Männer sind in aller Regel körperlich stärker als Frauen, viele nutzen das gnadenlos gewalttätig aus. (Symbolbild)
Männer sind in aller Regel körperlich stärker als Frauen, viele nutzen das gnadenlos gewalttätig aus. (Symbolbild) imago/Rainer Droese

Jedes Jahr machen sich Tausende von Menschen auf die Flucht – in Deutschland: Frauen, die von ihren Männern oder Ex-Partnern geprügelt, psychisch gequält oder missbraucht werden. Rettung für sie und oft auch ihre Kinder versprechen die rund 380 deutschen Frauenhäuser. Aber es gibt zu wenige Plätze. Das sagt Elisabeth Oberthür vom in Berlin ansässigen Verein Frauenhauskoordinierung. Sie bezieht sich dabei auf die aktuelle bundesweite Frauenhaus-Statistik. Was Berlin angeht, bemängelt die CDU den Schutz gepeinigter Frauen als zu gering.

Die Zahlen sind Jahr für Jahr erschreckend: Fast 120.000 Frauen wurden laut Polizei 2020 „Opfer von Gewalt in Paarbeziehungen“. Dazu kommt die Dunkelziffer. 2021 soll die Zahl weiter gestiegen sein. Bei 359 Frauen versuchten die Täter 2020, sie umzubringen. In 132 Fällen wurde das Opfer bei einem sogenannten Femizid tatsächlich getötet. 

In den 180 Frauenhäusern, die Daten für die Statistik lieferten, kamen 2021 über 6400 Frauen mit fast 7600 Kindern unter. Aber, so sagt Elisabeth Oberthür: „Es ist kein Einzelfall, dass ein Frauenhaus übers Jahr 100 Frauen und Kinder abweisen muss, weil es belegt ist.“ Sie rechnet hoch, dass bundesweit 14.000 Plätze fehlen, um den Bedarf zu decken.

Weniger als die Hälfte der Frauen findet Schutz in ihrer Stadt oder ihrem Landkreis

Zusätzlich bestand 2021 wie 2020 das Problem, dass die Kapazität von Frauenhäusern wegen Corona eingeschränkt war. Sei es wegen Hygienemaßnahmen, sei es durch den Ausfall von Mitarbeitern. Auch das trug dazu bei, dass inzwischen nur noch 40 Prozent der Frauen Zuflucht in einem Frauenhaus ihrer Stadt oder ihres Landkreises finden.

In 76 Prozent der Fälle war der Ehemann oder Lebensgefährte der Täter, der die Flucht ins Frauenhaus auslöste, in jeweils elf Prozent der Ex oder ein anderer männlicher Angehöriger. Bei sechs Prozent waren weibliche Verwandte an den Gewalttaten beteiligt (das sind zusammen mehr als 100 Prozent, wegen Mehrfach-Nennungen). Weniger als die Hälfte der Opfer ist bereit, Anzeige gegen ihre Peiniger zu erstatten oder zivilrechtlich gegen sie vorzugehen. 

Eine Demonstration in Berlin gegen Femizide  - Morde an Frauen und Mädchen. Anlass war der Mord an der sechsfachen Mutter Zohra, im Frühjahr in Pankow umgebracht von ihrem Mann.
Eine Demonstration in Berlin gegen Femizide - Morde an Frauen und Mädchen. Anlass war der Mord an der sechsfachen Mutter Zohra, im Frühjahr in Pankow umgebracht von ihrem Mann. dpa/Christophe Gateau

Elisabeth Oberthür beklagt, dass die staatliche Finanzierung der Frauenhäuser, die ganz überwiegend von Trägern wie der Arbeiterwohlfahrt, der Caritas, der Diakonie, dem DRK und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband unterhalten werden, einem durchscheinenden Flickenteppich gleicht: Überall anders, immer zu wenig und mit Kämpfen verbunden, die Kosten von der jeweiligen Kommune zu erstreiten.

Hier gibt es Hilfe

110 anrufen – bei unmittelbar drohender Gefahr oder akuter Gewalttätigkeit hilft die Polizei.

Hotline
der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG), 611 03 00, täglich 8-23 Uhr. Beratung, Unterstützung, Vermittlung von freien Schutzunterkünften. Gegebenenfalls gibt es eine „mobile Intervention“. Neben den betroffenen Frauen können sich auch Personen aus deren privatem und sozialem Umfeld sowie Behörden, soziale Einrichtungen und Institutionen melden.

Die Kontakte zu den Frauenhäusern in Berlin und Branden sind hier zu finden. Die Adressen werden aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht.

Es sei „absurd“, dass in einem wohlhabenden Land ein Viertel der Frauen ihren Frauenhaus-Aufenthalt selber bezahlen müsse, was je nach Einrichtung zwischen 20 und 80 Euro pro Tag ausmachen könne. Mangels einer entsprechenden Gesetzgebung und der bundesstaatlichen Struktur verweise der Bund bei der Finanzierung auf Bundesländer und die auf die Kommunen.

