Düstere Aussichten

Parteienforscher: „Sehe für die SPD keinen Silberstreif am Horizont“

Für die SPD stehen mehrere Wahlen an. Doch für die Sozialdemokraten besteht wenig Hoffnung auf Erfolg, sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun im Interview mit dem KURIER.

Teilen
Auch wenn derzeit Ruhe in der SPD herrscht, sehen die Prognosen für Bundeskanzler Olaf Scholz und SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich düster aus.
Auch wenn derzeit Ruhe in der SPD herrscht, sehen die Prognosen für Bundeskanzler Olaf Scholz und SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich düster aus.Michael Kappeler/dpa

In den vergangenen Wochen spitzte sich der Konflikt in der Ampel-Koalition um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern und die weitere militärische Unterstützung der Ukraine hoch. Besonders zwischen dem SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich und der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) kam es auch öffentlich zum Eklat. Zwischen den Fronten standen dabei mitunter SPD-Genossen wie der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, der ein ausgesprochener Befürworter für eine größere Ukraine-Unterstützung in seiner Partei ist. Am Montag verkündete er nun seinen Rückzug, sprach davon, dass ihm gegenüber in den Fraktionssitzungen eine Kälte wie in einem Kühlschrank herrsche. Wie steht es also um die SPD? Darüber sprach der Berliner KURIER mit dem Parteienforscher Uwe Jun, Professor von der Universität Trier.

KURIER: Bundeskanzler Olaf Scholz hat nach dem Beginn der Vollinvasion Russlands in der Ukraine 2022 eine Zeitenwende für die deutsche Politik verkündet. Hat seine Partei diese Zeitenwende selbst vollzogen?

Jun: Auch der frühere SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt hat mit dem NATO-Doppelbeschluss in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren erhebliche Widerstände in seiner eigenen Partei überbrücken müssen. Ähnliches sehen wir jetzt wieder, aber doch spürbar gemäßigter. Es gibt einzelne Widerstände, insbesondere bei denen, die in der Friedensbewegung der 70er und 80er Jahre groß geworden sind und die Ideen dieser Friedensbewegung nach wie vor hochhalten. Diese Teile der Partei sind mit dem Weg, den die Bundesregierung geht, nicht vollständig konform. Aber man kann schon sagen, dass die „Zeitenwende“ in der SPD insofern angekommen ist, dass ihre Notwendigkeit nicht mehr negiert wird, dass man in der Sicherheitspolitik nun auch militärische Schritte stärker favorisieren muss.

Wie ja auch Verteidigungsminister Boris Pistorius immer wieder warnt.

Das sagt nicht nur Pistorius, sondern auch der Parteivorsitzende Lars Klingbeil bei vielen Gelegenheiten. Dazu gehört, dass eine Stärkung der Bundeswehr hier erforderlich ist, um Deutschland verteidigungsfähiger zu machen. Nicht alle fühlen sich mitgenommen davon aber bei einem großen Teil der Partei realisiert man schon, dass der Angriff von Putin-Russland eine andere Sicherheitspolitik erforderlich macht. Dennoch sind nicht alle in der Partei überzeugt, dass man mit starken militärischen Lösungen, einer starken Bundeswehr und einer besseren Einbindung in die NATO das Problem vollständig lösen kann. Diese Zweifel werden von Teilen der Partei immer wieder vorgebracht.

Mit Michael Roth zieht sich ein ausgesprochener Ukraine-Unterstützer aus der SPD zurück.
Mit Michael Roth zieht sich ein ausgesprochener Ukraine-Unterstützer aus der SPD zurück.dts Nachrichtenagentur/Imago

Mit Michael Roth zieht sich nun ein dezidierter Ukraine-Unterstützer zum Ende der Legislaturperiode aus dem Bundestag zurück. Hat er nach den Diskussionen in den letzten Monaten entnervt aufgegeben?

Sicher war es für ihn zuletzt politisch enttäuschend, dass er nicht mehr in den Bundesvorstand der Partei gewählt wurde und mit seiner Politik in Bezug auf den russischen Krieg in der Ukraine und nach mehr und schnelleren Waffenlieferungen nicht nur Zustimmung in der SPD gefunden hat. Es ist bekannt, dass es in der SPD Teile gibt, die eine starke Unterstützung der Ukraine kritisch sehen. Dass der ein oder andere in der Partei nicht darüber erfreut ist, mag mit dieser Positionierung zusammenhängen. Was letztlich aber der Grund ist, kann nur Herr Roth uns mitteilen.

Nun geht Roth aber nicht allein. Auch der ebenfalls zum rechten Parteiflügel gehörende Staatssekretär Thomas Hitschler kündigte seinen Rückzug an. Bekommen die Kritiker dieses Kurses zwei Jahre nach der Zeitenwende-Ankündigung wieder mehr Oberwasser?

