Der Nachbarin von gegenüber bringe ich manchmal ein Stück Streuselkuchen vom Bäcker mit. Ein guter Anlass, um dann ein paar Minuten miteinander zu schwatzen. Wir reden über dieses und jenes, aber immer, wirklich immer übers Wetter. „Ist es sehr heiß draußen heute?“, „Denkst Du, dass es in der Nacht noch ein Gewitter gibt?“, so oder ähnlich fragt mich die alte Dame dann angelegentlich. In diesem Juni und Juli besonders häufig, weil die Wetterlagen wirklich nicht eintönig waren. War es eben noch heiß wie in der Sahara, bot der Himmel plötzlich mit Donnergrollen, zuckenden Blitzen und heftigen Regengüssen ganz großes Theater.
Rudi Carrells Hit: „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“
Ungewöhnlich erscheint mir das erst mal nicht. In den 70ern des vergangenen Jahrhunderts landete der Entertainer Rudi Carrell mit der besorgten Frage „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“ einen Hit. Das war in etwa zu der Zeit, als ich in einem Jahr ein Betriebskinderferienlager an der Ostsee in Heringsdorf erlebte, in dem es fast drei Wochen ununterbrochen pladderte. Mal verhalten, mal heftiger. Ein genau wie wir Kinder entnervter Betreuer versuchte uns mit allerlei Ausflügen, etwa in ein Tropenhaus, abzulenken. Ich hasste diese verregneten Gruppenspaziergänge, wünschte mir tropische Temperaturen am Strand und nicht in einem schwülen künstlichen Dschungel.
Jahrzehnte später ist die von keinem ernsthaften Wissenschaftler bestrittene Erderwärmung großes Thema. Wenn man auch Wetter und Klima fein trennen sollte, ist es auch in unserer Stadt heißer geworden. Laut Deutschem Wetterdienst wurden in den vergangenen Jahren über die Sommermonate Juni und Juli hinweg immer häufiger ungewöhnliche Temperaturen gemessen. In Berlin verzeichneten Meteorologen zwischen 1990 und 2019 durchschnittlich 11,5 Hitzetage mit mehr als 30 Grad Celsius pro Jahr, in den 30 Jahren davor waren es noch 6,5 Hitzetage.

Diese und andere Extremereignisse bieten also heute noch weit mehr Gesprächsstoff als zu meinen Kinderferienlagertagen. Geblieben aber ist, dass Petrus es selten allen recht machen kann, weil jeder am liebsten sein eigenes Wetter hätte. Wasserratten träumen im Urlaub von sonnenbeschienenen Seen, wer im Straßenbau schippt, möchte den Himmel im Hochsommer lieber bedeckt und Brandenburger Obstbauern mit Kirschen-Plantage können im April keinen Frost brauchen.
Über das Wetter kann man reden
Wünsche, über die es sich trefflich austauschen lässt. Mit Familie, Kollegen, der Nachbarin. Und wenn in den Debatten dieser Zeit immer seltener ein Konsens erreicht werden kann, ist das Wetter vielleicht das letzte große Thema, bei dem sich ein kleinster gemeinsamer Nenner finden lässt. „Ist heiß heute“ – „Ja wirklich sehr heiß“. Oder im November: „Diese graue Suppe seit Tagen schlägt mir aufs Gemüt“ –„ Mir erst!“. So ein Gespräch wird nur selten heikel und stellt im besten Fall eine zufriedene Verbundenheit her. Ein guter Einstieg, um vielleicht gemeinsam auch schwierigere Probleme zu lösen.
Claudia Pietsch schreibt montags im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten.
Kontakt zur Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com ■