Eine Expertenkommission des Europarats hatte deshalb im Oktober festgestellt, dass es beim Schutz von Frauen vor Gewalt in Deutschland erhebliche Lücken gebe. Deutschland erfülle zahlreiche Anforderungen der 2018 in Kraft getretenen Istanbul-Konvention nicht. Es gebe weder eine langfristige Strategie noch eine nationale Koordinierungsstelle, und es gebe zu wenige Frauenhaus-Plätze.

Zur Lage in Berlin sagt Kristin Fischer von der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG), dass auf jeweils 10.000 Einwohnerinnen eigentlich laut Istanbul-Konvention ein Familienplatz kommen müsse, der den Platz für die Frau und – etwas seltsam – für 1,5 Kinder umfasst: „In Berlin ist das zu knapp 50 Prozent erfüllt.“ Zum Glück müssten die Frauen in Berlin (wie in Hamburg und Schleswig-Holstein) keinesfalls für ihre Unterbringung bezahlen.

Frauenhäuser sind viel mehr als eine Unterkunft

Laut der Frauenhauskoordinierung haben die Häuser hätten schon seit Jahren eine Vielzahl von Aufgaben zu erfüllen: Von der Beratung der Frauen, die teilweise mit psychischen Problemen kämpfen, über Hilfe bei der Existenzsicherung (überdurchschnittlich viele haben keine Berufsausbildung, nur jede fünfte in ein Frauenhaus geflüchtete Frau ist berufstätig) bis hin zur Unterstützung bei der Erziehung der Kinder. 

Überdurchschnittlich viele Migrantinnen und Flüchtlinge in den Frauenhäusern

Dazu komme eine neue Dimension: Migranten und Flüchtlinge. Während rund 70 Prozent der Gewaltopfer die deutsche Staatsangehörigkeit haben, umfasst diese Gruppe in den Frauenhäusern nur noch knapp 39 Prozent. Oberthür führt das darauf zurück, dass Frauen, die erst kurz in Deutschland sind, „weniger alternative Ressourcen und Netzwerke zur Verfügung haben“. Will sagen: Sie können nicht einfach bei einer Freundin unterkommen.

Ähnlich sieht es der Berliner CDU-Abgeordnete Dirk Stettner. Neben dem Mangel an einem schützenden privaten Umfeld, zu dem der Mann keinen Zugang hat, gebe es Angst vor Obdachlosigkeit oder unzureichende Kenntnis der Hilfsmöglichkeiten.   

Stettner hatte kürzlich beim Senat die Berliner Zahlen abgefragt (an der Statistik hatte sich nur ein Berliner Frauenhaus beteiligt). Laut Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung unterhalte das Land Berlin sieben Frauenhäuser, eines mit zwei Standorten. Alle werden von freien Trägern betrieben. Sie haben zwischen 30 und 87 Plätze, zusammen 422. Dazu kommen 30 Plätze in drei Frauen-Notwohnungen. Insgesamt also 452 Plätze für Frauen und ihre Kinder. 

Für die Betreuung durch Sozialarbeiterinnen, Erzieherinnen, Hauswirtschafterinnen, Verwaltungspersonal und teilweise für Psychologinnen übernimmt Berlin die Personalkosten für insgesamt 96 Vollzeitstellen.

Berlin baut am achten Frauenhaus und plant ein neuntes

2021 war ein Frauenhaus um 32 Plätze erweitert worden. Anfang 2023 soll ein achtes Frauenhaus mit 40 Plätzen und einer sogenannten Clearingstelle mit 15 Plätzen im selben Gebäude eröffnen. Das hatte sich verzögert, weil Baumaterial fehlte und Schadstoffe in dem Haus entdeckt worden waren. In der Planung ist ein neuntes Frauenhaus.

Das findet Stettner eigentlich gut, aber ganz und gar nicht ausreichend: „Es besteht eindeutig Handlungsbedarf.“ Gerade wegen der Migrantinnen und Flüchtlinge sei die Zahl der Plätze zu gering, und es mangele auch an anderer Stelle. „Es fehlen Kinderzimmer, es fehlt an Betreuung.“

Insgesamt, so sagt er, müsse auch ein Grund beseitigt werden, der Frauen vor dem Weg ins Frauenhaus zurückschrecken lässt: Der tatsächliche oder auch nur befürchtete soziale Abstieg, wenn man den Schläger verlässt, von dem man meistens finanziell abhängig ist. 

Das deckt sich wieder mit den Aussagen der Frauenhaus-Statistik: 41 Prozent der Frauen, die Schutz suchen, bezogen bundesweit vorher Hartz IV. Sind sie im Frauenhaus, stieg die Quote auf 66 Prozent.

Für BIG ist eines aber noch wichtiger als das Angebot an Schutz zu vergrößern. Sprecherin Kristin Fischer: „Man muss viel deutlicher machen, dass die Gewalt der eigentliche Skandal ist.“