Das ist ja vor allem die Parlamentarische Linke und die spielt in der Bundestagsfraktion der SPD keine unwesentliche Rolle. Sie stellt mit Rolf Mützenich den Fraktionsvorsitzenden. Es war Olaf Scholz auch immer wichtig, mit ihnen zu kooperieren, denn er hat gesehen, dass frühere SPD-Bundeskanzler wie Helmut Schmidt und Gerhard Schröder die Zustimmung der Partei und besonders der Parlamentarischen Linken verloren hatten. Sie unterstützen die Politik nicht ohne einzelne Vorbehalte, sie versuchen innerhalb der Ampelkoalition Lösungen vorzubringen, die weniger stark auf militärische Lösungen ausgerichtet sind. Die Frage ist aber, wie groß die Gruppe ist, die den Kurs von Rolf Mützenich stützt, den Krieg in der Ukraine einzufrieren. Wir wissen wie groß die Parlamentarische Linke ist, aber die Gruppe dafür ist wohl relativ klein. Gleichwohl ist aber bei denen in den letzten Monaten die Skepsis gewachsen und sie wollen den Westen in Richtung Verhandlungslösung bewegen. Und die Worte des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine, ließen sie aufhorchen. Somit wollen sie vermutlich sicherstellen, dass ihre Position nicht völlig untergeht.

Man muss aber konstatieren, dass aus diesen Kreisen keine wirklichen politischen Lösungsvorschläge gekommen sind oder?

Die Ampelkoalition ist in einem fragilen Zustand und die kennen die Position von Grünen und FDP und auch von ihrer eigenen Regierungsseite. Und man hat sich in der SPD nach vielen innerparteilichen Konflikten der Vergangenheit geschworen, dass man damit die Amtszeit des Bundeskanzlers nicht noch zusätzlich belasten möchte.

Wird es also bei warmen oder wenn man so will heißen Worten bleiben?

Ich sehe nicht, dass diese Kritiker den Bestand der Ampelkoalition in ernster Weise gefährden wollen.

Vor allem die FDP hadert mit der Ampel. Einen besonders heftigen Konflikt gab es zwischen der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, und dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich.
Vor allem die FDP hadert mit der Ampel. Einen besonders heftigen Konflikt gab es zwischen der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, und dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich.Frederic Kern/Future Images/Imago

Dennoch hatte man in den letzten Wochen in Bezug auf den Zustand der Koalition ein wenig das Gefühl, dass sich da etwas angestaut hat oder wie sehen Sie das?

Wir sehen, dass die Mehrheit in der Ampelkoalition, Grüne und FDP aber auch die Regierungsseite der SPD, inklusive Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius, bei allem Zögern des Kanzlers, eher deutliche Unterstützung der Ukraine zum Ausdruck gebracht hat. Marie-Agnes Strack-Zimmermann und die grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sind für eine deutlich stärkere Unterstützung der Ukraine. Die sind über die Haltung mancher in der SPD, sagen wir mal etwas pikiert und können das nicht nachvollziehen. Und diese Auseinandersetzungen zehren an den Kräften in der SPD, die ein vorsichtigeres Vorgehen favorisieren und stärker auf eine Verhandlungslösung setzen. Die sind aber in der Minderheit und da mag sicher auch eine gewisse Frustration eine Rolle spielen.

Wie sieht bei den anderen Koalitionsparteien aus: Ist die Ampel in ihrem Bestand gefährdet?

In den nächsten Monaten ist der Haushalt 2025 zu klären. Da wird es um den Verteidigungshaushalt gehen, aber auch um viele andere Aspekte. Wir dürfen dann gespannt zuschauen, ob tatsächlich alle Einzelfragen in diesem Haushalt geklärt werden können. Das ist tatsächlich für mich noch eine offene Frage.

Wer ist denn in der Ampel der größte Wackelkandidat? Die FDP, die Grünen oder vielleicht sogar die SPD selbst?

Alle drei Parteien haben ein grundsätzliches Interesse zum jetzigen Zeitpunkt die Koalition fortzusetzen, weil die Alternativen für sie schlechter wären. Die SPD würde die Kanzlerschaft verlieren, die Grünen können in der jetzigen Konstellation mehr als in anderen durchsetzen und für die FDP hängt die parlamentarische Existenz vielleicht sogar daran. Im Moment überwiegen die Vorteile. Das kann sich aber ändern. Bei SPD und Grünen kann ich mir das mittelfristig weniger vorstellen. Aber die FDP, deren Mitglieder ohnehin zu großen Teilen unzufrieden sind und nur knapp dafür gestimmt haben, ist die Partei, die das geringste Interesse an einer Fortführung hat. Sie würden derzeit aber auch das größte Risiko eingehen, wenn diese Koalition vorzeitig zerbricht.

