Nach dem Anschlag

Terror in Moskau: Russland meldet Festnahmen und beschuldigt Ukraine

Über 130 Menschen sterben bei Angriff auf Konzerthalle. Islamischer Staat bekennt sich zur Attacke.

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Ein Soldat der russischen Nationalgarde (Rosgwardija) sichert ein Gebiet, während über Crocus City Hall am westlichen Rand Moskaus ein gewaltiger Brand zu sehen ist. Bei dem Terroranschlag gab es viele Tote und Verletzte. 
Ein Soldat der russischen Nationalgarde (Rosgwardija) sichert ein Gebiet, während über Crocus City Hall am westlichen Rand Moskaus ein gewaltiger Brand zu sehen ist. Bei dem Terroranschlag gab es viele Tote und Verletzte. Dmitry Serebryakov/AP/dpa

Nach dem Angriff mit mehr als 130 Toten auf einen Konzertsaal bei Moskau hat der russische Staatschef Wladimir Putin die Festnahme „aller vier Angreifer“ bekannt gegeben – und erklärt, dass diese auf der Flucht in die Ukraine gefasst worden seien. Putin sprach am Samstag von einer „barbarischen terroristischen Tat“, deren Hintermänner bestraft würden. Die Ukraine bestritt jedwede Beteiligung, während die Dschihadistenmiliz IS den Angriff für sich reklamierte.

Maskierte Angreifer waren am Freitagabend in die voll besetzte Crocus City Hall im nordwestlich gelegenen Moskauer Vorort Krasnogorsk eingedrungen und hatten dort das Feuer eröffnet. Nach Angaben des russischen Ermittlungskomitees stieg die Zahl der Toten am Samstag auf mindestens 133. Es war der folgenschwerste Angriff in Russland seit gut 20 Jahren.

Putin sprach von einem „blutigen Massenmord“ und ordnete für Sonntag einen Tag der nationalen Trauer an. Die vier Angreifer seien festgenommen worden, als „sie sich in Richtung Ukraine bewegten“, sagte er in einer Fernsehansprache. Nach ersten Erkenntnissen sei dort ein Zeitfenster für ihren Grenzübertritt vorbereitet worden.

Behörden: Vier Angreifer festgenommen

Laut russischem Ermittlungskomitee wurden die vier Angreifer in der Region Brjansk festgenommen, die an die Ukraine und an Belarus grenzt. Insgesamt sprach der Kreml von elf Festnahmen. „Diejenigen, die hinter diesen Terroristen stecken, werden bestraft“, sagte Putin. „Sie werden kein beneidenswertes Schicksal haben.“

Der russische Staatschef bestätigte die Version seines Inlandsgeheimdienstes FSB, der zuvor erklärt hatte, die Angreifer hätten „Kontakte“ in die Ukraine gehabt. Auf die Selbstbezichtigung des IS ging der Staatschef ebenso wie die russischen Behörden mit keinem Wort ein.

Ukraine: Anschuldigungen Russlands sind „absurd“

Die ukrainische Führung hat Anschuldigungen aus Russland nach dem Angriff auf die Konzerthalle bei Moskau als „absurd“ zurückgewiesen. „Es war klar, dass die Version der russischen Verantwortlichen ‚die ukrainische Spur‘ sein würde“, erklärte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak am Sonnabend im Kurzbotschaftendienst X. „Die Erklärungen der russischen Dienste in Bezug auf die Ukraine sind völlig unhaltbar und absurd.“ Die Ukraine habe nicht die geringste Verbindung zu dem Vorfall.

Bereits am Freitag hatte Präsidentenberater  Podoljak in einer Videobotschaft jedwede Verwicklung in den Angriff bestritten: „Die Ukraine hat im Unterschied zur Russischen Föderation niemals terroristische Methoden der Kriegsführung, Terrorismus als solchen angewandt“.

Moskau: Blick auf die Crocus City Hall. Nach dem Terroranschlag im Nordwesten Moskaus auf eine Konzerthalle dauern die Ermittlungen an. 
Moskau: Blick auf die Crocus City Hall. Nach dem Terroranschlag im Nordwesten Moskaus auf eine Konzerthalle dauern die Ermittlungen an. Vitaly Smolnikov/AP/dpa

Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS), die gegen Russland in Syrien kämpft und auch in der russischen Kaukasusregion aktiv ist, bekräftigte am Samstagmittag hingegen im Onlinedienst Telegram ihre Verantwortung für den Angriff. „Der Anschlag wurde von vier IS-Kämpfern verübt“, erklärte die Miliz. Diese seien „mit Maschinengewehren, einer Pistole, Messern und Brandbomben bewaffnet“ gewesen. Der Anschlag sei Teil des „natürlichen Kontextes des tobenden Krieges“ mit den „Ländern, die den Islam bekämpfen“.

Einem Reporter der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti zufolge stürmten die Angreifer am Freitagabend in Tarnkleidung die Crocus City Hall in Krasnogorsk, ehe sie das Feuer eröffneten und eine Granate oder eine Brandbombe warfen. Nach Angaben des Ermittlungskomitees starben die Menschen sowohl durch Schüsse als auch durch das Einatmen von Rauch. Die Angreifer setzten demnach „automatische Waffen“ sowie eine brennbare Flüssigkeit ein.

133 Todesopfer bei Anschlag in Moskau

Zur Zahl der Todesopfer gab es am Samstag vom Ermittlungskomitee mehrfach sich erhöhende Angaben, zuletzt wurde die Zahl von 133 Todesopfern genannt. Diese könnte sich noch weiter erhöhen, da die Bergungsarbeiten in dem von den Flammen teils zerstörten Gebäude noch Tage weitergehen dürften.

