
Es gibt viele Themen, die in unserer Gesellschaft dauerhaft diskutiert werden – eines davon sind die gestiegenen Lebenshaltungskosten. Ob Mieten oder Lebensmittel, ob Strom oder Sprit für das Auto: Alles ist unglaublich teuer. Warum ist am Ende des Geldes noch immer so viel Monat übrig? Dieser eigentlich witzige Spruch wird für immer mehr Menschen zur Realität. Doch blickt man nach Bayern, scheint all das aktuell keine Rolle zu spielen. Beim Oktoberfest wird besonders teuer geschlemmt – und während sich einige über die Preise aufregen, können es andere gar nicht erwarten, hier ihr Geld zu lassen.
Irre Szenen: Besucher rennen nach der Eröffnung zum Oktoberfest
Schon die Eröffnung des Volksfestes in der vergangenen Woche machte mich fassungslos. Die Tore zum Fest öffneten sich – und eine riesige Menschenmenge rannte auf das Festgelände. Rannte! Menschen stürzten, rappelten sich wieder auf. Sie wollten die ersten im Festzelt sein. Die ersten, die sich eine Maß Bier genehmigen, die bei einem Preis von rund 15 Euro das Vielfache einer Flasche Bier im Supermarkt kostet. Ich bin kein Biertrinker, aber mich würde es davon abhalten, mich überhaupt zu dem Fest zu begeben.
Die meisten hier aber scheinbar nicht: Man rennt hin, weil man es nicht erwarten kann, sein Geld für überteuerte Getränke auszugeben. Jedes Jahr werden dabei zwischen Schnitzel für 40 Euro und Steak für satte 230 Euro neue Rekorde aufgestellt. Was soll das – und warum sitzt das Geld hier bei vielen so locker?
Noch schlimmer ist das, was mir am Wochenende bei Facebook gezeigt wurde: Ein Clip, aufgenommen in einem Oktoberfest-Zelt, das den Fokus eher auf Wein legt. An der vollen Bar hält ein Mitarbeiter eine Champagner-Flasche in der Hand, die geöffnet werden soll. Sie ist riesig! Erst schlägt er sie mehrfach mit dem Flaschenboden auf den Boden, dann wird sie geöffnet, eine hohe Champagner-Fontäne schießt daraus hervor.

Nicht nur, dass es Verschwendung ist, so viel des angeblich guten Tropfens einfach auf den Boden fließen zu lassen. Wenn ich die Preise der großen Schampus-Flaschen in der Speisekarte des Zeltes sehe, wird mir übel. 2200 Euro kostet die Flasche der Größe „Methusalem“, sie fasst sechs Liter. „Salmanazar“ ist mit neun Litern für schlappe 3300 Euro zu haben. Und „Nebukadnezar“ kostet schlappe 5500 Euro, dafür sind aber auch 15 Liter in der Flasche. Das heißt: Nach dem Öffnen mit der besonderen Technik etwas weniger.
Champagner auf dem Oktoberfest: Wer das Geld in Sekt steckt, kommt acht Jahre hin
Wenn ich überlege, dass mein Lieblings-Sekt einer Berliner Marke mit etwa 5 Euro zu Buche schlägt und ich mich für den Preis einer Sechs-Liter-Pulle Champagner mit 440 Flaschen Sekt besinnungslos betrinken könnte, wird mir übel. Anders formuliert. Würde ich jede Woche zum Fernsehen am Samstagabend eine Flasche öffnen, wäre ich erst in achteinhalb Jahren damit durch. Auf dem Oktoberfest zischt man für das gleiche Geld mal eben eine Flasche weg – und verschüttet dann noch einen Teil davon.

Das Schampus-Video sorgt auch im Netz für Ärger. „Asoziale Gesellschaft, zum Kotzen“, schreibt ein Nutzer. „Andere haben nichts zu trinken.“ Ein anderer bemerkt, es sei eine Katastrophe, eine Flasche Champagner so aufzumachen wie der Mitarbeiter des Zeltes im Video. „Schade ums Geld.“ Eine Frau kommentiert: „Es geht so vielen so schlecht, und andere schmeißen das Geld nur so raus. Genau solche sollten mal Klowasser saufen müssen!“ Und einer schreibt: „Welche Verschwendung von Geld, nur um einen kurzen Moment den Affen zu machen. Andere machen sich davon den Kühlschrank ein Vierteljahr voll.“
Ich arbeite in einem Tierheim. Wir hätten mit der Summe Geld so viel machen können. Ich könnte heulen, wenn ich das sehe.
Es ist nicht das erste Mal, dass ein solches Video im Netz für Wirbel sorgt. Schon im vergangenen Jahr gab es einen Clip, der einen Kellner im gleichen Festzelt beim Öffnen einer XXL-Flasche zeigte. Auch hier spannten die Besucher des Zeltes Regenschirme auf, um der Champagnerdusche zu entgehen. „Das Oktoberfest ist wie immer ein Zeugnis dafür, dass etwas mit unserer Gesellschaft kaputt ist“, schrieb ein Nutzer. Und eine Frau kommentierte: „Ich arbeite in einem Tierheim. Wir hätten mit der Summe Geld so viel machen können. Ich könnte heulen, wenn ich das sehe.“
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde diese Dekadenz einfach nur scheußlich. Volksfest hin oder her: Auch ich gehe gern auf Feste, lasse es mir gut gehen, gebe auch mal etwas mehr aus. Doch dieser Wahnsinn in München läuft auf einer ganz anderen Ebene ab. Und die Doppelmoral: Während das ganze Jahr über geklagt wird, wie teuer das Leben geworden ist, während anderswo die Menschen gar nicht wissen, wie sie ihren Wocheneinkauf bezahlen sollen, kann man es hier gar nicht erwarten, die Geldbörsen zu leeren. Wie passt das alles zusammen?
Es ist wundervoll, dass das Oktoberfest so vielen Menschen Freude macht. Und natürlich soll gefeiert werden, denn bei allen Problemen braucht jeder einen Moment der Entspannung. Und schließlich geht es auch um die Wirte und Schausteller – auch sie müssen Geld verdienen, um ihre Traditionsbetriebe am Laufen zu halten. Aber: Geht’s nicht auch etwas weniger abgehoben, etwas mehr normal? Müssen es solche Clips sein, die von München aus um die Welt gehen? Etwas weniger Dekadenz würde der Tradition sicher auch nicht schaden. Doch das, was in den Videos zu sehen ist, passt einfach nicht in unseren heutigen Alltag. Und die Champagner-Schnösel sind für mich einfach nur übertrieben, verschwenderisch und peinlich.