. Behauptungen des ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger, Netzer habe ihm von gekauften Funktionären vor der WM-Abstimmung berichtet, wies dieser empört zurück. Inzwischen hat sich Netzer zurückgezogen, lebt in der Schweiz und verbringt viel Zeit auf Sylt. „Das Kreuz tut weh, das Knie ist kaputt. Aber das darf man nicht bejammern, das ist der Preis des Ganzen. Das ist für mich mehr als akzeptabel“, sagt er.
Im Fernsehen tritt Netzer praktisch nicht mehr auf, wenn überhaupt sitzt er nur noch davor. Er erzählt von den Olympischen Spielen in Paris, die er aufmerksam verfolgt hat. „Ich habe noch nie im Leben Turmspringer verfolgt. Das ist ja unfassbar, was diese Menschen leisten“, sagt er etwa. Oder die Turnerinnen und Turner: „Diese wunderschöne Eleganz! Das hätte ich mir nie vorstellen können, da mal mehr als zehn Sekunden zuschauen zu können. Jetzt habe ich stundenlang zugeschaut – weil ich ja ein ästhetischer Mensch bin und hochbeglückt war.“

Netzer genießt das Leben ohne Termine
Es sind genau diese Sätze, die einen im Gespräch mit ihm immer wieder schmunzeln lassen. Weil man tatsächlich eine Begeisterung aus ihnen heraushört, ohne dass Netzer das besonders betont. Er redet halt, wie nur Günter Netzer redet. Die Tonlage ist meistens gleich. Die Wortwahl dagegen immer kreativ.
„Ich bin hochzufrieden“, sagt er über sein Leben. „Zufriedenheit ist das, was ich immer erreichen wollte.“ Das ist ihm offenbar geglückt. Er genieße es besonders, „keine Termine mehr zu haben“, sagt er. „Mein Leben ist so was von langweilig, so wie es einem 80-Jährigen gebührt.“ Man kann dabei das leichte Grinsen auf seinen Lippen heraushören.




