Behörden-Versagen?

Nachbarn warnten vor Messer-Killer aus Aschaffenburg: „Sie wussten alle, dass der nicht richtig tickt“

Nach dem Drama von Aschaffenburg, bei dem zwei Menschen getötet wurden, werden Stimmen lauter, die auch auf Versagen der Behörden deuten.

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Fahrzeuge von Feuerwehr und Rettungsdiensten stehen in der Nähe eines Tatortes in Aschaffenburg, wo ein psychisch kranker Mann zwei Menschen ermordet hat.
Fahrzeuge von Feuerwehr und Rettungsdiensten stehen in der Nähe eines Tatortes in Aschaffenburg, wo ein psychisch kranker Mann zwei Menschen ermordet hat.Ralf Hettler/dpa

Aschaffenburg ist in tiefer Trauer. Ein blutiges Verbrechen erschüttert die idyllische fränkische Stadt, die nun mit drückenden Fragen konfrontiert ist. Am Mittwochmittag ereignete sich im beliebten Schöntalpark eine unfassbare Tragödie: Der 28-jährige Afghane Enamullah O. tötete mit einem Küchenmesser ein zweijähriges Kind und einen mutigen Helfer (41), der versucht hatte, die Attacke abzuwehren. Zwei weitere Personen, darunter ein weiteres Kleinkind, wurden schwer verletzt.

Laut Bayerns Innenminister Joachim Herrmann handelte der mutmaßliche Täter „unvermittelt und gezielt“. Der Park, normalerweise ein Ort der Entspannung und Lebensfreude, wurde innerhalb von Minuten zum Schauplatz unfassbarer Gewalt. Die Polizei sperrte das Gebiet stundenlang ab und sicherte Spuren. Doch während die Ermittler nach Antworten suchen, bleibt die Region in Schockstarre. Und die Frage bleibt: Wurden die Warnzeichen überhört?

Messer-Killer von Aschaffenburg war polizeibekannt

Immer wieder hatten Nachbarn in der Asyl-Unterkunft in Alzenau, in der Enamullah O. etwa 25 Kilometer von Aschaffenburg entfernt wohnte, vor dem Mann gewarnt. Sie berichteten von wirren Ausbrüchen, Lärm und gewalttätigen Vorfällen. Bereits im August soll der Mann eine Frau mit einem Messer attackiert haben. Ukrainerin Mane (23) erzählt in Bild: „Er schnitt einer Landsfrau von mir immer wie­der in die Haut. Sie schrie um Hilfe, ich alarmierte die Poli­zei.“ Trotz Polizeieinsatz kehrte er kurze Zeit später ungehindert in seine Unterkunft in Zimmer 20 im zweiten Stock zurück. „Wie konnte so etwas passieren?“, fragen sich nun viele.

„Der hatte einen komischen Blick“, erinnert sich Mane. „Er hatte psychi­sche Probleme und nahm Drogen.“ Ein anderer Bewohner der Flüchtlings-Unterkunft sagt: „Ich konnte nicht schlafen, seinetwegen.“ Und: „Das tut mir als Afghane so leid, mein Beileid gilt den be­troffenen Familien. Aber wie konnte die Polizei nur so ver­sagen, sie wussten doch alle, dass der nicht richtig tickt.“

Rettungskräfte und Kriminaltechniker gehen in der Nähe eines Tatortes eine kleine Brücke hinauf. Bei einer Gewalttat in einem Park sind nach ersten Erkenntnissen mehrere Menschen erstochen worden.
Rettungskräfte und Kriminaltechniker gehen in der Nähe eines Tatortes eine kleine Brücke hinauf. Bei einer Gewalttat in einem Park sind nach ersten Erkenntnissen mehrere Menschen erstochen worden.Ralf Hettler/dpa

Die Hintergründe der Tat werfen viele Fragen auf. Der Asylbewerber war offenbar mehrfach wegen psychischer Probleme in Behandlung. Laut Innenminister Herrmann fanden Ermittler in seinem kleinen Zimmer Psychopharmaka. Bereits dreimal war der 28-Jährige wegen Gewaltauffälligkeiten in psychiatrische Einrichtungen eingewiesen worden – jedes Mal wurde er wieder entlassen. „Das war absehbar“, sagt ein Nachbar der Unterkunft und berichtet von Drogenkonsum und ständigen Ausrastern des Täters.

Besonders tragisch ist das Schicksal des zweijährigen Jungen, der mit seiner Kindergartengruppe im Park unterwegs war. Ebenso ergreifend ist der Mut des 41-jährigen Deutschen, der sein Leben riskierte, um weitere Opfer zu schützen. Laut Minister Herrmann war es dessen mutiges Eingreifen, das Schlimmeres verhinderte – doch der Preis war hoch.

Messer-Killer tötete in Aschaffenburg zwei Menschen

Verletzt wurden zudem ein zweijähriges Mädchen aus Syrien und ein 72-jähriger Mann. Eine 59 Jahre alte Erzieherin der Kinder brach sich bei ihrer Flucht einen Arm.

Die Tragödie wirft ein Schlaglicht auf Versäumnisse im System. Warum war der Mann trotz Ausreisepflicht und abgeschlossenen Asylverfahrens noch in Deutschland? Laut Bayerns Innenminister Herrmann hatte es ein Dublin-Verfahren gegeben, das aber nicht zeitgerecht abgeschlossen werden konnte. Das Dublin-Verfahren ist ein Bestandteil des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Eine der Regelungen besagt, dass in vielen Fällen der Staat für die Abwicklung des Asylverfahrens zuständig ist, in dem der Geflüchtete zuerst EU-Boden betreten hat.

Zwar hatte der Mann nach seiner Einreise im November 2022 einen Asylantrag gestellt, wie Herrmann sagte. Doch sein Verfahren sei abgeschlossen worden, nachdem er selbst Anfang Dezember 2024 den Behörden schriftlich angekündigt habe, ausreisen zu wollen.

Laut Herrmann gab er dabei an, beim afghanischen Generalkonsulat die nötigen Papiere besorgen zu wollen. Daraufhin sei er vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zur Ausreise aufgefordert worden. Ausgereist sei er zunächst aber noch nicht, laut Herrmann war er „weiter offensichtlich auch in psychiatrischer Behandlung“.

Nach Messer-Mord in Aschaffenburg fordert Politik Aufklärung

Nun hagelt es Kritik: Politiker fordern Konsequenzen. CDU-Chef Friedrich Merz verlangt „politisch klare Antworten“, während FDP-Fraktionschef Christian Dürr eine Sonderkonferenz der Innenminister fordert.

Die Messerattacke ruft Erinnerungen an die Tragödie von Würzburg 2021 wach, bei der ein psychisch kranker Mann drei Menschen tötete. Auch damals wurde der Umgang mit psychisch auffälligen Tätern und die Rolle der Behörden heftig diskutiert.

Aschaffenburg steht still. In sozialen Netzwerken drücken Menschen ihre Trauer und Wut aus. Blumen und Kerzen zieren den Tatort. Die Familien der Opfer müssen nun einen Weg finden, mit diesem unvorstellbaren Verlust umzugehen.