„In der Koalition brennt gerade die Hütte!“ So deutlich wie SPD-Chefin Saskia Esken brachte keine der Ampel-Parteien den Zoff innerhalb der Regierung um Christian Lindners Grundsatzpapier auf den Punkt. Die Union wittert schon Morgenluft und bereitet sich auf Neuwahlen vor. Doch das ist nur eine Möglichkeit, wie Kanzler Olaf Scholz (SPD) reagieren könnte, wenn seine Ampel-Regierung tatsächlich platzen sollte.
Scholz könnte nämlich die Minister und Ministerinnen der FDP einfach entlassen und durch Vertreter aus SPD und Grünen ersetzen und mit einer Minderheitsregierung weitermachen bis zum Wahltermin im kommenden Jahr. Seine zweite Möglichkeit: Der Kanzler stellt im Bundestag die Vertrauensfrage und die Abgeordneten stimmen über seine Regierung ab. Bekommt Scholz keine Mehrheit mehr im Parlament, könnte der Bundespräsident Neuwahlen binnen 60 Tagen veranlassen.
CDU-Kanzlerkandidat Merz lobt Lindners Vorschläge
Darauf hofft vor allem die Union und auch der Inhalt des FDP-Papiers deutet darauf hin, dass bereits über eine schwarz-gelbe Koalition nachgedacht wird. Denn allzu deutlich schwenkt Finanzminister Lindner in seinem von vielen als „Scheidungspapier“ deklarierten Programm auf den Wirtschaftskurs der CDU ein. Auf 18 Seiten skizziert der FDP-Chef darin eine „Wirtschaftswende“ mittels Steuersenkungen für Unternehmen, der Lockerung von Klimavorgaben und der Reduzierung von Subventionen und Sozialleistungen. SPD und Grüne wiesen die Vorschläge zurück, Sozialverbände kritisierten sie scharf.
„Über Einzelheiten mag man diskutieren, aber die Vorschläge gehen in eine richtige Richtung“, lobte schon CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz das Papier. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte kurzweg Neuwahlen. „Es ist vorbei: Das Totenglöckchen der Ampel läutet. Eine Regierung, die gegeneinander Papiere verschickt, ist handlungsunfähig und eine Blamage für unser Land“, sagte er der „Bild“.

Ob es tatsächlich zum Bruch der Ampel-Koalition kommt, ist ungewiss. Am Mittwoch tagt der Koalitionsausschuss das nächste Mal. Dann könnte sich bereits entscheiden, wie lange die Ampel-Koalition noch hält. Aus der FDP kommen zu einem möglichen Bruch des Bündnisses und Lindners Plänen unterschiedliche Signale. Fraktionschef Christian Dürr sprach von einem „ehrlichen Angebot“, das Linder gemacht habe und das nun innerhalb der Koalition besprochen werden solle. Parteiinterne Kritiker der „Ampel“ fühlten sich hingegen in ihrer Forderung nach einem Ende der Koalition bestätigt. „Das Papier ist ein Frontalangriff auf den Koalitionsvertrag“, sagte Uwe Henn, Mitinitiator der FDP-Basisinitiative Weckruf-Freiheit, dem „Tagesspiegel“.
„Wenn die FDP jetzt die Ampel verlässt, wäre das politischer Selbstmord aus Angst vor dem Tod“, sagte hingegen der frühere FDP-Bundesinnenminister Gerhart Baum dem „Tagesspiegel“. Einem Bericht der Zeitung zufolge hatte Lindner die eigene Partei nicht über das Papier informiert. Die „Welt am Sonntag“ hatte zuvor berichtet, dass zunächst nur Beratungen im engsten Kreis der Bundesregierung geplant waren, das Papier war demnach ungewollt öffentlich geworden. ■