Umfrage

Darum wünscht sich Mehrheit der Deutschen neue Atomkraftwerke

Zwei Jahre, nachdem Deutschlands letzter Atommeiler abgeschaltet wurde, wollen viele Menschen in Deutschland zurück zur Atomkraft: Warum eigentlich, was versprechen sie sich davon, sind diese Hoffnungen begründet?

Author - Joane Studnik
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Das Atomkraftwerk Isar 2 wurde vor zwei Jahren endgültig abgeschaltet. Inzwischen haben die Vorbereitungen zum Rückbau begonnen.
Das Atomkraftwerk Isar 2 wurde vor zwei Jahren endgültig abgeschaltet. Inzwischen haben die Vorbereitungen zum Rückbau begonnen.Andreas Haas/Imago

Im Bundestagswahlkampf haben Union und AfD besonders lautstark gegen die Energiepolitik der Ampelregierung polemisiert. Als „Windmühlen der Schande“ bezeichnete die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel Windkraftwerke. „Wir werden alle Windkraftwerke niederreißen“, schäumte Weidel auf einer Wahlkampfveranstaltung. Auch der wohl neue Bundeskanzler, CDU-Vorsitzender Friedrich Merz kündigte an, man werde Windkraftwerke abbauen, „weil sie hässlich sind“.

Deutlich anziehender findet die Union Atomkraftwerke: „Deutschland kann zurzeit nicht auf die Option Kernkraft verzichten“ heißt es in ihrem Grundsatzprogramm. Zwar jammert man nicht mehr den abgeschalteten Meilern hinterher, aber man setzt auf neue, vermeintlich saubere Reaktoren, die derzeit viel von sich Reden machen. Eine Mehrheit wählte rechts, und da die Polemik gegen erneuerbare Energien so lautstark ausgefochten wurde, verwundert das Ergebnis einer neuen Umfrage wenig. Demnach wünschen sich 55 Prozent aller Befragten in Deutschland eine Rückkehr zur Atomkraft.

Umfrage: Mehrheit will abgeschaltete Atomkraftwerke wieder anschalten, obwohl deren Rückbau schon gestartet ist

Das Meinungsforschungsinstitut Innofact befragte Ende März 1007 Personen im Auftrag des kommerziellen Vergleichsportals Verivox, das unter anderem Stromverträge vermittelt. Weiterhin beliebt bei Neukunden sind Ökostrom-Verträge – denn 36 Prozent sprechen sich laut der Umfrage klar gegen die erneute Nutzung der Atomkraft aus, neun Prozent zeigen sich unentschieden.

Die Antworten auf detaillierte Fragen wecken allerdings Zweifel, wie intensiv sich die Befragten sich mit dem Thema befasst haben. 22 Prozent sprechen sich dafür aus, die zuletzt stillgelegten Meiler wieder in Betrieb zu nehmen: Für diese gibt es allerdings keine Betriebsgenehmigung mehr, die Betreibergesellschaft unterhält kein Personal mehr für einen weiteren Betrieb, sondern bereitet den Rückbau der Meiler vor. Obwohl diese Option überhaupt nicht zur Verfügung steht, wollen 32 Prozent nicht nur die Wiederinbetriebnahme, sondern den Bau neuer Atomkraftwerke. Bemerkenswert: deutlich mehr Männer als Frauen wollen zurück zur Atomkraft – die Annahme liegt nahe, dass die Haltung zur Atomkraft stärker emotional als durch Fakten begründet ist.

Es gibt kein Atomkraftwerk auf der Welt, das sich ökonomisch rechnet.“

Joe Kaeser, Aufsichtsratsvorsitzender der Siemens Energy

Auf einen möglichen Atom-Wiedereinstieg angesprochen, winken die bisherigen Betreiberunternehmen und beispielsweise der weltweit im Atomgeschäft tätige Siemens-Konzern ab. In der Talksendung Maischberger lieferte der Aufsichtsratsvorsitzende der Siemens Energy, Joe Kaeser, eine einleuchtende Begründung: „Es gibt kein Atomkraftwerk auf der Welt, das sich ökonomisch rechnet.“ Damit pulverisiert einer, dessen Konzern mit Atomtechnik weltweit Milliarden Euro umgesetzt hat, dem jahrzehntelangen Versprechen der Atomindustrie auf günstigen Strom.

