Manchmal muss man im Alltag etwas Unangenehmes erledigen. Einen strengen Zahnarzt konsultieren, eine Ware bei einer ungnädigen Verkäuferin umtauschen oder sich bei der Post in eine lange Warteschlange stellen. So ging es auch mir unlängst an einem sehr heißen Tag in Berlin. Nachdem der anstrengende Teil des Vormittags bewältigt war, hatte ich das Gefühl, mir eine Belohnung verdient zu haben. Also wollte ich mir einen Eiskaffee in einem Café am Eingang der Schönhauser Allee Arcaden in Prenzlauer Berg gönnen.
Kalter Kaffee mit Blick auf die Schönhauser
Auf staubigem Großstadtpflaster bieten die vor dem Laden stehenden Stühle nicht den lauschigsten Platz, aber man hat einen feinen Blick auf die hektisch hin und her eilenden Leute. Etwa jene, die mit Tüten beladen aus der Drehtür kommen, oder andere, die sich unter bunten Schirmen mühen, Passanten für eine Mitgliedschaft in einer Hilfsorganisation zu begeistern. Dazu spielt an manchen Tagen ein Leierkastenmann Altberliner Weisen, wenn er nicht gerade von dem Gitarristen unter der Hochbahn übertönt wird. Wuselige Schönhauser-Allee-Szenerie, wie ich sie mag.
Ich erwarb also einen Eiskaffee innen am Tresen und platzierte ihn draußen auf einem Tisch unter einem Sonnenschirm. Ich setzte mich, aber dann mir fiel ein, dass ich zu dem klebrigen süßen Getränk eine Serviette benötigte. Noch nicht mal eine Minute dauerte es, eine solche aus dem Laden zu holen. Als ich an den Tisch zurückkehrte, war er leer, der Kaffee verschwunden, weg, futschikato. Ich blickte mich etwas Hilfe heischend um.

Eine am Nebentisch Kuchen essende Frau murmelte: „Ich habe es genau gesehen. Ein großer Mann hat ihn mitgenommen. Aber ich konnte ja nicht hinterher“, sagte sie entschuldigend. Darüber, dass die alte Dame die Verfolgung nicht aufgenommen hatte, war ich erst mal froh. Und munterte mich auf mit dem Gedanken, es sei doch nur kalter Kaffee gewesen. Doch die Leichtigkeit hielt nicht an, auf dem Heimweg grübelte ich über den dreisten Kaffee-Klau und den dazugehörigen Übeltäter. War ihm heiß? Hatte er kein Geld? War der mutterseelenallein wartende Kaffee eine zu große Ermutigung? Dann wäre ich zwar sauer, aber wegen eines Mundraubs hätte ich die Fassung nicht verloren.
So rücksichtslos kann Berlin sein
Aber vielleicht griff auch jemand zu, der einfach nur sein Mütchen kühlen wollte. Der anderen und sich selbst imponieren wollte, dem seine Mitmenschen egal sind. Der käme besser nicht in meine Nähe. Denn dann ergösse sich all mein Unmut über Rücksichtslosigkeit in der Stadt über ihn. Zur Sprache kämen Rempler in der Tram, über den Bürgersteig rasende Zweiradfahrer und Leute, die Wildtiere in der Stadt füttern. Genauso wie jene SUV-Fahrer, die aus Prinzip zwei Parkplätze besetzen, Touristen, die mit Rollkoffern morgens um halb sechs übers Kopfsteinpflaster eilen, und Busfahrer, die keinen Hehl daraus machen, wie sehr sie ihren Job hassen. Auch jegliche Müllsünder würde ich nicht vergessen. Kurzum, Menschen, die Berlinern das Leben in ihrer Stadt vergällen. Über all diese Egoisten hätte ich dem Dieb ein Wort zum Sonntag gehalten. Nach der Predigt wäre mir wohl wieder besser gewesen. Auch ohne Eiskaffee!
Claudia Pietsch schreibt montags im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten.
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