Urteil in Missbrauchsprozess

Vater missbrauchte Sohn (8): Richterin verhängt Bewährungsstrafe

Nahm ein Vater sexuelle Handlungen an seinem Sohn vor – und ist er als Schlafwandler schuldunfähig? Darüber hatte das Landgericht Lübeck zu urteilen.

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Wird der Angeklagte verurteilt - oder gilt er aufgrund der Tatsache, dass er Schlafwandler ist, als nicht schuldfähig? Darüber muss das Gericht heute entscheiden.
Wird der Angeklagte verurteilt - oder gilt er aufgrund der Tatsache, dass er Schlafwandler ist, als nicht schuldfähig? Darüber muss das Gericht heute entscheiden.Marcus Brandt/dpa

Das Landgericht Lübeck hat einen Ex-Staatsanwalt wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch seines Sohnes zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Vier Monate gelten bereits als verbüßt, wie die Vorsitzende Richterin bei der Urteilsbegründung am Mittwoch sagte. 

Es ist ein Fall, der viele Menschen grübeln lässt, und über den das Landgericht in Lübeck am Mittwoch urteilen musste. In der Hansestadt stand ein Vater vor Gericht, der seinen Sohn missbraucht haben soll. Der Fall ist besonders komplex, denn: Der Jurist hatte zunächst angegeben, sich an die Tat nicht erinnern zu können – später sagte er aus, er sei in der Nacht geschlafwandelt.

Die Tat ereignete sich im März 2019: Verging sich ein Vater an seinem Sohn (8)?

Die Tat ereignete sich laut Berichten bereits im März 2019. Laut Anklage schlief der Vater damals mit seinem zu dem Zeitpunkt acht Jahre alten Sohn in einem Bett. Er soll an dem Kind sexuelle Handlungen vorgenommen haben. „Er fasste in die Pyjamahose des Jungen, berührte dessen Geschlechtsteil und auch den Anus des Jungen“, heißt es in der Anklageschrift. Kurz darauf habe der Vater das Schlafzimmer verlassen.

Am nächsten Morgen sei er von seiner Frau mit den Vorwürfen konfrontiert wurden. Er selbst habe aber keine Erinnerungen mehr an den Vorfall gehabt. Der Jurist zeigte sich selber an, seine Frau reichte die Scheidung ein. Während der Ermittlungen hatte er sich ebenfalls darauf berufen, sich an die Ereignisse nicht erinnern zu können. Später dann gab er an, in der Nacht geschlafwandelt zu sein. 

Helga von Lukowicz, die Vorsitzende Richterin am Landgericht Lübeck, sitzt zu Beginn des Prozesses wegen schweren sexuellen Missbrauchs im Sitzungssaal, vor ihr der Angeklagte.
Helga von Lukowicz, die Vorsitzende Richterin am Landgericht Lübeck, sitzt zu Beginn des Prozesses wegen schweren sexuellen Missbrauchs im Sitzungssaal, vor ihr der Angeklagte.Marcus Brandt/dpa

Aber: Kann man, während man schlafwandelt, wirklich Dinge tun, die man im wachen Zustand nicht tun würde, weil sie beispielsweise nicht dem eigenen moralischen Kompass entsprechen würden? Grundsätzlich sei das möglich, sagte Thomas Pollmächer, Direktor des schlafmedizinischen Zentrums im Klinikum Ingolstadt, in einem Bericht der Deutschen Presseagentur.

In der Kriminalgeschichte gab es immer wieder Fälle, bei denen Schlafwandler zu Straftätern wurden, ohne es zu wissen. Eine der bekanntesten Geschichten ist die des französischen Polizisten Robert Ledru. Er wurde im Jahr 1887 zum Tatort eines Mordes gerufen, fand am Tatort eine Pistolenkugel und Fußabdrücke, die besonders auffällig waren, weil am rechten Fuß die große Zehe fehlte. Auch Ledru fehlte diese Zehe – und in seiner Pistole fehlte eine Kugel. Er stellte sich selbst der Polizei – doch seine Schlafwandel-Geschichte wollte niemand glauben. Er wurde Berichten zufolge bis zu seinem Lebensende in einem Krankenhaus untergebracht.

Missbrauchs-Prozess: Staatsanwaltschaft und Verteidigung forderten Freispruch

Nun also das Urteil – eine anderthalbjährige Bewährungsstrafe. Im Gerichtssaal des Landgerichtes Lübeck gingen die Ansichten dazu weit auseinander. Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung des Angeklagten hatten bereits am 8. Februar einen Freispruch gefordert, die Nebenklage auf eine Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs plädiert. ■