Schock für das Opfer

Mutmaßlicher Serien-Vergewaltiger Marvin S. spricht von „Drogen-Unfall“

Vergeblich wartete das Opfer auf ein Urteil. Marvin S. spricht von einvernehmlichem Sex.

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Der Angeklagte Marvin S. (38)  unter der schwarzen Jacke mit seinem Verteidiger. (Archivbild)
Der Angeklagte Marvin S. (38) unter der schwarzen Jacke mit seinem Verteidiger. (Archivbild)Pressefoto Wagner

Die Abiturientin hofft auf ein Urteil. Doch der Mann, der sie mit Drogen betäubt und schwer misshandelt haben soll, bricht nach zweimonatigem Prozess überraschend sein Schweigen, behauptet: „Die Stimmung war flirty.“

Diesmal kein schwarzes Shirt: Im weißen Pullover und gut aufgelegt sitzt Marvin S. (38) auf der Anklagebank. Der Geschäftsmann aus Steglitz ist angeklagt der Vergewaltigung und schweren Körperverletzung.

Ihm gegenüber Emilia K. (Name geändert). Die Hände gefaltet, wie an den anderen Verhandlungstagen seit dem 25. März komplett in Schwarz gekleidet. Regungslos hört sie seine Version, in der es kein Opfer und keinen Täter gibt. Außerdem lehnt er einen Gutachter als befangen ab, der ihre Angaben als plausibel eingeschätzt hat.

Emilia K. lag halb tot in seiner Wohnung

Emilia K. lag vor drei Jahren halb tot in seiner Wohnung. Als die Rettungskräfte sie am 22. April 2022 gegen 13.15 Uhr fanden, atmete sie nicht mehr. Ihr Herz stand still. Eine Notärztin: „Die Reanimation dauerte zwölf Minuten.“ Danach lag die Schülerin fünf Tage im Koma. Der Körper übersät mit Verletzungen und beschmiert mit frauenverachtenden Worten. Bis heute quälen sie Albträume: „Ich wache schreiend auf.“

Marvin S. blieb lange frei. Seit Anfang April sitzt er in U-Haft – verhaftet im Gerichtssaal. Denn mittlerweile gibt es den Verdacht: Ist Marvin S. möglicherweise ein gefährlicher Serientäter? Eine zweite Anklage liegt bereits vor, eine dritte soll folgen. Betroffen sind zwei junge Frauen, die 2020 und 2021 in seiner Wohnung gewesen seien.

Emilia traf er in der Nacht an einer Bushaltestelle. Sie hatte ein Schachbrett im Rucksack und kam von einer Freundin. Der Abend war nicht gut gelaufen für sie. Wein und Wodka trank die Abiturientin, machte sich schließlich betrunken auf den Heimweg.

Marvin S. gilt als charmant und manipulativ. Er soll die Situation der Schülerin ausgenutzt haben. Er bestreitet das: „Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie betrunken war. Wir kamen schnell ins Gespräch, scherzten.“ Alles sei nett und freiwillig gewesen – „in meiner Wohnung bauten wir das Schachspiel auf“.

Sie hätten sich berührt, Sex sei einvernehmlich gewesen. Marvin S.: „Ich habe gefragt, ob ich ein Video machen darf. Sie hatte nichts dagegen.“ Sie hätten Kokain und Heroin konsumiert. Sie sei eingeschlafen. „Ich entschloss mich, eine Aufnahme zu machen, ich war völlig high“. Eine sexuelle Handlung. „Das Video wollte ich ihr morgens zeigen. Ich dachte, es gefällt ihr.“

Polizei ermittelte nicht

Gegen Mittag wählte er den Notruf, stand wie ihr Retter da, sprach von einer Art Drogen-Unfall. Polizisten nahmen es hin, ermittelten nicht. Für die Anwältin von Emilia nicht zu fassen: „Eine halb tote Frau in einer verwüsteten Wohnung, der Körper der Frau beschmiert – da ist es völlig abwegig, keine Ermittlungen aufzunehmen“.

Die Mutter von Emilia K. hatte Anzeige erstattet. Im Juni 2022 wurde die Wohnung von S. durchsucht, Datenträger beschlagnahmt. „Grauenhafte Videos“, so eine Zeugin im Prozess. Nach und nach wurden die Sequenzen von Ermittlern ausgewertet, weitere mutmaßliche Opfer identifiziert.

Emilia K. verlässt den Gerichtssaal nach der Erklärung ihres mutmaßlichen Peinigers still. Eigentlich waren Plädoyers und anschließend die Verkündung eines Urteils geplant. Nun zieht sich der Prozess. Der Richter: „Zwei weitere Verhandlungstage am 13. Juni und 11. Juli.“ Die Anwältin von Emilia K. zur späten Aussage: „Eine Unverschämtheit und eine Katastrophe für meine Mandantin.“