Rund um die Halle waren am Samstag zahlreiche Polizisten und Angehörige von Spezialeinheiten postiert. Hunderte Helfer waren mit der Räumung der Trümmer beschäftigt. Trauernde legten vor der Halle, aber auch in anderen Städten wie St. Petersburg Blumen im Gedenken an die Opfer nieder. 

Die US-Botschaft in Moskau hatte ihre Landsleute vor zwei Wochen vor einem möglicherweise geplanten Anschlag in der russischen Hauptstadt gewarnt. Dieser könne sich gegen eine große Versammlung und auch gegen ein Konzert richten, hatte es geheißen.

Nach US-Angaben wurden diese Informationen auch den russischen Behörden zur Verfügung gestellt. 

Die Chefredakteurin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, veröffentlichte zwei Videos, die angeblich die Geständnisse zweier Festgenommener zeigten. Die Echtheit der Aufnahmen ließ sich zunächst nicht verifizieren.

Aus zahlreichen westlichen Ländern gab es Solidaritätsbekundungen für die Opfer. Die EU verurteile „alle Angriffe auf Zivilisten“, hieß es in Brüssel. Das Weiße Haus erklärte, es stehe „an der Seite der Opfer“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verurteilte „den schrecklichen Terrorangriff auf unschuldige Konzertbesucher in Moskau“.

Angriff begann gegen 20.30 Uhr Ortszeit

Gegen 20.30 Uhr Ortszeit war am Freitagabend Panik im populären Veranstaltungszentrum Crocus City Hall ausgebrochen. Kurz vor dem Konzert der Band Piknik sind plötzlich Schüsse zu hören, dann Explosionsgeräusche. Auch ein Feuer bracht aus. „Sie schießen. Sie schießen aus Maschinengewehren. Irgendwelche Leute schießen“, ist die aufgeregte Stimme eines Mannes in einem wackeligen Video zu hören, das in sozialen Netzwerken kursiert. Die Schüsse hören nicht auf, es hallt laut in dem großen Saal. Die Behörden sprachen von einem Terroranschlag. 

Menschen liefen um ihr Leben

Menschen schrien vor Angst, liefen um ihr Leben. „Scheiße, scheiße, scheiße“, ruft ein Mann in einer Aufnahme, die zeigt, wie Konzertbesucher in Scharen in Richtung Ausgang rennen. Neben einer Rolltreppe liegt ein lebloser Körper in einer Blutlache.

Aus dem Gebäude, das mehrere Säle hat und allein in einer Konzerthalle Platz für mehrere Tausend Besucher bietet, schlugen riesige Flammen in den Nachthimmel. Hubschrauber schütteten aus der Luft Wasser auf den Brand, der zwischenzeitlich eine Fläche von 13.000 Quadratmetern umfasst. Das Dach der Halle stürzte teilweise ein.

Aus dem Veranstaltungsgebäude, das mehrere Säle hat und allein in einer Konzerthalle Platz für mehrere Tausend Besucher bietet, schlagen riesige Flammen in den Nachthimmel. 
Aus dem Veranstaltungsgebäude, das mehrere Säle hat und allein in einer Konzerthalle Platz für mehrere Tausend Besucher bietet, schlagen riesige Flammen in den Nachthimmel. Moscow News Agency/AP

Im Saal war die Lage zunächst völlig unübersichtlich. In Medien war mal von drei bewaffneten Tätern die Rede, mal von mehr. Fotos sollen einige von ihnen zeigen, wie sie auf Zuschauerrängen stehen und in die Tiefe schießen. Auf anderen Aufnahmen, die im Internet kursierten, sind Männer in Tarnuniform zu sehen. Sie laufen durch eine Halle und geben immer wieder Schüsse ab. 

Nach dem Blutbad fahnden Spezialeinsatzkräfte der Polizei nach den Schützen, die im Veranstaltungszentrum Crocus City Hall bei Moskau ein Blutbad angerichtet haben. 
Nach dem Blutbad fahnden Spezialeinsatzkräfte der Polizei nach den Schützen, die im Veranstaltungszentrum Crocus City Hall bei Moskau ein Blutbad angerichtet haben. Dmitry Golubovich/imago

Wie kamen die Täter in die Crocus City Hall?

In der Crocus City Hall gibt es mehrere Veranstaltungssäle, die auch für Messen genutzt werden. Es ist eine der beliebtesten Freizeitstätten für die Moskauer und die Menschen im Umland der russischen Hauptstadt. Nach dem Anschlag bleiben in Moskau nach Behördenangaben am Wochenende Theater und Museen geschlossen. Großveranstaltungen sind abgesagt – und auch in anderen Städten werden die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt.

Unklar war, wie trotz der scharfen Sicherheitsvorkehrungen in Moskau und der extrem strengen Kontrollen bei Veranstaltungen, die bewaffneten Männer in die Crocus City Hall gelangen konnten. Besucher von Konzerten werden durch Metallrahmen geschleust. Ihre Taschen werden genauestens durchsucht.

Die Gruppe Piknik um Leadsänger Edmund Schkljarski, die auftreten sollte, stammt noch aus sowjetischer Zeit. Zu Russlands Krieg gegen die Ukraine hat sie sich nicht öffentlich positioniert, stand aber wegen eines vergangenen Auftritts auf der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim nach der Annexion durch Moskau in der Kritik. ■