Wenn man derzeit auf die Umfragen schaut, geben die der Politik von Olaf Scholz, wie ihn die SPD als Friedenskanzler stilisieren möchte, recht?

Was die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine betrifft, steht die Mehrheit der Bevölkerung auf der Seite von Olaf Scholz. Ich würde das aber in Bezug auf die militärische Unterstützung der Ukraine deutlich voneinander trennen. An der grundsätzlichen Bereitschaft des Kanzlers dazu gibt es keinerlei Zweifel. Und das ist auch das, was die Mehrheit der Bevölkerung teilt. Die grundsätzliche Bereitschaft infrage zustellen, wäre im Wettbewerb mit den anderen Parteien nur schwer darstellbar, weil es letztlich die Glaubwürdigkeit des Bundeskanzlers infrage stellen würde.

Rolf Mützenich (l), bei der Begrüßung der gehörlosen SPD-Abgeordneten Heike Heubach (SPD, r), die in den Bundestag nachrückte. Die Arbeit des Fraktionsvorsitzenden wird in der SPD positiv gesehen.
Rolf Mützenich (l), bei der Begrüßung der gehörlosen SPD-Abgeordneten Heike Heubach (SPD, r), die in den Bundestag nachrückte. Die Arbeit des Fraktionsvorsitzenden wird in der SPD positiv gesehen.Michael Kappeler/dpa

Es gab zuletzt immer wieder Kritik am Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich – die kam aber meist von außen. Wie bewertet man in der SPD seine Arbeit als Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bundestag?

In der SPD ist man weitgehend zufrieden mit ihm in seiner Rolle als Fraktionsvorsitzender. Er hat sich auch bisher sehr loyal gegenüber dem Kanzler verhalten und ausreichende Unterstützung für die Regierungspolitik mobilisieren können. Was die Taurus-Frage betrifft, hat er eine Meinung eines Teils der Partei wiedergegeben, die seiner eigenen entspricht. Das steht einem Fraktionsvorsitzenden frei. Und er hat damit nicht gegen Beschlüsse seiner Partei verstoßen. Insofern wird man in der SPD ein positives Fazit über die Arbeit von Herrn Mützenich in seiner Arbeit als Fraktionsvorsitzender fällen.

Manche Kritiker meinen, dass frühere Russland-Freunde wie Manuela Schwesig sich nur rhetorisch von Putin distanziert haben, aber weiter fest im Sattel sitzen. Die Kritiker sehen bereits eine Rückkehr der sogenannten Moskau-Connection. Sehen Sie die auch?

Also ich vertraue mal den Erklärungen, die diese Personen gegeben haben. Mit Ausnahme des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder haben wir ja von vielen führenden und früheren führenden SPD-Mitgliedern eine Distanzierung zu Russland gehört und gesehen. Daher ist jetzt aus meiner Sicht erstmal kein Zweifel an deren Glaubwürdigkeit zu hegen. Die sehen auch, dass der Angriffskrieg von Putin der eine Schritt zu viel war und die ihm jetzt auch die Unterstützung entzogen hat. Inwieweit diese jetzt immer noch darauf hoffen, dass man zu einer diplomatischen Lösung kommt und es dann eben danach auch Kooperationen geben kann, das vermag ich nicht zu beurteilen.

Wenn wir mal in die Glaskugel schauen. Sehen Sie bei den derzeitigen Umfrageergebnissen Möglichkeiten für die SPD Wahlen zu gewinnen und sich die Kanzlerschaft bei einer Wiederwahl zu sichern?

Man kann sagen, dass das kurzzeitige Zwischenhoch der SPD kurz vor und nach der Bundestagswahl sich wieder in den Normalzustand verwandelt hat. Die Zustimmung für die Partei hat sich wieder, wie schon seit vielen Jahren, bei 15 bis 16 Prozent einpendelt. Das Zwischenhoch ließ sich eher durch Fehler der politischen Konkurrenz als durch eigene Stärke erklären. Die nächsten Monate werden nicht leicht. Bei den Europawahlen hat die SPD in der Regel schlecht abgeschnitten. Auch die Landtagswahlen im Osten werden voraussichtlich kein vergnügliches Ereignis werden für die Sozialdemokraten. Zudem bleibt die Ampelkoalition fragil. Ich kann nicht erkennen, wo der große Silberstreif am Horizont für die SPD aufkommen sollte.

Herr Prof Dr. Jun, wir danken Ihnen für das Gespräch!