Billiger Atomstrom? Darum steigen Stromkosten in Frankreich massiv, in Deutschland sinken sie

Tatsächlich ist bei Einberechnung aller verdeckten Kosten Atomstrom die mit Abstand teuerste Energiequelle, was Franzosen derzeit heftig zu spüren bekommen: In Frankreich beträgt der Anteil von Atomkraft an der Stromversorgung fast 70 Prozent. 2026 wird der staatlich gedrosselte Energiepreis von 42 Euro je Megawattstunde auf 70 Euro angehoben. Um Härten zu vermeiden, kommt die Preissteigerung nicht 1:1 bei Verbrauchern an. Doch während die Preise in Frankreich steigen, sinken sie in Deutschland. Hier wurden im Jahre 2024 knapp 60 Prozent des Stroms regenerativ, überwiegend aus Wind und Photovoltaik, erzeugt.

Die Erzeugung von Windstrom ist so günstig, dass an manchen Tagen der auf Strombörsen gehandelte Preis unter die Nullmarke rutschte: Es war weitaus mehr Strom vorhanden als benötigt. Trotzdem importiert Deutschland weiterhin Strom, darunter sowohl erneuerbar erzeugten als auch Atomstrom – nicht weil es das müsste, sondern weil es sich für Stromunternehmen rechnet. Zugleich exportiert es aber aber auch, überwiegend regenerativ erzeugten Strom.

Sichere Stromquelle Atomkraft? Das Schreckgespenst von der Dunkelflaute

Einige Länder setzen auf Atomstrom auch im Zusammenhang mit der Reduzierung von CO2, der durch Kohle- oder Gaskraftwerke erzeugt wird. Argumentiert wird auch häufig, Atomstrom sei zuverlässig, während Wind und Sonne in einer sogenannten Dunkelflaute ausfallen.

Tatsächlich führte eine solche Dunkelflaute im Januar über einige Tage dazu, dass Deutschland etwas mehr Strom importierte, und dass der Preis an Strombörsen exorbitant anstieg. Folgen für Verbraucher hatte das nicht, die Preise sanken kurz darauf wieder massiv. Trotzdem wurde das Thema in den sozialen Medien und zu Desinformation neigenden Portalen hochgejazzt, als hätte Deutschland am Rande einer Katastrophe gestanden. Tatsächlich war die Stromversorgung auch ohne Atomkraft zu jedem Zeitpunkt gesichert, während Länder mit einem erheblichen Anteil von Atomkraft eine instabile Versorgungslage haben. An erster Stelle muss man die Ukraine nennen, wo das größte Atomkraftwerk Europas in Saporischschja nicht zu einem mehr an Sicherheit, sondern zu einer massiven Mangelversorgung führt, weil das Kraftwerk und die gesamte Stromversorgung des Landes immer wieder zum Ziel russischer Angriffe wurde.

Auch außerhalb von Kriegsgebieten üben Kernkraftwerke eine hohe Anziehung auf terroristische Planungen aus; sie müssen anders als Windkraftwerke mit einem extrem hohen Sicherheitsaufwand gegen jede Form von Unfällen und Sabotage gesichert werden. Aber auch in Friedenszeiten hat sich die Zuverlässigkeit von Atomstrom vielerorts als leere Versprechung erwiesen: Oft müssen Anlagen wegen unvorhergesehener Sicherheitsmängel und Korrosion abgeschaltet und aufwändig repariert werden. Im Sommer 2022 mussten Atomkraftwerke in Frankreich wegen Wassermangels gedrosselt werden. Neue Reaktortypen sollen solche Probleme in der Zukunft reduzieren - aber auch das sind Versprechen der Industrie, die solche Reaktoren gerne verkaufen und damit viel Geld verdienen möchte. Die Frage ist nur, ob die Allgemeinheit sie benötigt, wenn der Strom bis dahin längst ganz überwiegend aus regenerativen Quellen stammt und viel günstiger ist. ■